sie sich so lange, als sie ihnen noch gegönnet ist, aufs beste zu Nutze zu machen verbunden sind.
Sie wandte ihr Gesicht zu mir: und da sie mich mit einer gesetzten Stimme reden hörte, und ein eben so gesetztes Wesen annehmen sahe; so ward sie stiller und aufmerksamer.
Jch fuhr fort, und sagte ihr, daß ich mich nach denen Zeichen, die sie von sich gegeben hätte, freuete, sie über ihr vergangenes und übel ange- wandtes Leben, und sonderlich über ihr Antheil an dem Unglück des vortrefflichsten Frauenzimmers auf dem Erdboden, bekümmert zu sehen. Wo sie sich selbst sassen und sich den Folgen eines Uebels, das sie sich selbst zugezogen hätte, unter- werfen wollte: so möchte es vielleicht noch glück- lich für sie seyn. Unterdessen, setzte ich hinzu, sa- gen sie mir, warum sie ein so großes Verlangen gehabt haben mich zu sehen?
Jhre Gedanken schienen sehr verwirrt zu seyn. Sie drehete ihren Kopf hier und dorthin, und sag- te endlich nach vieler Zweifelhaftigkeit: Ach ich Elende! Jch weiß kaum, was ich von ihnen ha- be haben wollen. Als ich von meiner unmäßi- gen Entzückung erwachte, und befand, in was für einem verfluchten Zustande ich wäre: so plagte mich mein Gewissen, und ich war bereit, wie ein Unglücklicher, der eben ersaufen soll, nach einem jeden Strohhalme zu greiffen. Jch wollte gern alle und jede sehen, außer denen, die ich sahe: ei- nen jeden, von dem ich dachte, daß er mir Trost verschaffen könnte. Gleichwohl konnte ich auch
von
ſie ſich ſo lange, als ſie ihnen noch gegoͤnnet iſt, aufs beſte zu Nutze zu machen verbunden ſind.
Sie wandte ihr Geſicht zu mir: und da ſie mich mit einer geſetzten Stimme reden hoͤrte, und ein eben ſo geſetztes Weſen annehmen ſahe; ſo ward ſie ſtiller und aufmerkſamer.
Jch fuhr fort, und ſagte ihr, daß ich mich nach denen Zeichen, die ſie von ſich gegeben haͤtte, freuete, ſie uͤber ihr vergangenes und uͤbel ange- wandtes Leben, und ſonderlich uͤber ihr Antheil an dem Ungluͤck des vortrefflichſten Frauenzimmers auf dem Erdboden, bekuͤmmert zu ſehen. Wo ſie ſich ſelbſt ſaſſen und ſich den Folgen eines Uebels, das ſie ſich ſelbſt zugezogen haͤtte, unter- werfen wollte: ſo moͤchte es vielleicht noch gluͤck- lich fuͤr ſie ſeyn. Unterdeſſen, ſetzte ich hinzu, ſa- gen ſie mir, warum ſie ein ſo großes Verlangen gehabt haben mich zu ſehen?
Jhre Gedanken ſchienen ſehr verwirrt zu ſeyn. Sie drehete ihren Kopf hier und dorthin, und ſag- te endlich nach vieler Zweifelhaftigkeit: Ach ich Elende! Jch weiß kaum, was ich von ihnen ha- be haben wollen. Als ich von meiner unmaͤßi- gen Entzuͤckung erwachte, und befand, in was fuͤr einem verfluchten Zuſtande ich waͤre: ſo plagte mich mein Gewiſſen, und ich war bereit, wie ein Ungluͤcklicher, der eben erſaufen ſoll, nach einem jeden Strohhalme zu greiffen. Jch wollte gern alle und jede ſehen, außer denen, die ich ſahe: ei- nen jeden, von dem ich dachte, daß er mir Troſt verſchaffen koͤnnte. Gleichwohl konnte ich auch
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ſie ſich ſo lange, als ſie ihnen noch gegoͤnnet iſt,
aufs beſte zu Nutze zu machen verbunden ſind.
Sie wandte ihr Geſicht zu mir: und da ſie
mich mit einer geſetzten Stimme reden hoͤrte, und
ein eben ſo geſetztes Weſen annehmen ſahe; ſo
ward ſie ſtiller und aufmerkſamer.
Jch fuhr fort, und ſagte ihr, daß ich mich
nach denen Zeichen, die ſie von ſich gegeben haͤtte,
freuete, ſie uͤber ihr vergangenes und uͤbel ange-
wandtes Leben, und ſonderlich uͤber ihr Antheil an
dem Ungluͤck des vortrefflichſten Frauenzimmers
auf dem Erdboden, bekuͤmmert zu ſehen. Wo
ſie ſich ſelbſt ſaſſen und ſich den Folgen eines
Uebels, das ſie ſich ſelbſt zugezogen haͤtte, unter-
werfen wollte: ſo moͤchte es vielleicht noch gluͤck-
lich fuͤr ſie ſeyn. Unterdeſſen, ſetzte ich hinzu, ſa-
gen ſie mir, warum ſie ein ſo großes Verlangen
gehabt haben mich zu ſehen?
Jhre Gedanken ſchienen ſehr verwirrt zu ſeyn.
Sie drehete ihren Kopf hier und dorthin, und ſag-
te endlich nach vieler Zweifelhaftigkeit: Ach ich
Elende! Jch weiß kaum, was ich von ihnen ha-
be haben wollen. Als ich von meiner unmaͤßi-
gen Entzuͤckung erwachte, und befand, in was fuͤr
einem verfluchten Zuſtande ich waͤre: ſo plagte
mich mein Gewiſſen, und ich war bereit, wie ein
Ungluͤcklicher, der eben erſaufen ſoll, nach einem
jeden Strohhalme zu greiffen. Jch wollte gern
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/561>, abgerufen am 22.11.2024.
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