Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite


Die edle Geringschätzung der Fräulein gegen
das Nichts, wie sie es eben so edelmüthig nen-
net, über welches sie so genaue Verordnungen ge-
macht hätte, nämlich ihren Leib; und die Ent-
schuldigung wegen der Weitläuftigkeit dieser ge-
nauen Verordnung, die sie von den Umständen
hernimmt, in welchen sie gewesen - - hatten eben
dieselbe und eine eben so starke Wirkung über
mich, als da ich diesen lebhaften und fast beseelten
Absatz das erste mal las: und wie mein Auge,
das ich wechselsweise auf sie alle fallen lies, ihnen
die Erinnerung dabey gab, so rührte er sie auch
alle.

Nachdem der Artikel gelesen war, welcher
dem Vater des Großvaters Gut vermachet, nebst
dem dazu angegebenen Grunde, welcher so edel-
müthig und so pflichtmäßig ist: konnte der Vater
nicht länger sitzen bleiben, sondern ging weg; in-
dem er seine Augen wischte, und seine Hände ge-
gen Herrn Jakob Harlowe aufhub, welcher auf-
stand ihm bis zur Thüre zu folgen, wie Arabella
gleichfalls that - - Alles, was er sagen konnte,
war dieß - - O Sohn, Sohn! - - O Mägd-
chen! Mägdchen! - - als wenn er ihnen die
Rollen, welche sie gespielet, und ihn zu spielen ver-
leitet hatten, verweisen wollte.

Jedoch bewiesen sich dieser Bruder und
Schwester bey einer und der andern Gelegenheit
als wirkliche Bestreiter des Testaments.

Die Zunge und Augen mögen sagen, was sie
wollen, Herr Belford: die Vorlesung eines Te-

staments,
Siebenter Theil. T t


Die edle Geringſchaͤtzung der Fraͤulein gegen
das Nichts, wie ſie es eben ſo edelmuͤthig nen-
net, uͤber welches ſie ſo genaue Verordnungen ge-
macht haͤtte, naͤmlich ihren Leib; und die Ent-
ſchuldigung wegen der Weitlaͤuftigkeit dieſer ge-
nauen Verordnung, die ſie von den Umſtaͤnden
hernimmt, in welchen ſie geweſen ‒ ‒ hatten eben
dieſelbe und eine eben ſo ſtarke Wirkung uͤber
mich, als da ich dieſen lebhaften und faſt beſeelten
Abſatz das erſte mal las: und wie mein Auge,
das ich wechſelsweiſe auf ſie alle fallen lies, ihnen
die Erinnerung dabey gab, ſo ruͤhrte er ſie auch
alle.

Nachdem der Artikel geleſen war, welcher
dem Vater des Großvaters Gut vermachet, nebſt
dem dazu angegebenen Grunde, welcher ſo edel-
muͤthig und ſo pflichtmaͤßig iſt: konnte der Vater
nicht laͤnger ſitzen bleiben, ſondern ging weg; in-
dem er ſeine Augen wiſchte, und ſeine Haͤnde ge-
gen Herrn Jakob Harlowe aufhub, welcher auf-
ſtand ihm bis zur Thuͤre zu folgen, wie Arabella
gleichfalls that ‒ ‒ Alles, was er ſagen konnte,
war dieß ‒ ‒ O Sohn, Sohn! ‒ ‒ O Maͤgd-
chen! Maͤgdchen! ‒ ‒ als wenn er ihnen die
Rollen, welche ſie geſpielet, und ihn zu ſpielen ver-
leitet hatten, verweiſen wollte.

Jedoch bewieſen ſich dieſer Bruder und
Schweſter bey einer und der andern Gelegenheit
als wirkliche Beſtreiter des Teſtaments.

Die Zunge und Augen moͤgen ſagen, was ſie
wollen, Herr Belford: die Vorleſung eines Te-

