Weibern in Acht genommen hätte: und dieser pflegte allezeit zu sagen, daß nichts als windmache- risches Großprahlen an der Arzneykunst wäre, und daß derjenige, der am besten muthmaßen und rathen könnte, der beste Arzt seyn würde. Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer- den, als daß wir euch zu Hülfe rufen? Und was thut ihr, nachdem ihr herbeygerufen seyd, als daß ihr unsere Krankheiten unterhaltet, bis ihr sie aus Zwergen zu Riesen machet? - - Dann kommt ihr mit feyerlich ernsthaften Ge- sichtern gekrochen, wenn ihr euch schämet mehr vorzuschreiben, oder wenn der Magen wegen eu- rer giftigen Tränke seine natürliche Nahrung nicht mehr vertragen kann: Jch fürchte leider, daß die Arzneykunst nichts mehr für ihn thun könne! - - Sie braucht es auch nicht, wenn sie den armen Menschen, der alle seine Zu- versicht auf eure Zunft und auf die schmeichelnde Hoffnung, die ihr ihm machtet, setzte, schon an die Thür des Grabes gebracht hat.
Der Arzt war ganz bestürzt, sagte aber doch: Wenn wir sterbliche Menschen unsterblich ma- chen könnten und nicht wollten, so möchte dieß alles seine Richtigkeit haben.
Jch strafte den armen Belton deswegen. Je- doch entschuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es ist eine betrübte Sache, zu sterben, werther Herr Doctor, wenn wir so ungemeine Lust zu leben ha-
ben,
Weibern in Acht genommen haͤtte: und dieſer pflegte allezeit zu ſagen, daß nichts als windmache- riſches Großprahlen an der Arzneykunſt waͤre, und daß derjenige, der am beſten muthmaßen und rathen koͤnnte, der beſte Arzt ſeyn wuͤrde. Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer- den, als daß wir euch zu Huͤlfe rufen? Und was thut ihr, nachdem ihr herbeygerufen ſeyd, als daß ihr unſere Krankheiten unterhaltet, bis ihr ſie aus Zwergen zu Rieſen machet? ‒ ‒ Dann kommt ihr mit feyerlich ernſthaften Ge- ſichtern gekrochen, wenn ihr euch ſchaͤmet mehr vorzuſchreiben, oder wenn der Magen wegen eu- rer giftigen Traͤnke ſeine natuͤrliche Nahrung nicht mehr vertragen kann: Jch fuͤrchte leider, daß die Arzneykunſt nichts mehr fuͤr ihn thun koͤnne! ‒ ‒ Sie braucht es auch nicht, wenn ſie den armen Menſchen, der alle ſeine Zu- verſicht auf eure Zunft und auf die ſchmeichelnde Hoffnung, die ihr ihm machtet, ſetzte, ſchon an die Thuͤr des Grabes gebracht hat.
Der Arzt war ganz beſtuͤrzt, ſagte aber doch: Wenn wir ſterbliche Menſchen unſterblich ma- chen koͤnnten und nicht wollten, ſo moͤchte dieß alles ſeine Richtigkeit haben.
