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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
mässig undulirenden Ranken vor uns, in deren Zwickel füllende
Palmettenfächer eingestellt sind. Die Verwandtschaft mit Fig. 83 springt
somit in die Augen; der Unterschied liegt bloss darin, dass es in Fig. 83
galt eine struktiv einfassende, fortlaufende Bordüre zu schaffen, während
Fig. 88 eine selbständige Füllung darstellen sollte, die in sich abge-
schlossen werden musste. Im Epheublatt an den Intermittirungspunkten
drückt sich am deutlichsten die Brücke aus, die von Fig. 83 zu
Fig. 88 führt.

Was die Beurtheilung dieses Motivs bisher über Gebühr beein-
flusst hat, sind die zu beiden Seiten desselben in symmetrischer Gegen-
überstellung angeordneten Thierfiguren. In Fig. 88 sehen wir oben zwei
affrontirte Löwen, unten Löwe und Panther adossirt, die erwähnten
Vögel aber wieder affrontirt, durchweg mit umgewandten Köpfen, was
ein reiches Spiel des Rhythmus hervorbringt. Es ist das Schema des
"Wappenstils", das wir vor uns haben. Was nun den vermeintlich
textilen Charakter desselben anbelangt, verweise ich auf das im 2. Ca-
pitel über diesen Gegenstand Gesagte. Ausserdem hat man aber das
ganze Schema als aus dem Orient herübergebracht erklärt, im Gefolge
der berüchtigten persisch-orientalischen Textilkunst. Es ist nun ohne
Weiteres zuzugeben, dass die Thierfiguren entschieden orientalisches
Gepräge aufweisen: insbesondere die Thierspecies selbst, sowie das
Auflegen der Tatze auf die Palmette. Das Schema war aber auf grie-
chischem Kunstboden schon bekannt vor der Entstehung der chalki-
dischen und verwandten Vasen. Die melischen Vasen (Fig. 66) zeigen
es auf Hals und Bauch, und zwar ohne orientalische Bestien und mit
einem Spiralrankenmuster von dem auch Holwerda100) zugiebt, dass es
nicht assyrisch ist. Lässt sich aber das Rankengeschlinge auf Fig. 88
nicht mit orientalischen Vorbildern in Verbindung setzen?

Man hat diesbezüglich Mehrfaches herangezogen. Einmal Assy-
risches, was schon der Thierfiguren halber näher liegt. Hier ist es der
"heilige Baum", in dem man den Ausgangspunkt erkennen wollte. Der
heilige Baum trägt auch Palmetten an der Peripherie und seine Zweige
sind oft durch Klammern zusammengehalten. Damit ist aber die Ana-
logie auch schon erschöpft. Der heilige Baum entfaltet sich von unten
aus, eben wie ein Baum aus einer Wurzel; das chalkidische Rankenge-
schlinge krystallisirt sich um einen centralen Punkt. Der heilige Baum
ist ein Mittelding zwischen. Baum und Möbel, das chalkidische Ranken-

100) A. a. O. 238.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
mässig undulirenden Ranken vor uns, in deren Zwickel füllende
Palmettenfächer eingestellt sind. Die Verwandtschaft mit Fig. 83 springt
somit in die Augen; der Unterschied liegt bloss darin, dass es in Fig. 83
galt eine struktiv einfassende, fortlaufende Bordüre zu schaffen, während
Fig. 88 eine selbständige Füllung darstellen sollte, die in sich abge-
schlossen werden musste. Im Epheublatt an den Intermittirungspunkten
drückt sich am deutlichsten die Brücke aus, die von Fig. 83 zu
Fig. 88 führt.

Was die Beurtheilung dieses Motivs bisher über Gebühr beein-
flusst hat, sind die zu beiden Seiten desselben in symmetrischer Gegen-
überstellung angeordneten Thierfiguren. In Fig. 88 sehen wir oben zwei
affrontirte Löwen, unten Löwe und Panther adossirt, die erwähnten
Vögel aber wieder affrontirt, durchweg mit umgewandten Köpfen, was
ein reiches Spiel des Rhythmus hervorbringt. Es ist das Schema des
„Wappenstils“, das wir vor uns haben. Was nun den vermeintlich
textilen Charakter desselben anbelangt, verweise ich auf das im 2. Ca-
pitel über diesen Gegenstand Gesagte. Ausserdem hat man aber das
ganze Schema als aus dem Orient herübergebracht erklärt, im Gefolge
der berüchtigten persisch-orientalischen Textilkunst. Es ist nun ohne
Weiteres zuzugeben, dass die Thierfiguren entschieden orientalisches
Gepräge aufweisen: insbesondere die Thierspecies selbst, sowie das
Auflegen der Tatze auf die Palmette. Das Schema war aber auf grie-
chischem Kunstboden schon bekannt vor der Entstehung der chalki-
dischen und verwandten Vasen. Die melischen Vasen (Fig. 66) zeigen
es auf Hals und Bauch, und zwar ohne orientalische Bestien und mit
einem Spiralrankenmuster von dem auch Holwerda100) zugiebt, dass es
nicht assyrisch ist. Lässt sich aber das Rankengeschlinge auf Fig. 88
nicht mit orientalischen Vorbildern in Verbindung setzen?

