treuer Ausrichter ihres Testaments, damit ich die- ses Stück von ihrem letzten Willen mit meinen eignen Augen vollzogen sehe. Da zähle ich mit einer einnehmenden Betrachtung die Denkmale der Sterblichkeit, welche in der Ründe herumste- hen, und überdenke die gegenwärtige Stille so vieler ehemals geschäfftiger Eitelkeiten, welche alle in einen elenden gewölbten Winkel zusammen ge- stecket sind, als wenn die Lebendigen den Körpern dererjenigen, für welche in ihrem Leben weder Er- de, Luft noch Wasser Platz genug finden konnte, den Raum beneideten. Dann sehe ich, wie sie zu dessen Füßen gesetzt wird, dem sie zu einem ir- dischen Vergnügen gedienet hatte, und der, wie ich finde, dem Vergnügen, das sie ihm machte, die Verlängerung seines Lebens zuschreibet (*): ich seufze, und verlasse mit abgekehrtem Angesichte die feyerliche Wohnung, den sinnbildlichen Sarg und die ewige Zierde ihres Geschlechtes; ich stei- ge mit denen herauf, welche in wenigen Jahren, nach einem sehr kurzen Leben, andere Plätze von eben der Gruft, die sie itzo, da sie bloß um derje- nigen trauren, welche sie mit vereinigten Kräften verfolget haben, mit ihren Füßen drücken, ausfül- len werden.
Auch hier lassen mich Jhre rührende Be- schreibungen nicht stehen bleiben: sondern, nach- dem ich heraufgestiegen bin, mische ich meine Thrä- nen und Lobsprüche mit denen, welche von den
zahl-
(*) Man sehe den I. Th. S. 47.
Q q 3
treuer Ausrichter ihres Teſtaments, damit ich die- ſes Stuͤck von ihrem letzten Willen mit meinen eignen Augen vollzogen ſehe. Da zaͤhle ich mit einer einnehmenden Betrachtung die Denkmale der Sterblichkeit, welche in der Ruͤnde herumſte- hen, und uͤberdenke die gegenwaͤrtige Stille ſo vieler ehemals geſchaͤfftiger Eitelkeiten, welche alle in einen elenden gewoͤlbten Winkel zuſammen ge- ſtecket ſind, als wenn die Lebendigen den Koͤrpern dererjenigen, fuͤr welche in ihrem Leben weder Er- de, Luft noch Waſſer Platz genug finden konnte, den Raum beneideten. Dann ſehe ich, wie ſie zu deſſen Fuͤßen geſetzt wird, dem ſie zu einem ir- diſchen Vergnuͤgen gedienet hatte, und der, wie ich finde, dem Vergnuͤgen, das ſie ihm machte, die Verlaͤngerung ſeines Lebens zuſchreibet (*): ich ſeufze, und verlaſſe mit abgekehrtem Angeſichte die feyerliche Wohnung, den ſinnbildlichen Sarg und die ewige Zierde ihres Geſchlechtes; ich ſtei- ge mit denen herauf, welche in wenigen Jahren, nach einem ſehr kurzen Leben, andere Plaͤtze von eben der Gruft, die ſie itzo, da ſie bloß um derje- nigen trauren, welche ſie mit vereinigten Kraͤften verfolget haben, mit ihren Fuͤßen druͤcken, ausfuͤl- len werden.
Auch hier laſſen mich Jhre ruͤhrende Be- ſchreibungen nicht ſtehen bleiben: ſondern, nach- dem ich heraufgeſtiegen bin, miſche ich meine Thraͤ- nen und Lobſpruͤche mit denen, welche von den
zahl-
(*) Man ſehe den I. Th. S. 47.
