Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.Der geometrische Stil. mir zumuthete einen Korb zu flechten. Auch dürfen die Körbe, die dazum Beweise herangezogen werden, nicht so ohne weiteres als "Urkörbe", als Erzeugnisse einer primitiven Korbflechterei angesehen werden. Es giebt eine Kunst-Korbflechterei ebenso wie eine Kunstkeramik; dieser Kunst-Korbflechterei mit ihren schrägen und complicirten, durchaus nicht rein durch die Technik bedingten Verflechtungen gehören wohl auch die von Kekule angeführten exotischen Korbflechtereien an, deren Schönheit und Stilgefühl er gewiss mit Recht rühmt. Aber nehmen wir in der That an, dass die Menschen früher Körbe geflochten als Thongefässe geformt hätten. Hatte man sich bei der Bereitung dieser letzteren in der That bloss an Körbe als Vorbild zu halten, oder lagen nicht andere Vorbilder zu dem Zwecke näher? Thongefässe dienten zum Unterschiede von den Körben namentlich zur Fassung und Aufbe- wahrung flüssiger Stoffe. Die Vorbilder hiefür in der Natur und aller Wahrscheinlichkeit nach die Vorläufer in dieser Funktion waren die hohle Hand und Fruchtschalen, wodurch man von vornherein auf rund- liche Formen hingewiesen war, ohne dass es hiefür der Analogien der Körbe bedurft hätte. Schon die Handsamkeit erforderte beim Thon- gefäss die Rundung, all dies natürlich vor der Erfindung der Dreh- scheibe, die vollends aus der Rundung ein "technisches" Postulat ge- macht hat. Bei Körben waren sogar viereckige Formen viel natürlicher als beim Thongefäss. Hier ist der Punkt, wo ich es bedauere, dass der mir vorliegende Sitzungsbericht Kekule's Gedanken nur so auszugs- weise wiedergiebt. Wenn da gesagt wird: "im Material des Thones sind gerade so gut andere zweckentsprechende Gefässformen denkbar, als die, welche gewählt und ausgebildet worden sind, und die ästhetischen Ausdeutungen, welche man versucht hat, reichen zur Erklärung nicht aus", so kann ich dem gegenüber auch nur im Allgemeinen bemerken, dass gerade die bezügliche Partie aus Semper's Stil, auf welche im Obigen offenbar angespielt ist, mir immer noch als eines der überzeu- gendsten Capitel seines Werkes gilt, namentlich um des Umstandes willen, dass von Semper hiebei keineswegs bloss "ästhetische Ausdeu- tungen" versucht, sondern auch das statische Erfahrungsmoment in recht sinnfälliger und überzeugender Weise berücksichtigt worden ist. Zweifellos hat Kekule bei der Enunciation des obigen Satzes ganz be- stimmte Beobachtungen im Auge gehabt, von denen es höchst er- wünscht wäre, dass er sie in vollständigerem Maasse zur allgemeinen Kenntniss brächte. Denn die zwei einzigen Beweispunkte die er daselbst vorbringt, sind unschwer zu entkräften. Es heisst nämlieh weiter: "Beim Der geometrische Stil. mir zumuthete einen Korb zu flechten. Auch dürfen die Körbe, die dazum Beweise herangezogen werden, nicht so ohne weiteres als „Urkörbe“, als Erzeugnisse einer primitiven Korbflechterei angesehen werden. Es giebt eine Kunst-Korbflechterei ebenso wie eine Kunstkeramik; dieser Kunst-Korbflechterei mit ihren schrägen und complicirten, durchaus nicht rein durch die Technik bedingten Verflechtungen gehören wohl auch die von Kekulé angeführten exotischen Korbflechtereien an, deren Schönheit und Stilgefühl er gewiss mit Recht rühmt. Aber nehmen wir in der That an, dass die Menschen früher Körbe geflochten als Thongefässe geformt hätten. Hatte man sich bei der Bereitung dieser letzteren in der That bloss an Körbe als Vorbild zu halten, oder lagen nicht andere Vorbilder zu dem Zwecke näher? Thongefässe dienten zum Unterschiede von den Körben namentlich zur Fassung und Aufbe- wahrung flüssiger Stoffe. Die Vorbilder hiefür in der Natur und aller Wahrscheinlichkeit nach die Vorläufer in dieser Funktion waren die hohle Hand und Fruchtschalen, wodurch man von vornherein auf rund- liche Formen hingewiesen war, ohne dass es hiefür der Analogien der Körbe bedurft hätte. Schon die Handsamkeit erforderte beim Thon- gefäss die Rundung, all dies natürlich vor der Erfindung der Dreh- scheibe, die vollends aus der Rundung ein „technisches“ Postulat ge- macht hat. Bei Körben waren sogar viereckige Formen viel natürlicher als beim Thongefäss. Hier ist der Punkt, wo ich es bedauere, dass der mir vorliegende Sitzungsbericht Kekulé’s Gedanken nur so auszugs- weise wiedergiebt. Wenn da gesagt wird: „im Material des Thones sind gerade so gut andere zweckentsprechende