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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.
3. Phönikisches.

Die Bedeutung der Phöniker für die Entwicklung der altorien-
talischen Künste scheint weniger in einer selbständigen Fortbildung von
nationalem Gepräge zu liegen, als in zwei anderen Umständen, die
gleichwohl für die weitere Entwicklungsgeschichte insbesondere der
Ornamentik sehr bedeutungsvoll geworden sind. Für's erste haben die
Phöniker als seefahrende Kaufleute den Kunstformen egyptischen Stiles,
dann auch -- obschon in minderem Grade -- denjenigen mesopotamischen
Stiles, einerseits durch Vertrieb von Original-Erzeugnissen der genannten
beiden Völker, anderseits aber auch -- und dies ist ganz besonders
hervorzuheben -- durch Verhandelung phönikischer Imitationen, die
grösstmögliche Verbreitung geliehen. Damit hängt unmittelbar auch
der zweite Umstand zusammen, der das Dazwischenkommen der Phö-
niker für die Verbreitung einer an allen Mittelmeerküsten gangbaren
Ornamentik so entscheidend gemacht hat: der Umstand nämlich, dass
der Rest an gegenständlicher Bedeutung, der den altegyptischen und
altchaldäischen Mischwesen (Sphinx, Greif u. s. w.) ebenso wie ihren
vegetabilischen Motiven (Lotus) noch in der originalen Kunst dieser
Völker anhaftete, im Gefolge der für den blossen Handel mit Schmuck-
gegenständen und Hausrath berechneten Massenfabrikation vollständig
verloren gehen musste. Das ursprünglich gegenständliche Motiv wurde
unter den Händen der Phöniker schlechtweg zum reinen Ornament.

Auch die Scheidung zwischen Rahmen und Füllung, sowie die
Anwendung und Anordnung der Ornamente nach gewissen Regeln, die
sich aus dem technischen Werden und der Struktur der zu verzierenden
Gegenstände ergeben -- dasjenige, was man als "tektonische" Art der
Verzierung zu bezeichnen pflegt -- hat unter den Phönikern weit-
gehende Berücksichtigung und Förderung erfahren. Typisch hiefür
sind gerade diejenigen Werke phönikischer Kleinkunst, durch die wir
bisher noch am besten in Stand gesetzt worden sind, den Eigenthüm-
lichkeiten der Kunst dieses Volkes näher zu kommen: nämlich die
Metallschüsseln mit ihren koncentrischen Zonen und ihrer Vertikalglie-
derung innerhalb der einzelnen Zonen, die zwischen ungeregelter Bunt-
heit und starrer geometrischer Abzirkelung in der Regel die richtige
Mitte zu halten weiss.

Nach dem geschilderten Stande der Dinge steht zu erwarten, dass
die Phöniker wenn auch nicht zur Entwicklung der maassgebenden Ziele
aller antiken Dekorationskunst im Allgemeinen, so doch zur Fortbildung

A. Altorientalisches.
3. Phönikisches.

Die Bedeutung der Phöniker für die Entwicklung der altorien-
talischen Künste scheint weniger in einer selbständigen Fortbildung von
nationalem Gepräge zu liegen, als in zwei anderen Umständen, die
gleichwohl für die weitere Entwicklungsgeschichte insbesondere der
Ornamentik sehr bedeutungsvoll geworden sind. Für’s erste haben die
Phöniker als seefahrende Kaufleute den Kunstformen egyptischen Stiles,
dann auch — obschon in minderem Grade — denjenigen mesopotamischen
Stiles, einerseits durch Vertrieb von Original-Erzeugnissen der genannten
beiden Völker, anderseits aber auch — und dies ist ganz besonders
hervorzuheben — durch Verhandelung phönikischer Imitationen, die
grösstmögliche Verbreitung geliehen. Damit hängt unmittelbar auch
der zweite Umstand zusammen, der das Dazwischenkommen der Phö-
niker für die Verbreitung einer an allen Mittelmeerküsten gangbaren
Ornamentik so entscheidend gemacht hat: der Umstand nämlich, dass
der Rest an gegenständlicher Bedeutung, der den altegyptischen und
altchaldäischen Mischwesen (Sphinx, Greif u. s. w.) ebenso wie ihren
vegetabilischen Motiven (Lotus) noch in der originalen Kunst dieser
Völker anhaftete, im Gefolge der für den blossen Handel mit Schmuck-
gegenständen und Hausrath berechneten Massenfabrikation vollständig
verloren gehen musste. Das ursprünglich gegenständliche Motiv wurde
unter den Händen der Phöniker schlechtweg zum reinen Ornament.

