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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

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rissa, und ihre besondern Umstände herrühre,
darin sie sich befand.

Man hat sie gar nicht so vorstellen wollen,
als wenn sie in Herrn Lovelace verliebt ge-
wesen, sondern nur, daß sie ihn vor andern
Mannspersonen leiden können, wenn man
dies, als ein von der Liebe unterschiednes Wort,
annehmen will. Man glaubt es, eben um sie
zum Muster vorzustellen, in der ganzen Ge-
schichte allenthalben genug angedeutet zu haben,
daß sie den Herrn Lovelace, wegen seines bö-
sen Wandels nimmer geheirathet haben würde,
wenn sie sich selbst überlassen gewesen wäre;
und daß man ihren Untergang hauptsächlich
der Verfolgung ihrer Verwandten zuschreiben
mußte.

Was man nur gar zu gewöhnlich Liebe
nennet, muß vielleicht eben so oft mit einem
andern Namen genennet werden. So wie ei-
nige Frauenspersonen, und zwar selbst vom
Stande, sich bei ihrer so genannten Liebe be-
wiesen haben, wären Geilheit und ein Ve-
nerischer Trieb
keine zu harte Namen, sie an de-
ren Stelle zu setzen, so unangenehm sie auch
zärtlichen Ohren klingen mögen. Aber laßt uns
das Wort Liebe in dem gelindesten und ehr-
würdigsten Verstande nehmen, so werden es
einige höchst unwarscheinlich finden, daß Cla-
rissa
fähig gewesen wäre, eine solche Herrschaft
über ihre Leidenschaften zu zeigen, als sie in ih-
rem Charackter vorzüglich blicken läßt, wenn

sie



riſſa, und ihre beſondern Umſtaͤnde herruͤhre,
darin ſie ſich befand.

Man hat ſie gar nicht ſo vorſtellen wollen,
als wenn ſie in Herrn Lovelace verliebt ge-
weſen, ſondern nur, daß ſie ihn vor andern
Mannsperſonen leiden koͤnnen, wenn man
dies, als ein von der Liebe unterſchiednes Wort,
annehmen will. Man glaubt es, eben um ſie
zum Muſter vorzuſtellen, in der ganzen Ge-
ſchichte allenthalben genug angedeutet zu haben,
daß ſie den Herrn Lovelace, wegen ſeines boͤ-
ſen Wandels nimmer geheirathet haben wuͤrde,
wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen geweſen waͤre;
und daß man ihren Untergang hauptſaͤchlich
der Verfolgung ihrer Verwandten zuſchreiben
mußte.

Was man nur gar zu gewoͤhnlich Liebe
nennet, muß vielleicht eben ſo oft mit einem
andern Namen genennet werden. So wie ei-
nige Frauensperſonen, und zwar ſelbſt vom
Stande, ſich bei ihrer ſo genannten Liebe be-
wieſen haben, waͤren Geilheit und ein Ve-
neriſcher Trieb
keine zu harte Namen, ſie an de-
ren Stelle zu ſetzen, ſo unangenehm ſie auch
zaͤrtlichen Ohren klingen moͤgen. Aber laßt uns
das Wort Liebe in dem gelindeſten und ehr-
wuͤrdigſten Verſtande nehmen, ſo werden es
einige hoͤchſt unwarſcheinlich finden, daß Cla-
riſſa
faͤhig geweſen waͤre, eine ſolche Herrſchaft
uͤber ihre Leidenſchaften zu zeigen, als ſie in ih-
rem Charackter vorzuͤglich blicken laͤßt, wenn

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[347/0355] riſſa, und ihre beſondern Umſtaͤnde herruͤhre, darin ſie ſich befand. Man hat ſie gar nicht ſo vorſtellen wollen, als wenn ſie in Herrn Lovelace verliebt ge- weſen, ſondern nur, daß ſie ihn vor andern Mannsperſonen leiden koͤnnen, wenn man dies, als ein von der Liebe unterſchiednes Wort, annehmen will. Man glaubt es, eben um ſie zum Muſter vorzuſtellen, in der ganzen Ge- ſchichte allenthalben genug angedeutet zu haben, daß ſie den Herrn Lovelace, wegen ſeines boͤ- ſen Wandels nimmer geheirathet haben wuͤrde, wenn ſie ſich ſelbſt uͤberlaſſen geweſen waͤre; und daß man ihren Untergang hauptſaͤchlich der Verfolgung ihrer Verwandten zuſchreiben mußte. Was man nur gar zu gewoͤhnlich Liebe nennet, muß vielleicht eben ſo oft mit einem andern Namen genennet werden. So wie ei- nige Frauensperſonen, und zwar ſelbſt vom Stande, ſich bei ihrer ſo genannten Liebe be- wieſen haben, waͤren Geilheit und ein Ve- neriſcher Trieb keine zu harte Namen, ſie an de- ren Stelle zu ſetzen, ſo unangenehm ſie auch zaͤrtlichen Ohren klingen moͤgen. Aber laßt uns das Wort Liebe in dem gelindeſten und ehr- wuͤrdigſten Verſtande nehmen, ſo werden es einige hoͤchſt unwarſcheinlich finden, daß Cla- riſſa faͤhig geweſen waͤre, eine ſolche Herrſchaft uͤber ihre Leidenſchaften zu zeigen, als ſie in ih- rem Charackter vorzuͤglich blicken laͤßt, wenn ſie

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/355>, abgerufen am 27.11.2024.