Gefässformen denkbar, als die, welche gewählt und ausgebildet worden sind, und die ästhetischen Ausdeutungen, welche man versucht hat, reichen zur Erklärung nicht aus“, so kann ich dem gegenüber auch nur im Allgemeinen bemerken, dass gerade die bezügliche Partie aus Semper’s Stil, auf welche im Obigen offenbar angespielt ist, mir immer noch als eines der überzeu- gendsten Capitel seines Werkes gilt, namentlich um des Umstandes willen, dass von Semper hiebei keineswegs bloss „ästhetische Ausdeu- tungen“ versucht, sondern auch das statische Erfahrungsmoment in recht sinnfälliger und überzeugender Weise berücksichtigt worden ist. Zweifellos hat Kekulé bei der Enunciation des obigen Satzes ganz be- stimmte Beobachtungen im Auge gehabt, von denen es höchst er- wünscht wäre, dass er sie in vollständigerem Maasse zur allgemeinen Kenntniss brächte. 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Hatte man sich bei der Bereitung dieser<lb/> letzteren in der That bloss an Körbe als Vorbild zu halten, oder lagen<lb/> nicht andere Vorbilder zu dem Zwecke näher? Thongefässe dienten<lb/> zum Unterschiede von den Körben namentlich zur Fassung und Aufbe-<lb/> wahrung flüssiger Stoffe. Die Vorbilder hiefür in der Natur und aller<lb/> Wahrscheinlichkeit nach die Vorläufer in dieser Funktion waren die<lb/> hohle Hand und Fruchtschalen, wodurch man von vornherein auf rund-<lb/> liche Formen hingewiesen war, ohne dass es hiefür der Analogien der<lb/> Körbe bedurft hätte. Schon die Handsamkeit erforderte beim Thon-<lb/> gefäss die Rundung, all dies natürlich vor der Erfindung der Dreh-<lb/> scheibe, die vollends aus der Rundung ein „technisches“ Postulat ge-<lb/> macht hat. Bei Körben waren sogar viereckige Formen viel natürlicher<lb/> als beim Thongefäss. 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Der geometrische Stil.
mir zumuthete einen Korb zu flechten. Auch dürfen die Körbe, die da
zum Beweise herangezogen werden, nicht so ohne weiteres als „Urkörbe“,
als Erzeugnisse einer primitiven Korbflechterei angesehen werden. Es
giebt eine Kunst-Korbflechterei ebenso wie eine Kunstkeramik; dieser
Kunst-Korbflechterei mit ihren schrägen und complicirten, durchaus
nicht rein durch die Technik bedingten Verflechtungen gehören wohl
auch die von Kekulé angeführten exotischen Korbflechtereien an, deren
Schönheit und Stilgefühl er gewiss mit Recht rühmt. Aber nehmen
wir in der That an, dass die Menschen früher Körbe geflochten als
Thongefässe geformt hätten. Hatte man sich bei der Bereitung dieser
letzteren in der That bloss an Körbe als Vorbild zu halten, oder lagen
nicht andere Vorbilder zu dem Zwecke näher? Thongefässe dienten
zum Unterschiede von den Körben namentlich zur Fassung und Aufbe-
wahrung flüssiger Stoffe. Die Vorbilder hiefür in der Natur und aller
Wahrscheinlichkeit nach die Vorläufer in dieser Funktion waren die
hohle Hand und Fruchtschalen, wodurch man von vornherein auf rund-
liche Formen hingewiesen war, ohne dass es hiefür der Analogien der
Körbe bedurft hätte. Schon die Handsamkeit erforderte beim Thon-
gefäss die Rundung, all dies natürlich vor der Erfindung der Dreh-
scheibe, die vollends aus der Rundung ein „technisches“ Postulat ge-
macht hat. Bei Körben waren sogar viereckige Formen viel natürlicher
als beim Thongefäss. Hier ist der Punkt, wo ich es bedauere, dass der
mir vorliegende Sitzungsbericht Kekulé’s Gedanken nur so auszugs-
weise wiedergiebt. Wenn da gesagt wird: „im Material des Thones sind
gerade so gut andere zweckentsprechende Gefässformen denkbar, als
die, welche gewählt und ausgebildet worden sind, und die ästhetischen
Ausdeutungen, welche man versucht hat, reichen zur Erklärung nicht
aus“, so kann ich dem gegenüber auch nur im Allgemeinen bemerken,
dass gerade die bezügliche Partie aus Semper’s Stil, auf welche im
Obigen offenbar angespielt ist, mir immer noch als eines der überzeu-
gendsten Capitel seines Werkes gilt, namentlich um des Umstandes
willen, dass von Semper hiebei keineswegs bloss „ästhetische Ausdeu-
tungen“ versucht, sondern auch das statische Erfahrungsmoment in
recht sinnfälliger und überzeugender Weise berücksichtigt worden ist.
Zweifellos hat Kekulé bei der Enunciation des obigen Satzes ganz be-
stimmte Beobachtungen im Auge gehabt, von denen es höchst er-
wünscht wäre, dass er sie in vollständigerem Maasse zur allgemeinen
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