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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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je schärfer ich seinen übrigen Aufstellungen entgegentreten
muss. Daraus folgt aber mit nichten, dass der Tote der
Vorderseite Sarpedon ist, so wenig als die Rüstungsscene der
Amazonen der Einleitung der Aithiopis entspricht. Freilich
dem modernen Beschauer, der die Aithiopis nur losgelöst
von der Iliupersis aus der Hypothesis des Proklos kennt,
stellen sich als Inhalt des Gedichtes nur zwei Episoden dar,
Penthesileia und Memnon. Anders dem antiken Maler, dem das
ganze Gedicht vorschwebte. Das Athen des fünften Jahrhunderts
konnte sich auch schon während des Todes des Sarpedon Ama-
zonen in Troja vorstellen, so gut wie auf einer schwarzfigurigen
Vase beim Kampf um Achills Leiche sein Sohn Neoptolemos
gegenwärtig ist: und gerade Pamphaios und seine Genossen lieben
ja ganz besonders Amazonendarstellungen.

Ferner beruft sich Brunn auf die von mir zuerst veröffent-
lichte Trinkschale im Barbakeion (s. Thanatos S. 17), auf welcher
in der That der in Rede stehende Typus auf Memnon übertragen
ist. Es habe, sagt Brunn, bisher als Grundsatz in der Archäologie
gegolten, dass eine in gewissem Grad unvollständige Komposition,
wie die des am Anfange genannten Campanaschen Kraters nach
der vollständigeren, hier der attischen Schale, zu deuten sei, nicht
umgekehrt. Dem gegenüber muss ich zunächst die Richtigkeit des
Grundsatzes in solcher Allgemeinheit bestreiten. Die Geschichte der
bildlichen Typen weist vielmehr einen zwiefachen Entwickelungs-
gang auf. Entweder steht an der Spitze eine grosse umfangreiche
Komposition, die bei ihrer Fortbildung vereinfacht wird, indem
einzelne Figuren, ja ganze Gruppen ausgelassen werden; oder
am Anfang steht eine nur wenige Figuren enthaltende Kompo-
sition, um die sich wie um einen Kern mancherlei andere Ge-
stalten im Laufe der Zeit gruppieren. Beide Fälle sind mindestens
gleich häufig, der letztere für die archaische Kunst der gewöhn-
lichere, wie ich das im zweiten Kapitel hinreichend gezeigt zu
haben glaube. Es ist nun doch klar, dass die Erklärung für
diesen Fall nicht von der figurenreichsten, deshalb aber inter-
poliertesten, sondern von der einfachsten, den Kern repräsentieren-
den Komposition ausgehen muss; das sind aber in unserem Falle

je schärfer ich seinen übrigen Aufstellungen entgegentreten
muſs. Daraus folgt aber mit nichten, daſs der Tote der
Vorderseite Sarpedon ist, so wenig als die Rüstungsscene der
Amazonen der Einleitung der Aithiopis entspricht. Freilich
dem modernen Beschauer, der die Aithiopis nur losgelöst
von der Iliupersis aus der Hypothesis des Proklos kennt,
stellen sich als Inhalt des Gedichtes nur zwei Episoden dar,
Penthesileia und Memnon. Anders dem antiken Maler, dem das
ganze Gedicht vorschwebte. Das Athen des fünften Jahrhunderts
konnte sich auch schon während des Todes des Sarpedon Ama-
zonen in Troja vorstellen, so gut wie auf einer schwarzfigurigen
Vase beim Kampf um Achills Leiche sein Sohn Neoptolemos
gegenwärtig ist: und gerade Pamphaios und seine Genossen lieben
ja ganz besonders Amazonendarstellungen.

