Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite


So viel weiß ich gewiß, gnädige Fräulein,
dieser Leute Bosheit gegen mich gehet so weit,
daß, wenn sie sich entschließen, mich aufzuop-
fern, ihre Aussöhnung sogleich wird genehmi-
get werden.

Und so viel weiß ich, wenn ich meinem Va-
ter das Recht zu stehe, ihnen meine Person zu
versagen, und er will sich damit begnügen las-
sen, so thue ich weiter nichts, als meine Pflicht.
Und wenn ich mir dasselbe Recht vorbehalte,
so werde ich keine von den Pflichten verletzen,
die ich ihnen schuldig bin.

Jhre Pflicht gegen ihren eigensinnigen Bru-
der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!

Wenn auch der Streit zuerst zwischen mir
und meinem Bruder wäre, Herr Lovelace, so
stehet es doch einem Vater frei, wessen Parthei er
nehmen will.

Das stehet ihm frei, gnädige Fräulein, aber
es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel
frei, wenn er die Parthei dessen nimmt, der
Unrecht hat. - -

So wie die Leute verschieden sind, Herr Lo-
velace,
so werden sie auch verschiedentlich über
Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen
wie sie es gut finden. Sollen das andere Leu-
te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht.
Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va-
ters zu meistern, das er in seiner eignen Fami-
milie, und zwar über sein eigen Kind, fället?

Jch


So viel weiß ich gewiß, gnaͤdige Fraͤulein,
dieſer Leute Bosheit gegen mich gehet ſo weit,
daß, wenn ſie ſich entſchließen, mich aufzuop-
fern, ihre Ausſoͤhnung ſogleich wird genehmi-
get werden.

Und ſo viel weiß ich, wenn ich meinem Va-
ter das Recht zu ſtehe, ihnen meine Perſon zu
verſagen, und er will ſich damit begnuͤgen laſ-
ſen, ſo thue ich weiter nichts, als meine Pflicht.
Und wenn ich mir daſſelbe Recht vorbehalte,
ſo werde ich keine von den Pflichten verletzen,
die ich ihnen ſchuldig bin.

Jhre Pflicht gegen ihren eigenſinnigen Bru-
der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!

Wenn auch der Streit zuerſt zwiſchen mir
und meinem Bruder waͤre, Herr Lovelace, ſo
ſtehet es doch einem Vater frei, weſſen Parthei er
nehmen will.

Das ſtehet ihm frei, gnaͤdige Fraͤulein, aber
es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel
frei, wenn er die Parthei deſſen nimmt, der
Unrecht hat. ‒ ‒

So wie die Leute verſchieden ſind, Herr Lo-
velace,
ſo werden ſie auch verſchiedentlich uͤber
Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen
wie ſie es gut finden. Sollen das andere Leu-
te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht.
Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va-
ters zu meiſtern, das er in ſeiner eignen Fami-
milie, und zwar uͤber ſein eigen Kind, faͤllet?

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <pb facs="#f0053" n="45"/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <p>So viel weiß ich gewiß, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;ulein,<lb/>
die&#x017F;er Leute Bosheit gegen mich gehet &#x017F;o weit,<lb/>
daß, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich ent&#x017F;chließen, <hi rendition="#fr">mich</hi> aufzuop-<lb/>
fern, ihre Aus&#x017F;o&#x0364;hnung &#x017F;ogleich wird genehmi-<lb/>
get werden.</p><lb/>
              <p>Und &#x017F;o viel weiß ich, wenn ich meinem Va-<lb/>
ter das Recht zu &#x017F;tehe, ihnen meine Per&#x017F;on zu<lb/>
ver&#x017F;agen, und er will &#x017F;ich damit begnu&#x0364;gen la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, &#x017F;o thue ich weiter nichts, als meine Pflicht.<lb/>
Und wenn ich <hi rendition="#fr">mir</hi> da&#x017F;&#x017F;elbe Recht vorbehalte,<lb/>
&#x017F;o werde ich keine von den Pflichten verletzen,<lb/>
die ich <hi rendition="#fr">ihnen</hi> &#x017F;chuldig bin.</p><lb/>
              <p>Jhre Pflicht gegen ihren eigen&#x017F;innigen Bru-<lb/>
der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater!</p><lb/>
              <p>Wenn auch der Streit <hi rendition="#fr">zuer&#x017F;t</hi> zwi&#x017F;chen mir<lb/>
und meinem Bruder wa&#x0364;re, Herr <hi rendition="#fr">Lovelace,</hi> &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tehet es doch einem Vater frei, we&#x017F;&#x017F;en Parthei er<lb/>
nehmen will.</p><lb/>
              <p>Das &#x017F;tehet ihm frei, gna&#x0364;dige Fra&#x0364;ulein, aber<lb/>
es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel<lb/>
frei, wenn er die Parthei de&#x017F;&#x017F;en nimmt, der<lb/>
Unrecht hat. &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
              <p>So wie die Leute ver&#x017F;chieden &#x017F;ind, Herr <hi rendition="#fr">Lo-<lb/>
velace,</hi> &#x017F;o werden &#x017F;ie auch ver&#x017F;chiedentlich u&#x0364;ber<lb/>
Recht und Unrecht urtheilen. <hi rendition="#fr">Sie</hi> urtheilen<lb/>
wie &#x017F;ie es gut finden. Sollen das andere Leu-<lb/>
te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht.<lb/>
Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va-<lb/>
ters zu mei&#x017F;tern, das er in &#x017F;einer eignen Fami-<lb/>
milie, und zwar u&#x0364;ber &#x017F;ein eigen Kind, fa&#x0364;llet?</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0053] So viel weiß ich gewiß, gnaͤdige Fraͤulein, dieſer Leute Bosheit gegen mich gehet ſo weit, daß, wenn ſie ſich entſchließen, mich aufzuop- fern, ihre Ausſoͤhnung ſogleich wird genehmi- get werden. Und ſo viel weiß ich, wenn ich meinem Va- ter das Recht zu ſtehe, ihnen meine Perſon zu verſagen, und er will ſich damit begnuͤgen laſ- ſen, ſo thue ich weiter nichts, als meine Pflicht. Und wenn ich mir daſſelbe Recht vorbehalte, ſo werde ich keine von den Pflichten verletzen, die ich ihnen ſchuldig bin. Jhre Pflicht gegen ihren eigenſinnigen Bru- der, meinen Sie, und nicht gegen ihren Vater! Wenn auch der Streit zuerſt zwiſchen mir und meinem Bruder waͤre, Herr Lovelace, ſo ſtehet es doch einem Vater frei, weſſen Parthei er nehmen will. Das ſtehet ihm frei, gnaͤdige Fraͤulein, aber es macht ihn dem ungeachtet nicht vom Tadel frei, wenn er die Parthei deſſen nimmt, der Unrecht hat. ‒ ‒ So wie die Leute verſchieden ſind, Herr Lo- velace, ſo werden ſie auch verſchiedentlich uͤber Recht und Unrecht urtheilen. Sie urtheilen wie ſie es gut finden. Sollen das andere Leu- te nicht auch thun, wie es ihnen gut deucht. Und wer hat ein Recht, das Urtheil eines Va- ters zu meiſtern, das er in ſeiner eignen Fami- milie, und zwar uͤber ſein eigen Kind, faͤllet? Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/53
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/53>, abgerufen am 23.11.2024.