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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Wir hören, daß Gott nicht den Tod, den
geistlichen Tod eines Sünders verlange: und
es ist gewiß, daß du von ganzem Herzen Reue
getragen hast! Da du also nicht mitten in deinen
Sünden durch das Schwerdt beleidigter Freund-
schaft, dem du mehr als einmal Trotz geboten hat-
test, hingerissen bist; der schrecklichste Tod unter
allen, nächst dem Selbstmord, weil er keinen
Raum zur Buße lässet: so hoffe ich, daß dieß ein
gnädiges Unterpfand sey, daß deine Buße ange-
nommen worden; und daß deine langwierige
Krankheit, und schreckliche Todesangst in den letz-
ten Zeiten derselben, deine einzige Strafe seyn
werde.

Jch wünschte in der That, ich wünschte von
Herzen,
daß wir einen Strahl des Trostes auf
seinen in Nacht und Finsterniß verhüllten Geist
hätten einschießen sehen können, ehe er abgeschieden
wäre. Aber, leider! alles bis auf den letzten
Athem war Schrecken und Verwirrung. Mei-
ne einzige Furcht rühret daher, daß er, bis auf
die vier letzten Tage seines Lebens, nicht dahin ge-
bracht werden konnte, zu gedenken, daß er sterben
sollte, ob er gleich ganze Monathe herdurch augen-
scheinlich abnahm. Jn der falschen Einbildung,
war er allzu wenig geneigt, eine ernstliche Vorbe-
reitung zu einer Reise zu machen, welche er zu
übernehmen nicht genöthigt zu werden hoffete:
und da er anfing zu besorgen, daß er sie nicht ver-
meiden könnte, zeigte seine Ungedult, sein Schre-
cken und seine Furcht allzu wenig von demjenigen

Ver-
E 2


Wir hoͤren, daß Gott nicht den Tod, den
geiſtlichen Tod eines Suͤnders verlange: und
es iſt gewiß, daß du von ganzem Herzen Reue
getragen haſt! Da du alſo nicht mitten in deinen
Suͤnden durch das Schwerdt beleidigter Freund-
ſchaft, dem du mehr als einmal Trotz geboten hat-
teſt, hingeriſſen biſt; der ſchrecklichſte Tod unter
allen, naͤchſt dem Selbſtmord, weil er keinen
Raum zur Buße laͤſſet: ſo hoffe ich, daß dieß ein
gnaͤdiges Unterpfand ſey, daß deine Buße ange-
nommen worden; und daß deine langwierige
Krankheit, und ſchreckliche Todesangſt in den letz-
ten Zeiten derſelben, deine einzige Strafe ſeyn
werde.

Jch wuͤnſchte in der That, ich wuͤnſchte von
Herzen,
daß wir einen Strahl des Troſtes auf
ſeinen in Nacht und Finſterniß verhuͤllten Geiſt
haͤtten einſchießen ſehen koͤnnen, ehe er abgeſchieden
waͤre. Aber, leider! alles bis auf den letzten
Athem war Schrecken und Verwirrung. Mei-
ne einzige Furcht ruͤhret daher, daß er, bis auf
die vier letzten Tage ſeines Lebens, nicht dahin ge-
bracht werden konnte, zu gedenken, daß er ſterben
ſollte, ob er gleich ganze Monathe herdurch augen-
ſcheinlich abnahm. Jn der falſchen Einbildung,
war er allzu wenig geneigt, eine ernſtliche Vorbe-
reitung zu einer Reiſe zu machen, welche er zu
uͤbernehmen nicht genoͤthigt zu werden hoffete:
und da er anfing zu beſorgen, daß er ſie nicht ver-
meiden koͤnnte, zeigte ſeine Ungedult, ſein Schre-
cken und ſeine Furcht allzu wenig von demjenigen

Ver-
E 2
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[67/0073] Wir hoͤren, daß Gott nicht den Tod, den geiſtlichen Tod eines Suͤnders verlange: und es iſt gewiß, daß du von ganzem Herzen Reue getragen haſt! Da du alſo nicht mitten in deinen Suͤnden durch das Schwerdt beleidigter Freund- ſchaft, dem du mehr als einmal Trotz geboten hat- teſt, hingeriſſen biſt; der ſchrecklichſte Tod unter allen, naͤchſt dem Selbſtmord, weil er keinen Raum zur Buße laͤſſet: ſo hoffe ich, daß dieß ein gnaͤdiges Unterpfand ſey, daß deine Buße ange- nommen worden; und daß deine langwierige Krankheit, und ſchreckliche Todesangſt in den letz- ten Zeiten derſelben, deine einzige Strafe ſeyn werde. Jch wuͤnſchte in der That, ich wuͤnſchte von Herzen, daß wir einen Strahl des Troſtes auf ſeinen in Nacht und Finſterniß verhuͤllten Geiſt haͤtten einſchießen ſehen koͤnnen, ehe er abgeſchieden waͤre. Aber, leider! alles bis auf den letzten Athem war Schrecken und Verwirrung. Mei- ne einzige Furcht ruͤhret daher, daß er, bis auf die vier letzten Tage ſeines Lebens, nicht dahin ge- bracht werden konnte, zu gedenken, daß er ſterben ſollte, ob er gleich ganze Monathe herdurch augen- ſcheinlich abnahm. Jn der falſchen Einbildung, war er allzu wenig geneigt, eine ernſtliche Vorbe- reitung zu einer Reiſe zu machen, welche er zu uͤbernehmen nicht genoͤthigt zu werden hoffete: und da er anfing zu beſorgen, daß er ſie nicht ver- meiden koͤnnte, zeigte ſeine Ungedult, ſein Schre- cken und ſeine Furcht allzu wenig von demjenigen Ver- E 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/73>, abgerufen am 21.11.2024.