eine Seite zeigt das Parisurteil nach dem bekannten Typus; hingegen ist die Darstellung der anderen Seite (vgl. d. neben- stehende Abbildung) ohne jede Analogie und hat der Deutung bisher grosse Schwierigkeiten gemacht; unter allen Erklärungs- versuchen hat der letzte von Urlichs den meisten Beifall gefunden, doch will mir scheinen, dass ihm sehr gewichtige Bedenken ent- gegenstehen, wenn auch Urlichs gewiss recht daran thut, eine enge Beziehung zu der Darstellung der Vorderseite zu postulieren.
Der Vorgang im allgemeinen ist auf den ersten Blick klar; zwei Gestalten treten in ein Gemach ein, wo ihr Erscheinen grosses Erstaunen und grosse Aufregung hervorruft. Urlichs' Verdienst ist es erkannt zu haben, dass der erste dieser Männer, der eiligen Schrittes freudig eintritt, dieselbe Figur sein muss, wie die Hauptperson der Vorderseite, Paris, und dass Brygos dies durch die im allgemeinen gleiche Gewandung, ionischen Chiton und Himation, und vor allem durch das ganz gleiche Scepter, dass er in der Hand trägt, angedeutet hat. Schwieriger ist das Urteil über die ihm folgende, leider zum grössten Teil er- gänzte Gestalt, welche die rechte Hand auf seine Schulter legt und ihn vorwärts zu schieben scheint. Nicht einmal das lässt sich mit Bestimmtheit sagen, ob wir eine Frau oder einen, wie Paris, mit ionischem Chiton bekleideten Mann vor uns haben. Wenden wir uns zu den im Gemach befindlichen Personen. Die Haus- herrin -- denn als solche bezeichnet sie der Schleier wie ihre ganze Erscheinung -- ist von ihrem Sessel, auf dem sie noch eben dem spinnenden Mädchen gegenüber gesessen hat, auf- gesprungen, eilt dem eintretenden Paris entgegen und reicht ihm die Hand, die dieser freudig ergreift. Der Hausherr hin- gegen, der durch Scepter und Diadem gekennzeichnet hinter seiner Gattin steht, hebt erstaunt die rechte Hand und scheint noch unschlüssig, welchen Empfang er dem Ankömmling zu teil werden lassen soll. Zwei weibliche Figuren schliessen links die Dar- stellung ab, die erste, mit einer Haube bekleidet, sitzt auf einem Stuhle und spinnt; sie blickt, ohne sich in ihrer Arbeit unter- brechen zu lassen, die Eintretenden an. Ganz anders ist das Gebaren des zweiten Mädchens. Sie will -- wie die Richtung
eine Seite zeigt das Parisurteil nach dem bekannten Typus; hingegen ist die Darstellung der anderen Seite (vgl. d. neben- stehende Abbildung) ohne jede Analogie und hat der Deutung bisher groſse Schwierigkeiten gemacht; unter allen Erklärungs- versuchen hat der letzte von Urlichs den meisten Beifall gefunden, doch will mir scheinen, daſs ihm sehr gewichtige Bedenken ent- gegenstehen, wenn auch Urlichs gewiſs recht daran thut, eine enge Beziehung zu der Darstellung der Vorderseite zu postulieren.