Jch ſtrafte den armen Belton deswegen. Je- doch entſchuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es iſt eine betruͤbte Sache, zu ſterben, werther Herr Doctor, wenn wir ſo ungemeine Luſt zu leben ha-
ben,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0064"n="58"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Weibern in Acht genommen haͤtte: und dieſer<lb/>
pflegte allezeit zu ſagen, daß nichts als windmache-<lb/>
riſches Großprahlen an der Arzneykunſt waͤre,<lb/>
und daß derjenige, der am beſten muthmaßen<lb/>
und rathen koͤnnte, der beſte Arzt ſeyn wuͤrde.<lb/>
Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun<lb/>
wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben<lb/>
und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer-<lb/>
den, als daß wir <hirendition="#fr">euch zu Huͤlfe</hi> rufen? Und<lb/>
was thut <hirendition="#fr">ihr,</hi> nachdem ihr herbeygerufen ſeyd,<lb/>
als daß ihr unſere Krankheiten unterhaltet, bis<lb/>
ihr ſie aus Zwergen zu Rieſen machet? ‒‒<lb/>
Dann kommt ihr mit feyerlich ernſthaften Ge-<lb/>ſichtern gekrochen, wenn ihr euch ſchaͤmet mehr<lb/>
vorzuſchreiben, oder wenn der Magen wegen eu-<lb/>
rer giftigen Traͤnke ſeine natuͤrliche Nahrung<lb/>
nicht mehr vertragen kann: <hirendition="#fr">Jch fuͤrchte leider,<lb/>
daß die Arzneykunſt nichts mehr fuͤr ihn<lb/>
thun koͤnne!</hi>‒‒ Sie braucht es auch nicht,<lb/>
wenn ſie den armen Menſchen, der alle ſeine Zu-<lb/>
verſicht auf eure Zunft und auf die ſchmeichelnde<lb/>
Hoffnung, die ihr ihm machtet, ſetzte, ſchon an die<lb/>
Thuͤr des Grabes gebracht hat.</p><lb/><p>Der Arzt war ganz beſtuͤrzt, ſagte aber doch:<lb/>
Wenn wir ſterbliche Menſchen <hirendition="#fr">unſterblich</hi> ma-<lb/>
chen koͤnnten und <hirendition="#fr">nicht wollten,</hi>ſo moͤchte dieß<lb/>
alles ſeine Richtigkeit haben.</p><lb/><p>Jch ſtrafte den armen Belton deswegen. Je-<lb/>
doch entſchuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es iſt<lb/>
eine betruͤbte Sache, zu ſterben, werther Herr<lb/>
Doctor, wenn wir ſo ungemeine Luſt zu leben ha-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ben,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[58/0064]
Weibern in Acht genommen haͤtte: und dieſer
pflegte allezeit zu ſagen, daß nichts als windmache-
riſches Großprahlen an der Arzneykunſt waͤre,
und daß derjenige, der am beſten muthmaßen
und rathen koͤnnte, der beſte Arzt ſeyn wuͤrde.
Jch pflegte ihm auch zu glauben. Was thun
wir aber gleichwohl aus großer Liebe zum Leben
und Furcht vor dem Tode, wenn wir krank wer-
den, als daß wir euch zu Huͤlfe rufen? Und
was thut ihr, nachdem ihr herbeygerufen ſeyd,
als daß ihr unſere Krankheiten unterhaltet, bis
ihr ſie aus Zwergen zu Rieſen machet? ‒ ‒
Dann kommt ihr mit feyerlich ernſthaften Ge-
ſichtern gekrochen, wenn ihr euch ſchaͤmet mehr
vorzuſchreiben, oder wenn der Magen wegen eu-
rer giftigen Traͤnke ſeine natuͤrliche Nahrung
nicht mehr vertragen kann: Jch fuͤrchte leider,
daß die Arzneykunſt nichts mehr fuͤr ihn
thun koͤnne! ‒ ‒ Sie braucht es auch nicht,
wenn ſie den armen Menſchen, der alle ſeine Zu-
verſicht auf eure Zunft und auf die ſchmeichelnde
Hoffnung, die ihr ihm machtet, ſetzte, ſchon an die
Thuͤr des Grabes gebracht hat.
Der Arzt war ganz beſtuͤrzt, ſagte aber doch:
Wenn wir ſterbliche Menſchen unſterblich ma-
chen koͤnnten und nicht wollten, ſo moͤchte dieß
alles ſeine Richtigkeit haben.
Jch ſtrafte den armen Belton deswegen. Je-
doch entſchuldigte ich ihn bey dem Arzt. Es iſt
eine betruͤbte Sache, zu ſterben, werther Herr
Doctor, wenn wir ſo ungemeine Luſt zu leben ha-
ben,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/64>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.