ſtaments,
Siebenter Theil. T t
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0663" n="657"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Die edle Gering&#x017F;cha&#x0364;tzung der Fra&#x0364;ulein gegen<lb/>
das <hi rendition="#fr">Nichts,</hi> wie &#x017F;ie es eben &#x017F;o edelmu&#x0364;thig nen-<lb/>
net, u&#x0364;ber welches &#x017F;ie &#x017F;o genaue Verordnungen ge-<lb/>
macht ha&#x0364;tte, na&#x0364;mlich ihren Leib; und die Ent-<lb/>
&#x017F;chuldigung wegen der Weitla&#x0364;uftigkeit die&#x017F;er ge-<lb/>
nauen Verordnung, die &#x017F;ie von den Um&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
hernimmt, in welchen &#x017F;ie gewe&#x017F;en &#x2012; &#x2012; hatten eben<lb/>
die&#x017F;elbe und eine eben &#x017F;o &#x017F;tarke Wirkung u&#x0364;ber<lb/>
mich, als da ich die&#x017F;en lebhaften und fa&#x017F;t be&#x017F;eelten<lb/>
Ab&#x017F;atz das er&#x017F;te mal las: und wie mein Auge,<lb/>
das ich wech&#x017F;elswei&#x017F;e auf &#x017F;ie alle fallen lies, ihnen<lb/>
die Erinnerung dabey gab, &#x017F;o ru&#x0364;hrte er &#x017F;ie auch<lb/>
alle.</p><lb/>
          <p>Nachdem der Artikel gele&#x017F;en war, welcher<lb/>
dem Vater des Großvaters Gut vermachet, neb&#x017F;t<lb/>
dem dazu angegebenen Grunde, welcher &#x017F;o edel-<lb/>
mu&#x0364;thig und &#x017F;o pflichtma&#x0364;ßig i&#x017F;t: konnte der Vater<lb/>
nicht la&#x0364;nger &#x017F;itzen bleiben, &#x017F;ondern ging weg; in-<lb/>
dem er &#x017F;eine Augen wi&#x017F;chte, und &#x017F;eine Ha&#x0364;nde ge-<lb/>
gen Herrn Jakob Harlowe aufhub, welcher auf-<lb/>
&#x017F;tand ihm bis zur Thu&#x0364;re zu folgen, wie Arabella<lb/>
gleichfalls that &#x2012; &#x2012; Alles, was er &#x017F;agen konnte,<lb/>
war dieß &#x2012; &#x2012; O Sohn, Sohn! &#x2012; &#x2012; O Ma&#x0364;gd-<lb/>
chen! Ma&#x0364;gdchen! &#x2012; &#x2012; als wenn er ihnen die<lb/>
Rollen, welche &#x017F;ie ge&#x017F;pielet, und ihn zu &#x017F;pielen ver-<lb/>
leitet hatten, verwei&#x017F;en wollte.</p><lb/>
          <p>Jedoch bewie&#x017F;en &#x017F;ich die&#x017F;er Bruder und<lb/>
Schwe&#x017F;ter bey einer und der andern Gelegenheit<lb/>
als wirkliche Be&#x017F;treiter des Te&#x017F;taments.</p><lb/>
          <p>Die Zunge und Augen mo&#x0364;gen &#x017F;agen, was &#x017F;ie<lb/>
wollen, Herr Belford: die Vorle&#x017F;ung eines Te-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Siebenter Theil.</hi> T t</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;taments,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[657/0663] Die edle Geringſchaͤtzung der Fraͤulein gegen das Nichts, wie ſie es eben ſo edelmuͤthig nen- net, uͤber welches ſie ſo genaue Verordnungen ge- macht haͤtte, naͤmlich ihren Leib; und die Ent- ſchuldigung wegen der Weitlaͤuftigkeit dieſer ge- nauen Verordnung, die ſie von den Umſtaͤnden hernimmt, in welchen ſie geweſen ‒ ‒ hatten eben dieſelbe und eine eben ſo ſtarke Wirkung uͤber mich, als da ich dieſen lebhaften und faſt beſeelten Abſatz das erſte mal las: und wie mein Auge, das ich wechſelsweiſe auf ſie alle fallen lies, ihnen die Erinnerung dabey gab, ſo ruͤhrte er ſie auch alle. Nachdem der Artikel geleſen war, welcher dem Vater des Großvaters Gut vermachet, nebſt dem dazu angegebenen Grunde, welcher ſo edel- muͤthig und ſo pflichtmaͤßig iſt: konnte der Vater nicht laͤnger ſitzen bleiben, ſondern ging weg; in- dem er ſeine Augen wiſchte, und ſeine Haͤnde ge- gen Herrn Jakob Harlowe aufhub, welcher auf- ſtand ihm bis zur Thuͤre zu folgen, wie Arabella gleichfalls that ‒ ‒ Alles, was er ſagen konnte, war dieß ‒ ‒ O Sohn, Sohn! ‒ ‒ O Maͤgd- chen! Maͤgdchen! ‒ ‒ als wenn er ihnen die Rollen, welche ſie geſpielet, und ihn zu ſpielen ver- leitet hatten, verweiſen wollte. Jedoch bewieſen ſich dieſer Bruder und Schweſter bey einer und der andern Gelegenheit als wirkliche Beſtreiter des Teſtaments. Die Zunge und Augen moͤgen ſagen, was ſie wollen, Herr Belford: die Vorleſung eines Te- ſtaments, Siebenter Theil. T t

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/663
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/663>, abgerufen am 16.07.2024.