Das Testament ist nicht anzusehen, bis das Leichenbegängniß vollzogen ist. Man macht zu dieser Feyerlichkeit Anstalten: und die Bedienten so wohl, als die Herrschaften, von allen Zweigen der Familie, sind in tiefer Trauer gekleidet.
Jch habe den Herrn Melvill gesehen. Er ist ein ernsthafter und nicht unempfindlicher Mann. Jch habe ihm einige besondere Umstän- de an die Hand gegeben, über die er sich in der Rede bey ihrer Beerdigung herauslassen kann. Allein ich hatte dieß um so viel weniger nöthig: da ich finde, daß ihm die ganze unglückliche Ge- schichte ungemein wohl bekannt ist, und er ein per- sönlicher Bewunderer meiner lieben Base gewe- sen, ihre Unglücksfälle aber und ihren Tod auf- richtig beklaget. Der hochwürdige D. Lewin, der erst kürzlich gestorben, ist sein vertrauter Freund gewesen, und hatte vormals die Absicht gehabt, ihn ihrer Gewogenheit zu empfehlen.
Jch komme eben von ihren bekümmerten El- tern zurück, und bin bey ihnen gewesen, da sie ei- nen Versuch gethan, die Leiche ihres geliebten Kin- des anzusehen. Sie hatten sich meine und der guten Fr. Norton Gesellschaft dabey ausgebeten. Den letzten Abschied, sagte die Mutter, müßte sie nehmen.
Jnzwischen war es doch nur ein Versuch und nichts mehr. So bald ihnen der Sarg nur zu Gesichte kam, ehe noch der Deckel beyseite ge-
than
Das Teſtament iſt nicht anzuſehen, bis das Leichenbegaͤngniß vollzogen iſt. Man macht zu dieſer Feyerlichkeit Anſtalten: und die Bedienten ſo wohl, als die Herrſchaften, von allen Zweigen der Familie, ſind in tiefer Trauer gekleidet.
Jch habe den Herrn Melvill geſehen. Er iſt ein ernſthafter und nicht unempfindlicher Mann. Jch habe ihm einige beſondere Umſtaͤn- de an die Hand gegeben, uͤber die er ſich in der Rede bey ihrer Beerdigung herauslaſſen kann. Allein ich hatte dieß um ſo viel weniger noͤthig: da ich finde, daß ihm die ganze ungluͤckliche Ge- ſchichte ungemein wohl bekannt iſt, und er ein per- ſoͤnlicher Bewunderer meiner lieben Baſe gewe- ſen, ihre Ungluͤcksfaͤlle aber und ihren Tod auf- richtig beklaget. Der hochwuͤrdige D. Lewin, der erſt kuͤrzlich geſtorben, iſt ſein vertrauter Freund geweſen, und hatte vormals die Abſicht gehabt, ihn ihrer Gewogenheit zu empfehlen.
Jch komme eben von ihren bekuͤmmerten El- tern zuruͤck, und bin bey ihnen geweſen, da ſie ei- nen Verſuch gethan, die Leiche ihres geliebten Kin- des anzuſehen. Sie hatten ſich meine und der guten Fr. Norton Geſellſchaft dabey ausgebeten. Den letzten Abſchied, ſagte die Mutter, muͤßte ſie nehmen.
Jnzwiſchen war es doch nur ein Verſuch und nichts mehr. So bald ihnen der Sarg nur zu Geſichte kam, ehe noch der Deckel beyſeite ge-
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Das Teſtament iſt nicht anzuſehen, bis das
Leichenbegaͤngniß vollzogen iſt. Man macht zu
dieſer Feyerlichkeit Anſtalten: und die Bedienten
ſo wohl, als die Herrſchaften, von allen Zweigen
der Familie, ſind in tiefer Trauer gekleidet.
Jch habe den Herrn Melvill geſehen. Er
iſt ein ernſthafter und nicht unempfindlicher
Mann. Jch habe ihm einige beſondere Umſtaͤn-
de an die Hand gegeben, uͤber die er ſich in der
Rede bey ihrer Beerdigung herauslaſſen kann.
Allein ich hatte dieß um ſo viel weniger noͤthig:
da ich finde, daß ihm die ganze ungluͤckliche Ge-
ſchichte ungemein wohl bekannt iſt, und er ein per-
ſoͤnlicher Bewunderer meiner lieben Baſe gewe-
ſen, ihre Ungluͤcksfaͤlle aber und ihren Tod auf-
richtig beklaget. Der hochwuͤrdige D. Lewin,
der erſt kuͤrzlich geſtorben, iſt ſein vertrauter
Freund geweſen, und hatte vormals die Abſicht
gehabt, ihn ihrer Gewogenheit zu empfehlen.
Jch komme eben von ihren bekuͤmmerten El-
tern zuruͤck, und bin bey ihnen geweſen, da ſie ei-
nen Verſuch gethan, die Leiche ihres geliebten Kin-
des anzuſehen. Sie hatten ſich meine und der
guten Fr. Norton Geſellſchaft dabey ausgebeten.
Den letzten Abſchied, ſagte die Mutter, muͤßte ſie
nehmen.
Jnzwiſchen war es doch nur ein Verſuch
und nichts mehr. So bald ihnen der Sarg nur
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/604>, abgerufen am 22.11.2024.
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