durch meinen unglücklichen Fehltritt widerfahren ist, um Verzeihung zu bitten.
Jungfräuliche Keuschheit und Tugend sollte sich allerdings nicht so verhalten, daß nur einmal ein Argwohn auf sie fiele: jedoch, wenn Jhr meine ganze Geschichte erfahret, werdet Jhr mehr Grund zum Mittleiden, wo nicht zu etwas mehr, als zum Mittleiden, für Eure vormals unglückli- che Schwester finden.
O wäre doch der Zorn nicht taub gewesen! Hätten doch die falschen Vorstellungen zugegeben, daß man sich gehörig erkundigt haben möchte! Hätte doch Euer strenges Herze, wo es nicht selbst besänftigt werden konnte, die Gewalt, wel- che Jhr über einen jeden bekommen hattet, ge- mäßiget, und andern Herzen erlaubet, sich gütiger auszulassen!
Allein ich schreibe nicht, Misvergnügen zu er- wecken. Jch wollte lieber haben, daß Jhr mich noch immer für strafwürdig hieltet, als daß Jhr Euch der Folgen, die aus meiner Rechtfertigung fließen werden, annehmen solltet.
Jch setze daher eine Sache beyseite, welche ich nicht einmal zu berühren willens war. Denn ich hoffe, indem ich dieses schreibe, daß ich über alle Neigung, Gegenvorwürfe zu machen, hinaus bin. Erlaubet mir dagegen, mein Herr, Euch zu er- öffnen, daß meine fernere Absicht, warum ich auf diese feyerliche Art zuletzt an Euch schreibe, da- hin gehe, Euch zu bitten, daß Jhr allen thätlichen Widerwillen, der ein allen Euren Freunden so
schätz-
durch meinen ungluͤcklichen Fehltritt widerfahren iſt, um Verzeihung zu bitten.
Jungfraͤuliche Keuſchheit und Tugend ſollte ſich allerdings nicht ſo verhalten, daß nur einmal ein Argwohn auf ſie fiele: jedoch, wenn Jhr meine ganze Geſchichte erfahret, werdet Jhr mehr Grund zum Mittleiden, wo nicht zu etwas mehr, als zum Mittleiden, fuͤr Eure vormals ungluͤckli- che Schweſter finden.
O waͤre doch der Zorn nicht taub geweſen! Haͤtten doch die falſchen Vorſtellungen zugegeben, daß man ſich gehoͤrig erkundigt haben moͤchte! Haͤtte doch Euer ſtrenges Herze, wo es nicht ſelbſt beſaͤnftigt werden konnte, die Gewalt, wel- che Jhr uͤber einen jeden bekommen hattet, ge- maͤßiget, und andern Herzen erlaubet, ſich guͤtiger auszulaſſen!
Allein ich ſchreibe nicht, Misvergnuͤgen zu er- wecken. Jch wollte lieber haben, daß Jhr mich noch immer fuͤr ſtrafwuͤrdig hieltet, als daß Jhr Euch der Folgen, die aus meiner Rechtfertigung fließen werden, annehmen ſolltet.
Jch ſetze daher eine Sache beyſeite, welche ich nicht einmal zu beruͤhren willens war. Denn ich hoffe, indem ich dieſes ſchreibe, daß ich uͤber alle Neigung, Gegenvorwuͤrfe zu machen, hinaus bin. Erlaubet mir dagegen, mein Herr, Euch zu er- oͤffnen, daß meine fernere Abſicht, warum ich auf dieſe feyerliche Art zuletzt an Euch ſchreibe, da- hin gehe, Euch zu bitten, daß Jhr allen thaͤtlichen Widerwillen, der ein allen Euren Freunden ſo
ſchaͤtz-
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durch meinen ungluͤcklichen Fehltritt widerfahren
iſt, um Verzeihung zu bitten.
Jungfraͤuliche Keuſchheit und Tugend ſollte
ſich allerdings nicht ſo verhalten, daß nur einmal
ein Argwohn auf ſie fiele: jedoch, wenn Jhr
meine ganze Geſchichte erfahret, werdet Jhr mehr
Grund zum Mittleiden, wo nicht zu etwas mehr,
als zum Mittleiden, fuͤr Eure vormals ungluͤckli-
che Schweſter finden.
O waͤre doch der Zorn nicht taub geweſen!
Haͤtten doch die falſchen Vorſtellungen zugegeben,
daß man ſich gehoͤrig erkundigt haben moͤchte!
Haͤtte doch Euer ſtrenges Herze, wo es nicht
ſelbſt beſaͤnftigt werden konnte, die Gewalt, wel-
che Jhr uͤber einen jeden bekommen hattet, ge-
maͤßiget, und andern Herzen erlaubet, ſich guͤtiger
auszulaſſen!
Allein ich ſchreibe nicht, Misvergnuͤgen zu er-
wecken. Jch wollte lieber haben, daß Jhr mich
noch immer fuͤr ſtrafwuͤrdig hieltet, als daß Jhr
Euch der Folgen, die aus meiner Rechtfertigung
fließen werden, annehmen ſolltet.
Jch ſetze daher eine Sache beyſeite, welche ich
nicht einmal zu beruͤhren willens war. Denn
ich hoffe, indem ich dieſes ſchreibe, daß ich uͤber alle
Neigung, Gegenvorwuͤrfe zu machen, hinaus bin.
Erlaubet mir dagegen, mein Herr, Euch zu er-
oͤffnen, daß meine fernere Abſicht, warum ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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