zur Gnüge in ihren rührenden Briefen an uns, in was für einer glücklichen Gemüthsfassung sie we- nige Tage vor ihrem Tode gestanden. Allein daurte es auch aus bis auf die letzte? Führte sie keine Klagen? Hatte das liebe Kind keine Her- zensangst?
Gar nicht! - - Jch habe niemals ein so glück- seliges Ende gesehen, werde es auch niemals wie- der sehen. Aber kein Wunder: denn ich habe niemals von einer solchen Vorbereitung gehört. Alle Stunden, vier Wochen nach einander, wurden darinn zugebracht. Lassen sie dieß unsern Trost seyn - - Wir dürfen nur uns selbst und denen, die uns zunächst am Herzen liegen, ein so glückli- ches Ende wünschen. Einige von uns können freylich über die Unfreundlichkeit, welche sie ihr bewiesen haben, betrübt seyn: aber, wenn auch alles geschehen wäre, was sie vormals wünschte; so hätte sie kein glücklicher Ende nehmen können, und vielleicht hätte sie es nicht so glücklich genom- men.
Die liebe Seele! Die liebe angenehme See- le! riefen der Vater, die Onkels, die Schwester, meine Base Hervey alle auf einmal in solchen Tö- nen aus, die eine unaussprechlich rührende Angst ausdrückten.
Wir müssen für die Unfreundlichkeit, welche wir gegen ein so angenehmes Kind bewiesen haben, beständig beunruhigt werden, schrie die unglückli- che Mutter. - - Jn der That, in der That; das sagte sie leise zu ihrer Schwester Hervey; ich habe
mich
zur Gnuͤge in ihren ruͤhrenden Briefen an uns, in was fuͤr einer gluͤcklichen Gemuͤthsfaſſung ſie we- nige Tage vor ihrem Tode geſtanden. Allein daurte es auch aus bis auf die letzte? Fuͤhrte ſie keine Klagen? Hatte das liebe Kind keine Her- zensangſt?
Gar nicht! ‒ ‒ Jch habe niemals ein ſo gluͤck- ſeliges Ende geſehen, werde es auch niemals wie- der ſehen. Aber kein Wunder: denn ich habe niemals von einer ſolchen Vorbereitung gehoͤrt. Alle Stunden, vier Wochen nach einander, wurden darinn zugebracht. Laſſen ſie dieß unſern Troſt ſeyn ‒ ‒ Wir duͤrfen nur uns ſelbſt und denen, die uns zunaͤchſt am Herzen liegen, ein ſo gluͤckli- ches Ende wuͤnſchen. Einige von uns koͤnnen freylich uͤber die Unfreundlichkeit, welche ſie ihr bewieſen haben, betruͤbt ſeyn: aber, wenn auch alles geſchehen waͤre, was ſie vormals wuͤnſchte; ſo haͤtte ſie kein gluͤcklicher Ende nehmen koͤnnen, und vielleicht haͤtte ſie es nicht ſo gluͤcklich genom- men.
Die liebe Seele! Die liebe angenehme See- le! riefen der Vater, die Onkels, die Schweſter, meine Baſe Hervey alle auf einmal in ſolchen Toͤ- nen aus, die eine unausſprechlich ruͤhrende Angſt ausdruͤckten.
Wir muͤſſen fuͤr die Unfreundlichkeit, welche wir gegen ein ſo angenehmes Kind bewieſen haben, beſtaͤndig beunruhigt werden, ſchrie die ungluͤckli- che Mutter. ‒ ‒ Jn der That, in der That; das ſagte ſie leiſe zu ihrer Schweſter Hervey; ich habe
mich
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zur Gnuͤge in ihren ruͤhrenden Briefen an uns, in
was fuͤr einer gluͤcklichen Gemuͤthsfaſſung ſie we-
nige Tage vor ihrem Tode geſtanden. Allein
daurte es auch aus bis auf die letzte? Fuͤhrte ſie
keine Klagen? Hatte das liebe Kind keine Her-
zensangſt?
Gar nicht! ‒ ‒ Jch habe niemals ein ſo gluͤck-
ſeliges Ende geſehen, werde es auch niemals wie-
der ſehen. Aber kein Wunder: denn ich habe
niemals von einer ſolchen Vorbereitung gehoͤrt.
Alle Stunden, vier Wochen nach einander, wurden
darinn zugebracht. Laſſen ſie dieß unſern Troſt
ſeyn ‒ ‒ Wir duͤrfen nur uns ſelbſt und denen,
die uns zunaͤchſt am Herzen liegen, ein ſo gluͤckli-
ches Ende wuͤnſchen. Einige von uns koͤnnen
freylich uͤber die Unfreundlichkeit, welche ſie ihr
bewieſen haben, betruͤbt ſeyn: aber, wenn auch
alles geſchehen waͤre, was ſie vormals wuͤnſchte;
ſo haͤtte ſie kein gluͤcklicher Ende nehmen koͤnnen,
und vielleicht haͤtte ſie es nicht ſo gluͤcklich genom-
men.
Die liebe Seele! Die liebe angenehme See-
le! riefen der Vater, die Onkels, die Schweſter,
meine Baſe Hervey alle auf einmal in ſolchen Toͤ-
nen aus, die eine unausſprechlich ruͤhrende Angſt
ausdruͤckten.
Wir muͤſſen fuͤr die Unfreundlichkeit, welche
wir gegen ein ſo angenehmes Kind bewieſen haben,
beſtaͤndig beunruhigt werden, ſchrie die ungluͤckli-
che Mutter. ‒ ‒ Jn der That, in der That; das
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/577>, abgerufen am 22.11.2024.
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