sind nicht nöthig; zu fragen, was zu der Zeit die- jenigen für Gedanken haben müssen, wo sie noch Gedanken zu haben im Stande sind, welche ein bloß sinnliches Leben, ein Leben voller Beleidigung geführt haben; deren Bemühung und Ehre zur höchsten Schande darinn bestanden, die Unschul- digen zu verführen, und die Schwachen, die Un- wachsamen und die Freundlosen, welche durch ihre schändliche Verführung noch mehr zu Freundlosen gemacht sind, ins Unglück zu stürzen? - - O! Herr Belford, erwägen, überlegen und bedenken Sie dieß itzo, da Jhnen die Betrachtungen, weil Sie noch an Seele und Leib gesund und munter sind, am meisten nützen werden - - Was für ein un- dankbarer, unmännlicher und mehr als kriechend niedriger Stolz ist es, in diesen Dingen eine Eh- re zu suchen!
Hiernächst, erlauben Sie mir, mein Herr, Sie um meinetwillen zu ersuchen, da ich ge- nöthigt bin, oder wie Sie es itzo am besten lesen werden, genöthig gewesen bin, meine Zuflucht zu Jhnen zu nehmen und Jhnen die Vollziehung meines Testaments aufzutragen, daß Sie nach der Großmuth, welche ich Jhnen zutraue, allen mei- nen Freunden, und sonderlich meinem Bruder, der wirklich ein braver junger Mensch, nur viel- leicht in seinem ersten Unwillen, und seinen zuerst gefaßten Meynungen von Dingen, ein wenig zu hartnäckicht ist, nachgeben mögen, wofern etwas, wegen der aufgetragenen Vollziehung dieses Testa- ments, widrig ausfallen sollte; und daß Sie
sich
ſind nicht noͤthig; zu fragen, was zu der Zeit die- jenigen fuͤr Gedanken haben muͤſſen, wo ſie noch Gedanken zu haben im Stande ſind, welche ein bloß ſinnliches Leben, ein Leben voller Beleidigung gefuͤhrt haben; deren Bemuͤhung und Ehre zur hoͤchſten Schande darinn beſtanden, die Unſchul- digen zu verfuͤhren, und die Schwachen, die Un- wachſamen und die Freundloſen, welche durch ihre ſchaͤndliche Verfuͤhrung noch mehr zu Freundloſen gemacht ſind, ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen? ‒ ‒ O! Herr Belford, erwaͤgen, uͤberlegen und bedenken Sie dieß itzo, da Jhnen die Betrachtungen, weil Sie noch an Seele und Leib geſund und munter ſind, am meiſten nuͤtzen werden ‒ ‒ Was fuͤr ein un- dankbarer, unmaͤnnlicher und mehr als kriechend niedriger Stolz iſt es, in dieſen Dingen eine Eh- re zu ſuchen!
Hiernaͤchſt, erlauben Sie mir, mein Herr, Sie um meinetwillen zu erſuchen, da ich ge- noͤthigt bin, oder wie Sie es itzo am beſten leſen werden, genoͤthig geweſen bin, meine Zuflucht zu Jhnen zu nehmen und Jhnen die Vollziehung meines Teſtaments aufzutragen, daß Sie nach der Großmuth, welche ich Jhnen zutraue, allen mei- nen Freunden, und ſonderlich meinem Bruder, der wirklich ein braver junger Menſch, nur viel- leicht in ſeinem erſten Unwillen, und ſeinen zuerſt gefaßten Meynungen von Dingen, ein wenig zu hartnaͤckicht iſt, nachgeben moͤgen, wofern etwas, wegen der aufgetragenen Vollziehung dieſes Teſta- ments, widrig ausfallen ſollte; und daß Sie
ſich
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gefuͤhrt haben; deren Bemuͤhung und Ehre zur
hoͤchſten Schande darinn beſtanden, die Unſchul-
digen zu verfuͤhren, und die Schwachen, die Un-
wachſamen und die Freundloſen, welche durch ihre
ſchaͤndliche Verfuͤhrung noch mehr zu Freundloſen
gemacht ſind, ins Ungluͤck zu ſtuͤrzen? ‒ ‒ O!
Herr Belford, erwaͤgen, uͤberlegen und bedenken
Sie dieß itzo, da Jhnen die Betrachtungen, weil
Sie noch an Seele und Leib geſund und munter ſind,
am meiſten nuͤtzen werden ‒ ‒ Was fuͤr ein un-
dankbarer, unmaͤnnlicher und mehr als kriechend
niedriger Stolz iſt es, in dieſen Dingen eine Eh-
re zu ſuchen!
Hiernaͤchſt, erlauben Sie mir, mein Herr,
Sie um meinetwillen zu erſuchen, da ich ge-
noͤthigt bin, oder wie Sie es itzo am beſten leſen
werden, genoͤthig geweſen bin, meine Zuflucht
zu Jhnen zu nehmen und Jhnen die Vollziehung
meines Teſtaments aufzutragen, daß Sie nach der
Großmuth, welche ich Jhnen zutraue, allen mei-
nen Freunden, und ſonderlich meinem Bruder,
der wirklich ein braver junger Menſch, nur viel-
leicht in ſeinem erſten Unwillen, und ſeinen zuerſt
gefaßten Meynungen von Dingen, ein wenig zu
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wegen der aufgetragenen Vollziehung dieſes Teſta-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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