derselben jemand gewählet: so, darf ich kühnlich sagen, würde auf ihr Testament nicht mehr geach- tet seyn, als auf den letzten Willen eines verstor- benen Königs; als insonderheit auf das Testa- ment Ludwigs des XIVten, das so offenbar von seinem Enkel, dem Herzog von Orleans, ehe er noch einmal kalt war, gebrochen wurde; das ein- zige mal vielleicht, da der Wille dieses Monar- chen Widerspruch gefunden.
Allein Herr Jakob Harlowe bedenket gar nicht, daß, indem er nach Hunderten greift, er nach der höchsten Wahrscheinlichkeit Tausender verlustig gehen werde, wo er mich überlebet. Ein so eigennütziger und niederträchtiger Mensch soll mein Erbe nicht seyn.
Sie werden sich besser vorstellen können, Hr. Belford, als ich es ausdrücken kann, wie sehr sie bey dem gegebenen Wink, daß die liebe Fräulein genöthigt worden, einige von ihren Kleidern zu veräußern, gerühret wurden.
Stillschweigende Vorwürfe bemächtigten sich eines jeden unter ihnen: als ich zu der Stelle kam, wo sie berühret, daß sie die Ausfüllung einiger leer- gelassenen Plätze, in Hoffnung, den letzten Segen und Vergebung von ihnen zu erlangen, verscho- ben habe.
Jch will nur noch dieses beyfügen, daß es ihnen unerträglich war, den Beschluß anzuhören, der mit so feyerlichem Nachdruck an ihren Erlö- ser gerichtet ist. Sie stunden alle von ihren Stühlen auf und eilten haufenweise aus dem
Zim-
T t 3
derſelben jemand gewaͤhlet: ſo, darf ich kuͤhnlich ſagen, wuͤrde auf ihr Teſtament nicht mehr geach- tet ſeyn, als auf den letzten Willen eines verſtor- benen Koͤnigs; als inſonderheit auf das Teſta- ment Ludwigs des XIVten, das ſo offenbar von ſeinem Enkel, dem Herzog von Orleans, ehe er noch einmal kalt war, gebrochen wurde; das ein- zige mal vielleicht, da der Wille dieſes Monar- chen Widerſpruch gefunden.
Allein Herr Jakob Harlowe bedenket gar nicht, daß, indem er nach Hunderten greift, er nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit Tauſender verluſtig gehen werde, wo er mich uͤberlebet. Ein ſo eigennuͤtziger und niedertraͤchtiger Menſch ſoll mein Erbe nicht ſeyn.
Sie werden ſich beſſer vorſtellen koͤnnen, Hr. Belford, als ich es ausdruͤcken kann, wie ſehr ſie bey dem gegebenen Wink, daß die liebe Fraͤulein genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu veraͤußern, geruͤhret wurden.
Stillſchweigende Vorwuͤrfe bemaͤchtigten ſich eines jeden unter ihnen: als ich zu der Stelle kam, wo ſie beruͤhret, daß ſie die Ausfuͤllung einiger leer- gelaſſenen Plaͤtze, in Hoffnung, den letzten Segen und Vergebung von ihnen zu erlangen, verſcho- ben habe.
