Was sage ich: von ihrem Geschlechte? Was für Ehre würde ich dadurch dem andern Geschlecht zugestehen! Da ich doch den stol- zesten Pedanten unter ihnen allen herausfor- dern kann, daß er mir sagen soll, ob aller Un- terricht, den er von seinen Wissenschaften ge- nossen, ihn zu einer grössern Vollkommenheit habe bringen können, als diese durch die bloße Stärke ihres Genies und ihres Fleisses erreich- te. Doch man kann es allen denen, die auf die Personen, welche sie von beiden Geschlech- tern kennen, gehörige Achtung zu geben ver- stehen, begreiflich machen, so viel sich auch ei- nige mit ihren sehr mittelmäßigen Eigenschaf- ten wissen, daß ein Frauenzimmer von acht- zehen Jahren, wenn wir die ganze Welt durch- gehen, klüger und umgänglicher ist, als eine Mannsperson in ihrem fünf und zwanzigsten. Jch könnte es durch neunzehen Exempel unter zwanzigen von meiner Bekanntschaft beweisen. Wie wichtig wissen sich inzwischen diese armen Praler mit den Vortheilen zu machen, welche ihnen ihre Erziehung gewähret! Wer sollte nicht einige von ihnen gesehen haben, die eben von Akademien kommen, welche verächtlich lä- cheln, wenn ein Frauenzimmer etwa einmal das unrechte Wort sagt, oder übel aus- spricht, obgleich ihre Meinung deutlich, und ihr Urtheil richtig ist; da diese doch selbst nicht einen Gedanken hervorbringen können, der werth wäre, wiederholet zu werden; wo sie ihn nicht
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Was ſage ich: von ihrem Geſchlechte? Was fuͤr Ehre wuͤrde ich dadurch dem andern Geſchlecht zugeſtehen! Da ich doch den ſtol- zeſten Pedanten unter ihnen allen herausfor- dern kann, daß er mir ſagen ſoll, ob aller Un- terricht, den er von ſeinen Wiſſenſchaften ge- noſſen, ihn zu einer groͤſſern Vollkommenheit habe bringen koͤnnen, als dieſe durch die bloße Staͤrke ihres Genies und ihres Fleiſſes erreich- te. Doch man kann es allen denen, die auf die Perſonen, welche ſie von beiden Geſchlech- tern kennen, gehoͤrige Achtung zu geben ver- ſtehen, begreiflich machen, ſo viel ſich auch ei- nige mit ihren ſehr mittelmaͤßigen Eigenſchaf- ten wiſſen, daß ein Frauenzimmer von acht- zehen Jahren, wenn wir die ganze Welt durch- gehen, kluͤger und umgaͤnglicher iſt, als eine Mannsperſon in ihrem fuͤnf und zwanzigſten. Jch koͤnnte es durch neunzehen Exempel unter zwanzigen von meiner Bekanntſchaft beweiſen. Wie wichtig wiſſen ſich inzwiſchen dieſe armen Praler mit den Vortheilen zu machen, welche ihnen ihre Erziehung gewaͤhret! Wer ſollte nicht einige von ihnen geſehen haben, die eben von Akademien kommen, welche veraͤchtlich laͤ- cheln, wenn ein Frauenzimmer etwa einmal das unrechte Wort ſagt, oder uͤbel aus- ſpricht, obgleich ihre Meinung deutlich, und ihr Urtheil richtig iſt; da dieſe doch ſelbſt nicht einen Gedanken hervorbringen koͤnnen, der werth waͤre, wiederholet zu werden; wo ſie ihn nicht
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Was ſage ich: von ihrem Geſchlechte?
Was fuͤr Ehre wuͤrde ich dadurch dem andern
Geſchlecht zugeſtehen! Da ich doch den ſtol-
zeſten Pedanten unter ihnen allen herausfor-
dern kann, daß er mir ſagen ſoll, ob aller Un-
terricht, den er von ſeinen Wiſſenſchaften ge-
noſſen, ihn zu einer groͤſſern Vollkommenheit
habe bringen koͤnnen, als dieſe durch die bloße
Staͤrke ihres Genies und ihres Fleiſſes erreich-
te. Doch man kann es allen denen, die auf
die Perſonen, welche ſie von beiden Geſchlech-
tern kennen, gehoͤrige Achtung zu geben ver-
ſtehen, begreiflich machen, ſo viel ſich auch ei-
nige mit ihren ſehr mittelmaͤßigen Eigenſchaf-
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zehen Jahren, wenn wir die ganze Welt durch-
gehen, kluͤger und umgaͤnglicher iſt, als eine
Mannsperſon in ihrem fuͤnf und zwanzigſten.
Jch koͤnnte es durch neunzehen Exempel unter
zwanzigen von meiner Bekanntſchaft beweiſen.
Wie wichtig wiſſen ſich inzwiſchen dieſe armen
Praler mit den Vortheilen zu machen, welche
ihnen ihre Erziehung gewaͤhret! Wer ſollte
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/308>, abgerufen am 23.11.2024.
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