Man hat diesbezüglich Mehrfaches herangezogen. Einmal Assy-
risches, was schon der Thierfiguren halber näher liegt. Hier ist es der
„heilige Baum“, in dem man den Ausgangspunkt erkennen wollte. Der
heilige Baum trägt auch Palmetten an der Peripherie und seine Zweige
sind oft durch Klammern zusammengehalten. Damit ist aber die Ana-
logie auch schon erschöpft. Der heilige Baum entfaltet sich von unten
aus, eben wie ein Baum aus einer Wurzel; das chalkidische Rankenge-
schlinge krystallisirt sich um einen centralen Punkt. Der heilige Baum
ist ein Mittelding zwischen. Baum und Möbel, das chalkidische Ranken-

100) A. a. O. 238.
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[188/0214] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. mässig undulirenden Ranken vor uns, in deren Zwickel füllende Palmettenfächer eingestellt sind. Die Verwandtschaft mit Fig. 83 springt somit in die Augen; der Unterschied liegt bloss darin, dass es in Fig. 83 galt eine struktiv einfassende, fortlaufende Bordüre zu schaffen, während Fig. 88 eine selbständige Füllung darstellen sollte, die in sich abge- schlossen werden musste. Im Epheublatt an den Intermittirungspunkten drückt sich am deutlichsten die Brücke aus, die von Fig. 83 zu Fig. 88 führt. Was die Beurtheilung dieses Motivs bisher über Gebühr beein- flusst hat, sind die zu beiden Seiten desselben in symmetrischer Gegen- überstellung angeordneten Thierfiguren. In Fig. 88 sehen wir oben zwei affrontirte Löwen, unten Löwe und Panther adossirt, die erwähnten Vögel aber wieder affrontirt, durchweg mit umgewandten Köpfen, was ein reiches Spiel des Rhythmus hervorbringt. Es ist das Schema des „Wappenstils“, das wir vor uns haben. Was nun den vermeintlich textilen Charakter desselben anbelangt, verweise ich auf das im 2. Ca- pitel über diesen Gegenstand Gesagte. Ausserdem hat man aber das ganze Schema als aus dem Orient herübergebracht erklärt, im Gefolge der berüchtigten persisch-orientalischen Textilkunst. Es ist nun ohne Weiteres zuzugeben, dass die Thierfiguren entschieden orientalisches Gepräge aufweisen: insbesondere die Thierspecies selbst, sowie das Auflegen der Tatze auf die Palmette. Das Schema war aber auf grie- chischem Kunstboden schon bekannt vor der Entstehung der chalki- dischen und verwandten Vasen. Die melischen Vasen (Fig. 66) zeigen es auf Hals und Bauch, und zwar ohne orientalische Bestien und mit einem Spiralrankenmuster von dem auch Holwerda 100) zugiebt, dass es nicht assyrisch ist. Lässt sich aber das Rankengeschlinge auf Fig. 88 nicht mit orientalischen Vorbildern in Verbindung setzen? Man hat diesbezüglich Mehrfaches herangezogen. Einmal Assy- risches, was schon der Thierfiguren halber näher liegt. Hier ist es der „heilige Baum“, in dem man den Ausgangspunkt erkennen wollte. Der heilige Baum trägt auch Palmetten an der Peripherie und seine Zweige sind oft durch Klammern zusammengehalten. Damit ist aber die Ana- logie auch schon erschöpft. Der heilige Baum entfaltet sich von unten aus, eben wie ein Baum aus einer Wurzel; das chalkidische Rankenge- schlinge krystallisirt sich um einen centralen Punkt. Der heilige Baum ist ein Mittelding zwischen. Baum und Möbel, das chalkidische Ranken- 100) A. a. O. 238.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/214>, abgerufen am 04.12.2024.