Jch will nur noch dieſes beyfuͤgen, daß es ihnen unertraͤglich war, den Beſchluß anzuhoͤren, der mit ſo feyerlichem Nachdruck an ihren Erloͤ- ſer gerichtet iſt. Sie ſtunden alle von ihren Stuͤhlen auf und eilten haufenweiſe aus dem
Zim-
T t 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0667"n="661"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
derſelben jemand gewaͤhlet: ſo, darf ich kuͤhnlich<lb/>ſagen, wuͤrde auf ihr Teſtament nicht mehr geach-<lb/>
tet ſeyn, als auf den letzten Willen eines verſtor-<lb/>
benen Koͤnigs; als inſonderheit auf das Teſta-<lb/>
ment Ludwigs des <hirendition="#aq">XIV</hi>ten, das ſo offenbar von<lb/>ſeinem Enkel, dem Herzog von Orleans, ehe er<lb/>
noch einmal kalt war, gebrochen wurde; das ein-<lb/>
zige mal vielleicht, da der Wille dieſes Monar-<lb/>
chen Widerſpruch gefunden.</p><lb/><p>Allein Herr Jakob Harlowe bedenket gar<lb/>
nicht, daß, indem er nach Hunderten greift, er<lb/>
nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit Tauſender<lb/>
verluſtig gehen werde, wo er mich uͤberlebet. Ein<lb/>ſo eigennuͤtziger und niedertraͤchtiger Menſch ſoll<lb/>
mein Erbe nicht ſeyn.</p><lb/><p>Sie werden ſich beſſer vorſtellen koͤnnen, Hr.<lb/>
Belford, als ich es ausdruͤcken kann, wie ſehr ſie<lb/>
bey dem gegebenen Wink, daß die liebe Fraͤulein<lb/>
genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu<lb/>
veraͤußern, geruͤhret wurden.</p><lb/><p>Stillſchweigende Vorwuͤrfe bemaͤchtigten ſich<lb/>
eines jeden unter ihnen: als ich zu der Stelle kam,<lb/>
wo ſie beruͤhret, daß ſie die Ausfuͤllung einiger leer-<lb/>
gelaſſenen Plaͤtze, in Hoffnung, den letzten Segen<lb/>
und Vergebung von ihnen zu erlangen, verſcho-<lb/>
ben habe.</p><lb/><p>Jch will nur noch dieſes beyfuͤgen, daß es<lb/>
ihnen unertraͤglich war, den Beſchluß anzuhoͤren,<lb/>
der mit ſo feyerlichem Nachdruck an ihren Erloͤ-<lb/>ſer gerichtet iſt. Sie ſtunden alle von ihren<lb/>
Stuͤhlen auf und eilten haufenweiſe aus dem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T t 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Zim-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[661/0667]
derſelben jemand gewaͤhlet: ſo, darf ich kuͤhnlich
ſagen, wuͤrde auf ihr Teſtament nicht mehr geach-
tet ſeyn, als auf den letzten Willen eines verſtor-
benen Koͤnigs; als inſonderheit auf das Teſta-
ment Ludwigs des XIVten, das ſo offenbar von
ſeinem Enkel, dem Herzog von Orleans, ehe er
noch einmal kalt war, gebrochen wurde; das ein-
zige mal vielleicht, da der Wille dieſes Monar-
chen Widerſpruch gefunden.
Allein Herr Jakob Harlowe bedenket gar
nicht, daß, indem er nach Hunderten greift, er
nach der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit Tauſender
verluſtig gehen werde, wo er mich uͤberlebet. Ein
ſo eigennuͤtziger und niedertraͤchtiger Menſch ſoll
mein Erbe nicht ſeyn.
Sie werden ſich beſſer vorſtellen koͤnnen, Hr.
Belford, als ich es ausdruͤcken kann, wie ſehr ſie
bey dem gegebenen Wink, daß die liebe Fraͤulein
genoͤthigt worden, einige von ihren Kleidern zu
veraͤußern, geruͤhret wurden.
Stillſchweigende Vorwuͤrfe bemaͤchtigten ſich
eines jeden unter ihnen: als ich zu der Stelle kam,
wo ſie beruͤhret, daß ſie die Ausfuͤllung einiger leer-
gelaſſenen Plaͤtze, in Hoffnung, den letzten Segen
und Vergebung von ihnen zu erlangen, verſcho-
ben habe.
Jch will nur noch dieſes beyfuͤgen, daß es
ihnen unertraͤglich war, den Beſchluß anzuhoͤren,
der mit ſo feyerlichem Nachdruck an ihren Erloͤ-
ſer gerichtet iſt. Sie ſtunden alle von ihren
Stuͤhlen auf und eilten haufenweiſe aus dem
Zim-
T t 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/667>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.