Der Vorgang im allgemeinen ist auf den ersten Blick klar; zwei Gestalten treten in ein Gemach ein, wo ihr Erscheinen groſses Erstaunen und groſse Aufregung hervorruft. Urlichs’ Verdienst ist es erkannt zu haben, daſs der erste dieser Männer, der eiligen Schrittes freudig eintritt, dieselbe Figur sein muſs, wie die Hauptperson der Vorderseite, Paris, und daſs Brygos dies durch die im allgemeinen gleiche Gewandung, ionischen Chiton und Himation, und vor allem durch das ganz gleiche Scepter, daſs er in der Hand trägt, angedeutet hat. Schwieriger ist das Urteil über die ihm folgende, leider zum gröſsten Teil er- gänzte Gestalt, welche die rechte Hand auf seine Schulter legt und ihn vorwärts zu schieben scheint. Nicht einmal das läſst sich mit Bestimmtheit sagen, ob wir eine Frau oder einen, wie Paris, mit ionischem Chiton bekleideten Mann vor uns haben. Wenden wir uns zu den im Gemach befindlichen Personen. Die Haus- herrin — denn als solche bezeichnet sie der Schleier wie ihre ganze Erscheinung — ist von ihrem Sessel, auf dem sie noch eben dem spinnenden Mädchen gegenüber gesessen hat, auf- gesprungen, eilt dem eintretenden Paris entgegen und reicht ihm die Hand, die dieser freudig ergreift. Der Hausherr hin- gegen, der durch Scepter und Diadem gekennzeichnet hinter seiner Gattin steht, hebt erstaunt die rechte Hand und scheint noch unschlüssig, welchen Empfang er dem Ankömmling zu teil werden lassen soll. Zwei weibliche Figuren schlieſsen links die Dar- stellung ab, die erste, mit einer Haube bekleidet, sitzt auf einem Stuhle und spinnt; sie blickt, ohne sich in ihrer Arbeit unter- brechen zu lassen, die Eintretenden an. Ganz anders ist das Gebaren des zweiten Mädchens. Sie will — wie die Richtung
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eine Seite zeigt das Parisurteil nach dem bekannten Typus;
hingegen ist die Darstellung der anderen Seite (vgl. d. neben-
stehende Abbildung) ohne jede Analogie und hat der Deutung
bisher groſse Schwierigkeiten gemacht; unter allen Erklärungs-
versuchen hat der letzte von Urlichs den meisten Beifall gefunden,
doch will mir scheinen, daſs ihm sehr gewichtige Bedenken ent-
gegenstehen, wenn auch Urlichs gewiſs recht daran thut, eine
enge Beziehung zu der Darstellung der Vorderseite zu postulieren.
Der Vorgang im allgemeinen ist auf den ersten Blick klar;
zwei Gestalten treten in ein Gemach ein, wo ihr Erscheinen
groſses Erstaunen und groſse Aufregung hervorruft. Urlichs’
Verdienst ist es erkannt zu haben, daſs der erste dieser Männer,
der eiligen Schrittes freudig eintritt, dieselbe Figur sein muſs,
wie die Hauptperson der Vorderseite, Paris, und daſs Brygos
dies durch die im allgemeinen gleiche Gewandung, ionischen
Chiton und Himation, und vor allem durch das ganz gleiche
Scepter, daſs er in der Hand trägt, angedeutet hat. Schwieriger
ist das Urteil über die ihm folgende, leider zum gröſsten Teil er-
gänzte Gestalt, welche die rechte Hand auf seine Schulter legt und
ihn vorwärts zu schieben scheint. Nicht einmal das läſst sich mit
Bestimmtheit sagen, ob wir eine Frau oder einen, wie Paris, mit
ionischem Chiton bekleideten Mann vor uns haben. Wenden
wir uns zu den im Gemach befindlichen Personen. Die Haus-
herrin — denn als solche bezeichnet sie der Schleier wie ihre
ganze Erscheinung — ist von ihrem Sessel, auf dem sie noch
eben dem spinnenden Mädchen gegenüber gesessen hat, auf-
gesprungen, eilt dem eintretenden Paris entgegen und reicht
ihm die Hand, die dieser freudig ergreift. Der Hausherr hin-
gegen, der durch Scepter und Diadem gekennzeichnet hinter
seiner Gattin steht, hebt erstaunt die rechte Hand und scheint
noch unschlüssig, welchen Empfang er dem Ankömmling zu teil
werden lassen soll. Zwei weibliche Figuren schlieſsen links die Dar-
stellung ab, die erste, mit einer Haube bekleidet, sitzt auf einem
Stuhle und spinnt; sie blickt, ohne sich in ihrer Arbeit unter-
brechen zu lassen, die Eintretenden an. Ganz anders ist das
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/104>, abgerufen am 26.06.2024.
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