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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Beziehung, als die Personen demselben Sagenkreis entnommen
sind. So denkt der unbefangene Beschauer von seinem banau-
sischen Standpunkt aus, die höhere Kritik aber erkennt ver-
mittelst der ihr innewohnenden divinatio, dass Briseis dem
Peleus die Geschichte von Ilions Untergang erzählt; und "was
sie erzählt, das sehen wir in dem Aufsenbilde wirklich darge-
stellt, und da Briseis es ist, welche es schildert, so tritt zu-
gleich vor unsere Phantasie die Gestalt des Achilles, der zwar
an dem Schlusse der Katastrophe nicht selbst, sondern nur durch
seinen Sohn teil nahm, aber das Ende durch seine früheren
Thaten vorbereitet hatte. So erweitert sich die Darstellung der
Schale des Brygos von einer Iliupersis zur Idee einer ganzen und
vollen Ilias". Man wird nicht umhin können, den Scharfsinn,
der das Alles aus der einfachen Figur eines einschenkenden
Mädchens mit der Beischrift Briseis herausliest, zu bewundern,
auch wenn man nicht gerade den Standpunkt des Malers be-
neiden wird, der sich die bedenklichste und zweischneidigste
Aufgabe gewählt hat, eine Erzählungsscene zu malen. In der
That, wenn wirklich die attische Kunst im fünften Jahrhundert
sich über die Aufgabe der Malerei so unklar war, so kann
ich sie nur bedauern. Den Ausdruck der Erzählenden, den
Eindruck des Erzählten wiedergeben, das kann und soll die
Kunst und thut es in der bei ihr so beliebten Darstellung
der Botenberichte, aber den Inhalt des Erzählten, den muss
der Zuschauer erraten, und ich glaubte immer, dass die gute
Kunst so wenig wie möglich zu erraten übrig lassen sollte.
Wie liebenswürdig war nicht das Bild des Brygos, Briseis
mit der ganzen Anmut eines attischen Mädchens schenkt dem
Phoinix oder auch meinetwegen dem alten Peleus ein. Nun
aber soll ich mir auf einmal vorstellen, dass das Mädchen
etwas erzählt -- wovon ich durchaus Nichts sehe, denn weder
spricht das Mädchen noch hört der Alte; ich soll mir aber auch
vorstellen, was es erzählt, die Zerstörung Ilions und, wenn ich
die Schale umkehre, sehe ich Episoden dieses Vorgangs darge-
stellt; noch mehr: bei dem Namen Briseis soll ich an Achilleus
denken; und was soll ich nicht Alles! welch ein Gewirr von

Beziehung, als die Personen demselben Sagenkreis entnommen
sind. So denkt der unbefangene Beschauer von seinem banau-
sischen Standpunkt aus, die höhere Kritik aber erkennt ver-
mittelst der ihr innewohnenden divinatio, daſs Briseis dem
Peleus die Geschichte von Ilions Untergang erzählt; und „was
sie erzählt, das sehen wir in dem Aufsenbilde wirklich darge-
stellt, und da Briseis es ist, welche es schildert, so tritt zu-
gleich vor unsere Phantasie die Gestalt des Achilles, der zwar
an dem Schluſse der Katastrophe nicht selbst, sondern nur durch
seinen Sohn teil nahm, aber das Ende durch seine früheren
Thaten vorbereitet hatte. So erweitert sich die Darstellung der
Schale des Brygos von einer Iliupersis zur Idee einer ganzen und
vollen Ilias“. Man wird nicht umhin können, den Scharfsinn,
der das Alles aus der einfachen Figur eines einschenkenden
Mädchens mit der Beischrift Briseis herausliest, zu bewundern,
auch wenn man nicht gerade den Standpunkt des Malers be-
neiden wird, der sich die bedenklichste und zweischneidigste
Aufgabe gewählt hat, eine Erzählungsscene zu malen. In der
That, wenn wirklich die attische Kunst im fünften Jahrhundert
sich über die Aufgabe der Malerei so unklar war, so kann
ich sie nur bedauern. Den Ausdruck der Erzählenden, den
Eindruck des Erzählten wiedergeben, das kann und soll die
Kunst und thut es in der bei ihr so beliebten Darstellung
der Botenberichte, aber den Inhalt des Erzählten, den muſs
der Zuschauer erraten, und ich glaubte immer, daſs die gute
Kunst so wenig wie möglich zu erraten übrig lassen sollte.
Wie liebenswürdig war nicht das Bild des Brygos, Briseis
mit der ganzen Anmut eines attischen Mädchens schenkt dem
Phoinix oder auch meinetwegen dem alten Peleus ein. Nun
aber soll ich mir auf einmal vorstellen, daſs das Mädchen
etwas erzählt — wovon ich durchaus Nichts sehe, denn weder
spricht das Mädchen noch hört der Alte; ich soll mir aber auch
vorstellen, was es erzählt, die Zerstörung Ilions und, wenn ich
die Schale umkehre, sehe ich Episoden dieses Vorgangs darge-
stellt; noch mehr: bei dem Namen Briseis soll ich an Achilleus
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[103/0117] Beziehung, als die Personen demselben Sagenkreis entnommen sind. So denkt der unbefangene Beschauer von seinem banau- sischen Standpunkt aus, die höhere Kritik aber erkennt ver- mittelst der ihr innewohnenden divinatio, daſs Briseis dem Peleus die Geschichte von Ilions Untergang erzählt; und „was sie erzählt, das sehen wir in dem Aufsenbilde wirklich darge- stellt, und da Briseis es ist, welche es schildert, so tritt zu- gleich vor unsere Phantasie die Gestalt des Achilles, der zwar an dem Schluſse der Katastrophe nicht selbst, sondern nur durch seinen Sohn teil nahm, aber das Ende durch seine früheren Thaten vorbereitet hatte. So erweitert sich die Darstellung der Schale des Brygos von einer Iliupersis zur Idee einer ganzen und vollen Ilias“. Man wird nicht umhin können, den Scharfsinn, der das Alles aus der einfachen Figur eines einschenkenden Mädchens mit der Beischrift Briseis herausliest, zu bewundern, auch wenn man nicht gerade den Standpunkt des Malers be- neiden wird, der sich die bedenklichste und zweischneidigste Aufgabe gewählt hat, eine Erzählungsscene zu malen. In der That, wenn wirklich die attische Kunst im fünften Jahrhundert sich über die Aufgabe der Malerei so unklar war, so kann ich sie nur bedauern. Den Ausdruck der Erzählenden, den Eindruck des Erzählten wiedergeben, das kann und soll die Kunst und thut es in der bei ihr so beliebten Darstellung der Botenberichte, aber den Inhalt des Erzählten, den muſs der Zuschauer erraten, und ich glaubte immer, daſs die gute Kunst so wenig wie möglich zu erraten übrig lassen sollte. Wie liebenswürdig war nicht das Bild des Brygos, Briseis mit der ganzen Anmut eines attischen Mädchens schenkt dem Phoinix oder auch meinetwegen dem alten Peleus ein. Nun aber soll ich mir auf einmal vorstellen, daſs das Mädchen etwas erzählt — wovon ich durchaus Nichts sehe, denn weder spricht das Mädchen noch hört der Alte; ich soll mir aber auch vorstellen, was es erzählt, die Zerstörung Ilions und, wenn ich die Schale umkehre, sehe ich Episoden dieses Vorgangs darge- stellt; noch mehr: bei dem Namen Briseis soll ich an Achilleus denken; und was soll ich nicht Alles! welch ein Gewirr von

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/117>, abgerufen am 24.11.2024.