Ferner beruft sich Brunn auf die von mir zuerst veröffent-
lichte Trinkschale im Barbakeion (s. Thanatos S. 17), auf welcher
in der That der in Rede stehende Typus auf Memnon übertragen
ist. Es habe, sagt Brunn, bisher als Grundsatz in der Archäologie
gegolten, daſs eine in gewissem Grad unvollständige Komposition,
wie die des am Anfange genannten Campanaschen Kraters nach
der vollständigeren, hier der attischen Schale, zu deuten sei, nicht
umgekehrt. Dem gegenüber muſs ich zunächst die Richtigkeit des
Grundsatzes in solcher Allgemeinheit bestreiten. Die Geschichte der
bildlichen Typen weist vielmehr einen zwiefachen Entwickelungs-
gang auf. Entweder steht an der Spitze eine groſse umfangreiche
Komposition, die bei ihrer Fortbildung vereinfacht wird, indem
einzelne Figuren, ja ganze Gruppen ausgelassen werden; oder
am Anfang steht eine nur wenige Figuren enthaltende Kompo-
sition, um die sich wie um einen Kern mancherlei andere Ge-
stalten im Laufe der Zeit gruppieren. Beide Fälle sind mindestens
gleich häufig, der letztere für die archaische Kunst der gewöhn-
lichere, wie ich das im zweiten Kapitel hinreichend gezeigt zu
haben glaube. Es ist nun doch klar, daſs die Erklärung für
diesen Fall nicht von der figurenreichsten, deshalb aber inter-
poliertesten, sondern von der einfachsten, den Kern repräsentieren-
den Komposition ausgehen muſs; das sind aber in unserem Falle

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[111/0125] je schärfer ich seinen übrigen Aufstellungen entgegentreten muſs. Daraus folgt aber mit nichten, daſs der Tote der Vorderseite Sarpedon ist, so wenig als die Rüstungsscene der Amazonen der Einleitung der Aithiopis entspricht. Freilich dem modernen Beschauer, der die Aithiopis nur losgelöst von der Iliupersis aus der Hypothesis des Proklos kennt, stellen sich als Inhalt des Gedichtes nur zwei Episoden dar, Penthesileia und Memnon. Anders dem antiken Maler, dem das ganze Gedicht vorschwebte. Das Athen des fünften Jahrhunderts konnte sich auch schon während des Todes des Sarpedon Ama- zonen in Troja vorstellen, so gut wie auf einer schwarzfigurigen Vase beim Kampf um Achills Leiche sein Sohn Neoptolemos gegenwärtig ist: und gerade Pamphaios und seine Genossen lieben ja ganz besonders Amazonendarstellungen. Ferner beruft sich Brunn auf die von mir zuerst veröffent- lichte Trinkschale im Barbakeion (s. Thanatos S. 17), auf welcher in der That der in Rede stehende Typus auf Memnon übertragen ist. Es habe, sagt Brunn, bisher als Grundsatz in der Archäologie gegolten, daſs eine in gewissem Grad unvollständige Komposition, wie die des am Anfange genannten Campanaschen Kraters nach der vollständigeren, hier der attischen Schale, zu deuten sei, nicht umgekehrt. Dem gegenüber muſs ich zunächst die Richtigkeit des Grundsatzes in solcher Allgemeinheit bestreiten. Die Geschichte der bildlichen Typen weist vielmehr einen zwiefachen Entwickelungs- gang auf. Entweder steht an der Spitze eine groſse umfangreiche Komposition, die bei ihrer Fortbildung vereinfacht wird, indem einzelne Figuren, ja ganze Gruppen ausgelassen werden; oder am Anfang steht eine nur wenige Figuren enthaltende Kompo- sition, um die sich wie um einen Kern mancherlei andere Ge- stalten im Laufe der Zeit gruppieren. Beide Fälle sind mindestens gleich häufig, der letztere für die archaische Kunst der gewöhn- lichere, wie ich das im zweiten Kapitel hinreichend gezeigt zu haben glaube. Es ist nun doch klar, daſs die Erklärung für diesen Fall nicht von der figurenreichsten, deshalb aber inter- poliertesten, sondern von der einfachsten, den Kern repräsentieren- den Komposition ausgehen muſs; das sind aber in unserem Falle

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/125>, abgerufen am 24.11.2024.