Q q 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0619"n="613"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
treuer Ausrichter ihres Teſtaments, damit ich die-<lb/>ſes Stuͤck von ihrem letzten Willen mit meinen<lb/>
eignen Augen vollzogen ſehe. Da zaͤhle ich mit<lb/>
einer einnehmenden Betrachtung die Denkmale<lb/>
der Sterblichkeit, welche in der Ruͤnde herumſte-<lb/>
hen, und uͤberdenke die gegenwaͤrtige Stille ſo<lb/>
vieler ehemals geſchaͤfftiger Eitelkeiten, welche alle<lb/>
in einen elenden gewoͤlbten Winkel zuſammen ge-<lb/>ſtecket ſind, als wenn die Lebendigen den Koͤrpern<lb/>
dererjenigen, fuͤr welche in ihrem Leben weder Er-<lb/>
de, Luft noch Waſſer Platz genug finden konnte,<lb/>
den Raum beneideten. Dann ſehe ich, wie ſie<lb/>
zu deſſen Fuͤßen geſetzt wird, dem ſie zu einem ir-<lb/>
diſchen Vergnuͤgen gedienet hatte, und der, wie<lb/>
ich finde, dem Vergnuͤgen, das ſie ihm machte, die<lb/>
Verlaͤngerung ſeines Lebens zuſchreibet <noteplace="foot"n="(*)">Man ſehe den <hirendition="#aq">I.</hi> Th. S. 47.</note>: ich<lb/>ſeufze, und verlaſſe mit abgekehrtem Angeſichte die<lb/>
feyerliche Wohnung, den ſinnbildlichen Sarg<lb/>
und die ewige Zierde ihres Geſchlechtes; ich ſtei-<lb/>
ge mit denen herauf, welche in wenigen Jahren,<lb/>
nach einem ſehr kurzen Leben, andere Plaͤtze von<lb/>
eben der Gruft, die ſie itzo, da ſie bloß um derje-<lb/>
nigen trauren, welche ſie mit vereinigten Kraͤften<lb/>
verfolget haben, mit ihren Fuͤßen druͤcken, ausfuͤl-<lb/>
len werden.</p><lb/><p>Auch <hirendition="#fr">hier</hi> laſſen mich Jhre ruͤhrende Be-<lb/>ſchreibungen nicht ſtehen bleiben: ſondern, nach-<lb/>
dem ich heraufgeſtiegen bin, miſche ich meine Thraͤ-<lb/>
nen und Lobſpruͤche mit denen, welche von den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q q 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">zahl-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[613/0619]
treuer Ausrichter ihres Teſtaments, damit ich die-
ſes Stuͤck von ihrem letzten Willen mit meinen
eignen Augen vollzogen ſehe. Da zaͤhle ich mit
einer einnehmenden Betrachtung die Denkmale
der Sterblichkeit, welche in der Ruͤnde herumſte-
hen, und uͤberdenke die gegenwaͤrtige Stille ſo
vieler ehemals geſchaͤfftiger Eitelkeiten, welche alle
in einen elenden gewoͤlbten Winkel zuſammen ge-
ſtecket ſind, als wenn die Lebendigen den Koͤrpern
dererjenigen, fuͤr welche in ihrem Leben weder Er-
de, Luft noch Waſſer Platz genug finden konnte,
den Raum beneideten. Dann ſehe ich, wie ſie
zu deſſen Fuͤßen geſetzt wird, dem ſie zu einem ir-
diſchen Vergnuͤgen gedienet hatte, und der, wie
ich finde, dem Vergnuͤgen, das ſie ihm machte, die
Verlaͤngerung ſeines Lebens zuſchreibet (*): ich
ſeufze, und verlaſſe mit abgekehrtem Angeſichte die
feyerliche Wohnung, den ſinnbildlichen Sarg
und die ewige Zierde ihres Geſchlechtes; ich ſtei-
ge mit denen herauf, welche in wenigen Jahren,
nach einem ſehr kurzen Leben, andere Plaͤtze von
eben der Gruft, die ſie itzo, da ſie bloß um derje-
nigen trauren, welche ſie mit vereinigten Kraͤften
verfolget haben, mit ihren Fuͤßen druͤcken, ausfuͤl-
len werden.
Auch hier laſſen mich Jhre ruͤhrende Be-
ſchreibungen nicht ſtehen bleiben: ſondern, nach-
dem ich heraufgeſtiegen bin, miſche ich meine Thraͤ-
nen und Lobſpruͤche mit denen, welche von den
zahl-
(*) Man ſehe den I. Th. S. 47.
Q q 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/619>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.