ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe- sen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet habt. Jch glaube in Wahrheit, hätte ich nicht so viel garstiges Zeug eingenommen, ich würde nun ein gesunder Mensch seyn - - Aber, wer, Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunst nur darinn bestehet, uns mit falscher Hoffnung zu speisen, indem sie uns zu Grunde richten hel- fen? Und die, alle mit einander, nichts wissen, als durch bloße Muthmaßung?
Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit stärkerer Stimme und besserem Zusammenhange, als man verschiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom- men hatte, wo sie mich aufgeben, so gebe ich sie auch auf - - Der einzige anständige und gewisse Theil der Heilungskunst ist die Kunst der Wund- ärzte. Ein guter Wundarzt ist so viel werth, als tausend von ihnen. Jch bin oft in der Wund- ärzte Händen gewesen, und habe allezeit Ursache gefunden, mich auf ihre Geschicklichkeit zu verlas- sen. Aber, mein Herr, was ist eure Kunst? - - Nur schmieren, schmieren, schmieren; flicken, flicken, flicken; pflastern, pflastern, pflastern: bis ihr erstlich die Lust zum Essen, und hernach die Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet, gänzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal einen guten Freund - - Mein lieber Belford, du hast den ehrlichen Blomer wohl gekannt - - der würde einen so guten Arzt abgegeben haben, als einer in England, wenn er sich nur selbst vor den Ausschweifungen bey dem Wein und den
Wei-
D 5
ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe- ſen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet habt. Jch glaube in Wahrheit, haͤtte ich nicht ſo viel garſtiges Zeug eingenommen, ich wuͤrde nun ein geſunder Menſch ſeyn ‒ ‒ Aber, wer, Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunſt nur darinn beſtehet, uns mit falſcher Hoffnung zu ſpeiſen, indem ſie uns zu Grunde richten hel- fen? Und die, alle mit einander, nichts wiſſen, als durch bloße Muthmaßung?
Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit ſtaͤrkerer Stimme und beſſerem Zuſammenhange, als man verſchiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom- men hatte, wo ſie mich aufgeben, ſo gebe ich ſie auch auf ‒ ‒ Der einzige anſtaͤndige und gewiſſe Theil der Heilungskunſt iſt die Kunſt der Wund- aͤrzte. Ein guter Wundarzt iſt ſo viel werth, als tauſend von ihnen. Jch bin oft in der Wund- aͤrzte Haͤnden geweſen, und habe allezeit Urſache gefunden, mich auf ihre Geſchicklichkeit zu verlaſ- ſen. Aber, mein Herr, was iſt eure Kunſt? ‒ ‒ Nur ſchmieren, ſchmieren, ſchmieren; flicken, flicken, flicken; pflaſtern, pflaſtern, pflaſtern: bis ihr erſtlich die Luſt zum Eſſen, und hernach die Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet, gaͤnzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal einen guten Freund ‒ ‒ Mein lieber Belford, du haſt den ehrlichen Blomer wohl gekannt ‒ ‒ der wuͤrde einen ſo guten Arzt abgegeben haben, als einer in England, wenn er ſich nur ſelbſt vor den Ausſchweifungen bey dem Wein und den
Wei-
D 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0063"n="57"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe-<lb/>ſen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet<lb/>
habt. Jch glaube in Wahrheit, haͤtte ich nicht<lb/>ſo viel garſtiges Zeug eingenommen, ich wuͤrde<lb/>
nun ein geſunder Menſch ſeyn ‒‒ Aber, wer,<lb/>
Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunſt<lb/>
nur darinn beſtehet, uns mit falſcher Hoffnung<lb/>
zu ſpeiſen, indem ſie uns zu Grunde richten hel-<lb/>
fen? Und die, alle mit einander, nichts wiſſen,<lb/>
als durch bloße Muthmaßung?</p><lb/><p>Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit ſtaͤrkerer<lb/>
Stimme und beſſerem Zuſammenhange, als man<lb/>
verſchiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom-<lb/>
men hatte, wo ſie <hirendition="#fr">mich</hi> aufgeben, ſo gebe ich <hirendition="#fr">ſie</hi><lb/>
auch auf ‒‒ Der einzige anſtaͤndige und gewiſſe<lb/>
Theil der Heilungskunſt iſt die Kunſt der Wund-<lb/>
aͤrzte. Ein guter Wundarzt iſt ſo viel werth,<lb/>
als tauſend von ihnen. Jch bin oft in der Wund-<lb/>
aͤrzte Haͤnden geweſen, und habe allezeit Urſache<lb/>
gefunden, mich auf ihre Geſchicklichkeit zu verlaſ-<lb/>ſen. Aber, mein Herr, was iſt <hirendition="#fr">eure</hi> Kunſt?<lb/>‒‒ Nur ſchmieren, ſchmieren, ſchmieren; flicken,<lb/>
flicken, flicken; pflaſtern, pflaſtern, pflaſtern: bis<lb/>
ihr erſtlich die Luſt zum Eſſen, und hernach die<lb/>
Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet,<lb/>
gaͤnzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal<lb/>
einen guten Freund ‒‒ Mein lieber Belford,<lb/>
du haſt den ehrlichen Blomer wohl gekannt ‒‒<lb/>
der wuͤrde einen ſo guten Arzt abgegeben haben,<lb/>
als einer in England, wenn er ſich nur ſelbſt vor<lb/>
den Ausſchweifungen bey dem Wein und den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Wei-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[57/0063]
ganzes Jahr ein bloß leidendes Werkzeug gewe-
ſen, daran ihr Aerzte nach Gefallen gearbeitet
habt. Jch glaube in Wahrheit, haͤtte ich nicht
ſo viel garſtiges Zeug eingenommen, ich wuͤrde
nun ein geſunder Menſch ſeyn ‒ ‒ Aber, wer,
Hagel, wollte denn die Aerzte achten, deren Kunſt
nur darinn beſtehet, uns mit falſcher Hoffnung
zu ſpeiſen, indem ſie uns zu Grunde richten hel-
fen? Und die, alle mit einander, nichts wiſſen,
als durch bloße Muthmaßung?
Mein Herr, fuhr er hitzig fort, mit ſtaͤrkerer
Stimme und beſſerem Zuſammenhange, als man
verſchiedne Stunden vorher an ihm wahrgenom-
men hatte, wo ſie mich aufgeben, ſo gebe ich ſie
auch auf ‒ ‒ Der einzige anſtaͤndige und gewiſſe
Theil der Heilungskunſt iſt die Kunſt der Wund-
aͤrzte. Ein guter Wundarzt iſt ſo viel werth,
als tauſend von ihnen. Jch bin oft in der Wund-
aͤrzte Haͤnden geweſen, und habe allezeit Urſache
gefunden, mich auf ihre Geſchicklichkeit zu verlaſ-
ſen. Aber, mein Herr, was iſt eure Kunſt?
‒ ‒ Nur ſchmieren, ſchmieren, ſchmieren; flicken,
flicken, flicken; pflaſtern, pflaſtern, pflaſtern: bis
ihr erſtlich die Luſt zum Eſſen, und hernach die
Natur, der ihr aufzuhelfen herbeygerufen werdet,
gaͤnzlich zu Grunde richtet. Jch hatte einmal
einen guten Freund ‒ ‒ Mein lieber Belford,
du haſt den ehrlichen Blomer wohl gekannt ‒ ‒
der wuͤrde einen ſo guten Arzt abgegeben haben,
als einer in England, wenn er ſich nur ſelbſt vor
den Ausſchweifungen bey dem Wein und den
Wei-
D 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/63>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.