Auch die Scheidung zwischen Rahmen und Füllung, sowie die
Anwendung und Anordnung der Ornamente nach gewissen Regeln, die
sich aus dem technischen Werden und der Struktur der zu verzierenden
Gegenstände ergeben — dasjenige, was man als „tektonische“ Art der
Verzierung zu bezeichnen pflegt — hat unter den Phönikern weit-
gehende Berücksichtigung und Förderung erfahren. Typisch hiefür
sind gerade diejenigen Werke phönikischer Kleinkunst, durch die wir
bisher noch am besten in Stand gesetzt worden sind, den Eigenthüm-
lichkeiten der Kunst dieses Volkes näher zu kommen: nämlich die
Metallschüsseln mit ihren koncentrischen Zonen und ihrer Vertikalglie-
derung innerhalb der einzelnen Zonen, die zwischen ungeregelter Bunt-
heit und starrer geometrischer Abzirkelung in der Regel die richtige
Mitte zu halten weiss.

Nach dem geschilderten Stande der Dinge steht zu erwarten, dass
die Phöniker wenn auch nicht zur Entwicklung der maassgebenden Ziele
aller antiken Dekorationskunst im Allgemeinen, so doch zur Fortbildung

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[102/0128] A. Altorientalisches. 3. Phönikisches. Die Bedeutung der Phöniker für die Entwicklung der altorien- talischen Künste scheint weniger in einer selbständigen Fortbildung von nationalem Gepräge zu liegen, als in zwei anderen Umständen, die gleichwohl für die weitere Entwicklungsgeschichte insbesondere der Ornamentik sehr bedeutungsvoll geworden sind. Für’s erste haben die Phöniker als seefahrende Kaufleute den Kunstformen egyptischen Stiles, dann auch — obschon in minderem Grade — denjenigen mesopotamischen Stiles, einerseits durch Vertrieb von Original-Erzeugnissen der genannten beiden Völker, anderseits aber auch — und dies ist ganz besonders hervorzuheben — durch Verhandelung phönikischer Imitationen, die grösstmögliche Verbreitung geliehen. Damit hängt unmittelbar auch der zweite Umstand zusammen, der das Dazwischenkommen der Phö- niker für die Verbreitung einer an allen Mittelmeerküsten gangbaren Ornamentik so entscheidend gemacht hat: der Umstand nämlich, dass der Rest an gegenständlicher Bedeutung, der den altegyptischen und altchaldäischen Mischwesen (Sphinx, Greif u. s. w.) ebenso wie ihren vegetabilischen Motiven (Lotus) noch in der originalen Kunst dieser Völker anhaftete, im Gefolge der für den blossen Handel mit Schmuck- gegenständen und Hausrath berechneten Massenfabrikation vollständig verloren gehen musste. Das ursprünglich gegenständliche Motiv wurde unter den Händen der Phöniker schlechtweg zum reinen Ornament. Auch die Scheidung zwischen Rahmen und Füllung, sowie die Anwendung und Anordnung der Ornamente nach gewissen Regeln, die sich aus dem technischen Werden und der Struktur der zu verzierenden Gegenstände ergeben — dasjenige, was man als „tektonische“ Art der Verzierung zu bezeichnen pflegt — hat unter den Phönikern weit- gehende Berücksichtigung und Förderung erfahren. Typisch hiefür sind gerade diejenigen Werke phönikischer Kleinkunst, durch die wir bisher noch am besten in Stand gesetzt worden sind, den Eigenthüm- lichkeiten der Kunst dieses Volkes näher zu kommen: nämlich die Metallschüsseln mit ihren koncentrischen Zonen und ihrer Vertikalglie- derung innerhalb der einzelnen Zonen, die zwischen ungeregelter Bunt- heit und starrer geometrischer Abzirkelung in der Regel die richtige Mitte zu halten weiss. Nach dem geschilderten Stande der Dinge steht zu erwarten, dass die Phöniker wenn auch nicht zur Entwicklung der maassgebenden Ziele aller antiken Dekorationskunst im Allgemeinen, so doch zur Fortbildung

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/128>, abgerufen am 21.11.2024.