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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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mein Stolz und meine Eitelkeit gedemüthiget
würde.

Dem zufolge wurden Versuchungen geschickt.
Jch nahm ab zur Zeit der Prüsung. Meine
Klugheit, die so beschrieen gewesen war, ward zu
leicht befunden, als sie in einer gleichen Wagscha-
le gewogen werden sollte. Jch ward berücket, ich
fiel, und ward das Sprichwort meiner Gespielen
und eine Schande meiner Familie, die auf mich
vielleicht zu stolz gewesen war. Aber da mein
Fehler nicht von einem sträflichen Willen herrühr-
te: so ward nicht zugelassen, nachdem mein Stolz
sattsam gedemüthiget war, daß ich gänzlich ver-
lohren ginge, ob ich gleich mit Gefahr umringet,
und in Fallstricke verwickelt war; sondern ich
ward durch Leiden geläutert und zu dem Wechsel
geschickt gemacht, den ich nun, zu der Zeit, da
Sie dieses bekommen werden, so neulich, und, wie
ich demüthigst hoffe, so glücklich erfahren habe.

Erfreuen Sie sich denn mit mir, meine wer-
theste Herren, daß ich einen so großen Sturm
überstanden habe. Lassen Sie auch dieß nicht zu
einer Ursache des Traurens dienen, daß ich in der
Blüthe meiner Jugend hingerissen bin. "Jm
"Grabe wird nicht gefragt, ob wir zehn oder hun-
"dert Jahre gelebt haben: und der Tag des To-
"des ist besser, als der Tag unserer Geburth.

Noch einmal, wertheste Herren, nehmen
Sie meinen erkenntlichsten Dank an, für alle Jhre
Güte gegen mich, von meiner zarten Kindheit an
bis auf den Tag, den unglücklichen Tag, da ich

gefehlet



mein Stolz und meine Eitelkeit gedemuͤthiget
wuͤrde.

Dem zufolge wurden Verſuchungen geſchickt.
Jch nahm ab zur Zeit der Pruͤſung. Meine
Klugheit, die ſo beſchrieen geweſen war, ward zu
leicht befunden, als ſie in einer gleichen Wagſcha-
le gewogen werden ſollte. Jch ward beruͤcket, ich
fiel, und ward das Sprichwort meiner Geſpielen
und eine Schande meiner Familie, die auf mich
vielleicht zu ſtolz geweſen war. Aber da mein
Fehler nicht von einem ſtraͤflichen Willen herruͤhr-
te: ſo ward nicht zugelaſſen, nachdem mein Stolz
ſattſam gedemuͤthiget war, daß ich gaͤnzlich ver-
lohren ginge, ob ich gleich mit Gefahr umringet,
und in Fallſtricke verwickelt war; ſondern ich
ward durch Leiden gelaͤutert und zu dem Wechſel
geſchickt gemacht, den ich nun, zu der Zeit, da
Sie dieſes bekommen werden, ſo neulich, und, wie
ich demuͤthigſt hoffe, ſo gluͤcklich erfahren habe.

Erfreuen Sie ſich denn mit mir, meine wer-
theſte Herren, daß ich einen ſo großen Sturm
uͤberſtanden habe. Laſſen Sie auch dieß nicht zu
einer Urſache des Traurens dienen, daß ich in der
Bluͤthe meiner Jugend hingeriſſen bin. „Jm
„Grabe wird nicht gefragt, ob wir zehn oder hun-
„dert Jahre gelebt haben: und der Tag des To-
„des iſt beſſer, als der Tag unſerer Geburth.

Noch einmal, wertheſte Herren, nehmen
Sie meinen erkenntlichſten Dank an, fuͤr alle Jhre
Guͤte gegen mich, von meiner zarten Kindheit an
bis auf den Tag, den ungluͤcklichen Tag, da ich

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[504/0510] mein Stolz und meine Eitelkeit gedemuͤthiget wuͤrde. Dem zufolge wurden Verſuchungen geſchickt. Jch nahm ab zur Zeit der Pruͤſung. Meine Klugheit, die ſo beſchrieen geweſen war, ward zu leicht befunden, als ſie in einer gleichen Wagſcha- le gewogen werden ſollte. Jch ward beruͤcket, ich fiel, und ward das Sprichwort meiner Geſpielen und eine Schande meiner Familie, die auf mich vielleicht zu ſtolz geweſen war. Aber da mein Fehler nicht von einem ſtraͤflichen Willen herruͤhr- te: ſo ward nicht zugelaſſen, nachdem mein Stolz ſattſam gedemuͤthiget war, daß ich gaͤnzlich ver- lohren ginge, ob ich gleich mit Gefahr umringet, und in Fallſtricke verwickelt war; ſondern ich ward durch Leiden gelaͤutert und zu dem Wechſel geſchickt gemacht, den ich nun, zu der Zeit, da Sie dieſes bekommen werden, ſo neulich, und, wie ich demuͤthigſt hoffe, ſo gluͤcklich erfahren habe. Erfreuen Sie ſich denn mit mir, meine wer- theſte Herren, daß ich einen ſo großen Sturm uͤberſtanden habe. Laſſen Sie auch dieß nicht zu einer Urſache des Traurens dienen, daß ich in der Bluͤthe meiner Jugend hingeriſſen bin. „Jm „Grabe wird nicht gefragt, ob wir zehn oder hun- „dert Jahre gelebt haben: und der Tag des To- „des iſt beſſer, als der Tag unſerer Geburth. Noch einmal, wertheſte Herren, nehmen Sie meinen erkenntlichſten Dank an, fuͤr alle Jhre Guͤte gegen mich, von meiner zarten Kindheit an bis auf den Tag, den ungluͤcklichen Tag, da ich gefehlet

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/510>, abgerufen am 22.11.2024.