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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Ein Leichenwagen, der durch die Dörfer gehet
und von London kommt, zieht eines jeden Auf-
merksamkeit an sich, wenn er auch noch so wenig
Gefolge hat: denn die Kutsche wartete auf die
arme Fr. Norton, wie ich gedacht habe. Es war
auch nicht schwer zu errathen, wem dieser ange-
hen mußte, ob er gleich mit keinen Wapenschildern
behangen war, da man die Kreuzwege nach Har-
lowe-Burg nahm, so bald er innerhalb sechs
Meilen davon war. Daher hatte der Leichenwa-
gen und das feyerliche Geläute der Klocke wenig-
stens funfzig Personen an Männern, Weibern
und Kindern aus der Nachbarschaft und einige
von gutem Ansehen zusammengebracht. Keine
Seele unter ihnen, scheint es, hatte ein trocknes
Auge. Alle und jede klagten über den Tod dieser
bewundernswürdigen Fräulein, welche, wie man
mir erzählet, niemals einen Fuß aus dem Hause
gesetzt, ohne jemand durch sich glücklicher zu ma-
chen.

Diese umgaben den Sarg, als er aus dem
Leichenwagen genommen wurde, und hinderten auf
einige Augenblicke, daß er nicht hereingetragen
werden konnte. Die jungen Leute stritten sich,
wer ihn tragen sollte; jedoch mehr mit einem ehr-
erbietigen Zischeln, als einem schreienden Ge-
zänke:
ein Merkmaal der Ehrerbietung, wel-
ches ich niemals, bey irgend einer Gelegenheit,
auf allen meinen Reisen, von den geringen Leuten
abgelegt gesehen hatte, weil von diesen gemeinig-
lich in allen ihren Beeiferungen das Geräusch un-

zer-



Ein Leichenwagen, der durch die Doͤrfer gehet
und von London kommt, zieht eines jeden Auf-
merkſamkeit an ſich, wenn er auch noch ſo wenig
Gefolge hat: denn die Kutſche wartete auf die
arme Fr. Norton, wie ich gedacht habe. Es war
auch nicht ſchwer zu errathen, wem dieſer ange-
hen mußte, ob er gleich mit keinen Wapenſchildern
behangen war, da man die Kreuzwege nach Har-
lowe-Burg nahm, ſo bald er innerhalb ſechs
Meilen davon war. Daher hatte der Leichenwa-
gen und das feyerliche Gelaͤute der Klocke wenig-
ſtens funfzig Perſonen an Maͤnnern, Weibern
und Kindern aus der Nachbarſchaft und einige
von gutem Anſehen zuſammengebracht. Keine
Seele unter ihnen, ſcheint es, hatte ein trocknes
Auge. Alle und jede klagten uͤber den Tod dieſer
bewundernswuͤrdigen Fraͤulein, welche, wie man
mir erzaͤhlet, niemals einen Fuß aus dem Hauſe
geſetzt, ohne jemand durch ſich gluͤcklicher zu ma-
chen.

Dieſe umgaben den Sarg, als er aus dem
Leichenwagen genommen wurde, und hinderten auf
einige Augenblicke, daß er nicht hereingetragen
werden konnte. Die jungen Leute ſtritten ſich,
wer ihn tragen ſollte; jedoch mehr mit einem ehr-
erbietigen Ziſcheln, als einem ſchreienden Ge-
zaͤnke:
ein Merkmaal der Ehrerbietung, wel-
ches ich niemals, bey irgend einer Gelegenheit,
auf allen meinen Reiſen, von den geringen Leuten
abgelegt geſehen hatte, weil von dieſen gemeinig-
lich in allen ihren Beeiferungen das Geraͤuſch un-

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[575/0581] Ein Leichenwagen, der durch die Doͤrfer gehet und von London kommt, zieht eines jeden Auf- merkſamkeit an ſich, wenn er auch noch ſo wenig Gefolge hat: denn die Kutſche wartete auf die arme Fr. Norton, wie ich gedacht habe. Es war auch nicht ſchwer zu errathen, wem dieſer ange- hen mußte, ob er gleich mit keinen Wapenſchildern behangen war, da man die Kreuzwege nach Har- lowe-Burg nahm, ſo bald er innerhalb ſechs Meilen davon war. Daher hatte der Leichenwa- gen und das feyerliche Gelaͤute der Klocke wenig- ſtens funfzig Perſonen an Maͤnnern, Weibern und Kindern aus der Nachbarſchaft und einige von gutem Anſehen zuſammengebracht. Keine Seele unter ihnen, ſcheint es, hatte ein trocknes Auge. Alle und jede klagten uͤber den Tod dieſer bewundernswuͤrdigen Fraͤulein, welche, wie man mir erzaͤhlet, niemals einen Fuß aus dem Hauſe geſetzt, ohne jemand durch ſich gluͤcklicher zu ma- chen. Dieſe umgaben den Sarg, als er aus dem Leichenwagen genommen wurde, und hinderten auf einige Augenblicke, daß er nicht hereingetragen werden konnte. Die jungen Leute ſtritten ſich, wer ihn tragen ſollte; jedoch mehr mit einem ehr- erbietigen Ziſcheln, als einem ſchreienden Ge- zaͤnke: ein Merkmaal der Ehrerbietung, wel- ches ich niemals, bey irgend einer Gelegenheit, auf allen meinen Reiſen, von den geringen Leuten abgelegt geſehen hatte, weil von dieſen gemeinig- lich in allen ihren Beeiferungen das Geraͤuſch un- zer-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/581>, abgerufen am 22.11.2024.