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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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erinnert mich an eine Stelle in einem Jhrer
vorigen Briefe, (*) die ich hier hersetzen will,
ob sie gleich im Scherz geschrieben war: Jst
es nicht möglich,
sagen Sie, da Sie mit
so wunderlichen Köpfen zu thun gehabt
haben, daß Sie selbst nicht darauf mer-
ken können, wenn Jhnen das Herz stär-
ker geschlagen hat? Oder, da Jhnen
das Herz um zwei ganz verschiedener Ur-
sachen willen hat schlagen können, ist es
nicht möglich, daß Sie die gefühlten
Schläge aus der unrichtigen Ursache her-
geleitet haben?
Ob ich mich gleich auf die
Stelle besann, da ich noch gegen Herrn Lo-
velace
am wenigsten einzuwenden hatte, habe
ich ihr doch alle Würkung genommen, wenn
er mich zu quälen, und zu martern suchte, und
mir Gelegenheit zum Argwohn gab. Denn
Herr Lovelace, mein Kind, ist doch, wenn
wir alles zusammen nehmen, nicht in seiner
ganzen Aufführung weise. Und sollten wir
uns nicht bemühen, so viel möglich, (wenn
wir nicht durch natürliche Bande gefeßelt wä-
ren) zu lieben oder zu hassen, wie es die Ver-
nunft befiehlet, und es der Vorwurf verdienet
oder nicht? Wenn das, was wir Liebe nen-
nen, unsre ungereimtesten Thorheiten hinläng-
lich entschuldigen kann, und die Dämme durch-
brechen darf, die uns eine sorgfältige Erziehung
gesetzt hat, was soll denn die Lehre von der Be-

zwin-
(*) Siehe Th. I. Seite 109.



erinnert mich an eine Stelle in einem Jhrer
vorigen Briefe, (*) die ich hier herſetzen will,
ob ſie gleich im Scherz geſchrieben war: Jſt
es nicht moͤglich,
ſagen Sie, da Sie mit
ſo wunderlichen Koͤpfen zu thun gehabt
haben, daß Sie ſelbſt nicht darauf mer-
ken koͤnnen, wenn Jhnen das Herz ſtaͤr-
ker geſchlagen hat? Oder, da Jhnen
das Herz um zwei ganz verſchiedener Ur-
ſachen willen hat ſchlagen koͤnnen, iſt es
nicht moͤglich, daß Sie die gefuͤhlten
Schlaͤge aus der unrichtigen Urſache her-
geleitet haben?
Ob ich mich gleich auf die
Stelle beſann, da ich noch gegen Herrn Lo-
velace
am wenigſten einzuwenden hatte, habe
ich ihr doch alle Wuͤrkung genommen, wenn
er mich zu quaͤlen, und zu martern ſuchte, und
mir Gelegenheit zum Argwohn gab. Denn
Herr Lovelace, mein Kind, iſt doch, wenn
wir alles zuſammen nehmen, nicht in ſeiner
ganzen Auffuͤhrung weiſe. Und ſollten wir
uns nicht bemuͤhen, ſo viel moͤglich, (wenn
wir nicht durch natuͤrliche Bande gefeßelt waͤ-
ren) zu lieben oder zu haſſen, wie es die Ver-
nunft befiehlet, und es der Vorwurf verdienet
oder nicht? Wenn das, was wir Liebe nen-
nen, unſre ungereimteſten Thorheiten hinlaͤng-
lich entſchuldigen kann, und die Daͤmme durch-
brechen darf, die uns eine ſorgfaͤltige Erziehung
geſetzt hat, was ſoll denn die Lehre von der Be-

zwin-
(*) Siehe Th. I. Seite 109.
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[191/0199] erinnert mich an eine Stelle in einem Jhrer vorigen Briefe, (*) die ich hier herſetzen will, ob ſie gleich im Scherz geſchrieben war: Jſt es nicht moͤglich, ſagen Sie, da Sie mit ſo wunderlichen Koͤpfen zu thun gehabt haben, daß Sie ſelbſt nicht darauf mer- ken koͤnnen, wenn Jhnen das Herz ſtaͤr- ker geſchlagen hat? Oder, da Jhnen das Herz um zwei ganz verſchiedener Ur- ſachen willen hat ſchlagen koͤnnen, iſt es nicht moͤglich, daß Sie die gefuͤhlten Schlaͤge aus der unrichtigen Urſache her- geleitet haben? Ob ich mich gleich auf die Stelle beſann, da ich noch gegen Herrn Lo- velace am wenigſten einzuwenden hatte, habe ich ihr doch alle Wuͤrkung genommen, wenn er mich zu quaͤlen, und zu martern ſuchte, und mir Gelegenheit zum Argwohn gab. Denn Herr Lovelace, mein Kind, iſt doch, wenn wir alles zuſammen nehmen, nicht in ſeiner ganzen Auffuͤhrung weiſe. Und ſollten wir uns nicht bemuͤhen, ſo viel moͤglich, (wenn wir nicht durch natuͤrliche Bande gefeßelt waͤ- ren) zu lieben oder zu haſſen, wie es die Ver- nunft befiehlet, und es der Vorwurf verdienet oder nicht? Wenn das, was wir Liebe nen- nen, unſre ungereimteſten Thorheiten hinlaͤng- lich entſchuldigen kann, und die Daͤmme durch- brechen darf, die uns eine ſorgfaͤltige Erziehung geſetzt hat, was ſoll denn die Lehre von der Be- zwin- (*) Siehe Th. I. Seite 109.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/199>, abgerufen am 21.11.2024.