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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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hier nicht untersuchen 2), das aber darf unbedenklich behauptet
werden, dass sie in weitaus den meisten Fällen nicht zutrifft.
In weitaus den meisten Fällen hat der antike Künstler nicht nur
zur Sage und ihren poetischen Bearbeitungen, sondern auch
zu ihren früheren bildlichen Darstellungen Stellung zu nehmen.
Nur der Künstler, der als der erste eine Sage bildlich gestaltet,
steht dem Stoffe als solchem und seinen poetischen Bearbeitungen
unbefangen gegenüber; jeder folgende Künstler steht unter dem
Banne dieser ersten künstlerischen Gestaltung. Aber weit entfernt,

2) Die alte Streitfrage nach der Zeit des Laokoon kann und soll hier
nicht aufs Neue behandelt werden; wenn ich auch bekennen muss, dass es
mir persönlich unmöglich ist, die litterarischen und paläographischen Zeugnisse
mit den verbreiteten Anschauungen von der Entstehung der Gruppe vor der
Kaiserzeit in Einklang zu bringen. Es soll nur bei dieser Gelegenheit konstatiert
werden, dass es -- von der Gruppe abgesehen -- keine bildliche Darstellung
des Mythos giebt, die älter wäre wie die Kaiserzeit und somit wie die Vergilsche
Schilderung. Denn die jetzt im brit. Mus. befindliche etruskische Aschen-
kiste aus Chiusi, die durch Hübners Beschreibung (Nord und Süd VIII
S. 362; vgl. Blümner, Lessings Laokoon, 2. Aufl. S. 716) bekannt geworden
ist, hat, wie ich nach einer Prüfung des Originals versichern kann, mit
Laokoon nichts zu thun; sie stellt den kleinen schlangenwürgenden Herakles
dar, der beide Schlangen, von denen die eine zweiköpfig ist, an den Hälsen
packt; unter ihnen sinkt Iphiklos erschreckt nieder; von links eilt Amphitryon
in völliger Rüstung, von rechts ein Genosse herbei, der nicht der Tragödie noch
der Tradition, sondern der von den etruskischen Urnenarbeitern bis zur pein-
lichsten Ängstlichkeit beobachteten Symmetrie seine Entstehung verdankt; vgl.
den Genossen des Achilleus auf den Troilosurnen. Dass das Wittmersche und
das Madrider Relief, selbst wenn ihre Echtheit feststände, auf ein Original der
hellenistischen Periode zurückgehen (Blümner a. a. O. S. 706), folgt aus der An-
wesenheit des Eros noch keineswegs; er ist schwerlich "eine Symbolisierung des
tiefen Mitleids, das die Schreckensscene in dem Beschauer erweckt", -- wo
fände sich Eros so verwandt? -- sondern spielt auf die Version von Laokoons
heftiger Leidenschaft zu seiner Gattin an, die gerade aus den mythologischen
Handbüchern der Kaiserzeit bekannt ist. Dass das pompejanische Bild einer-
seits von der Gruppe unabhängig, andererseits durch Vergils Schilderung
hervorgerufen ist -- eine Überzeugung, die ich immer gehegt habe -- scheint
mir jetzt durch Blümner a. a. O. S. 708 endgültig bewiesen zu sein. In
dem eben erscheinenden Heft der Arch. Zeit. 1880 S. 189 will Klein die
Laokoonsage gar auf einer attischen Vase nachweisen. Vgl. darüber unten
den Excurs: die Laokoonsage.

hier nicht untersuchen 2), das aber darf unbedenklich behauptet
werden, daſs sie in weitaus den meisten Fällen nicht zutrifft.
In weitaus den meisten Fällen hat der antike Künstler nicht nur
zur Sage und ihren poetischen Bearbeitungen, sondern auch
zu ihren früheren bildlichen Darstellungen Stellung zu nehmen.
Nur der Künstler, der als der erste eine Sage bildlich gestaltet,
steht dem Stoffe als solchem und seinen poetischen Bearbeitungen
unbefangen gegenüber; jeder folgende Künstler steht unter dem
Banne dieser ersten künstlerischen Gestaltung. Aber weit entfernt,

2) Die alte Streitfrage nach der Zeit des Laokoon kann und soll hier
nicht aufs Neue behandelt werden; wenn ich auch bekennen muſs, daſs es
mir persönlich unmöglich ist, die litterarischen und paläographischen Zeugnisse
mit den verbreiteten Anschauungen von der Entstehung der Gruppe vor der
Kaiserzeit in Einklang zu bringen. Es soll nur bei dieser Gelegenheit konstatiert
werden, daſs es — von der Gruppe abgesehen — keine bildliche Darstellung
des Mythos giebt, die älter wäre wie die Kaiserzeit und somit wie die Vergilsche
Schilderung. Denn die jetzt im brit. Mus. befindliche etruskische Aschen-
kiste aus Chiusi, die durch Hübners Beschreibung (Nord und Süd VIII
S. 362; vgl. Blümner, Lessings Laokoon, 2. Aufl. S. 716) bekannt geworden
ist, hat, wie ich nach einer Prüfung des Originals versichern kann, mit
Laokoon nichts zu thun; sie stellt den kleinen schlangenwürgenden Herakles
dar, der beide Schlangen, von denen die eine zweiköpfig ist, an den Hälsen
packt; unter ihnen sinkt Iphiklos erschreckt nieder; von links eilt Amphitryon
in völliger Rüstung, von rechts ein Genosse herbei, der nicht der Tragödie noch
der Tradition, sondern der von den etruskischen Urnenarbeitern bis zur pein-
lichsten Ängstlichkeit beobachteten Symmetrie seine Entstehung verdankt; vgl.
den Genossen des Achilleus auf den Troilosurnen. Daſs das Wittmersche und
das Madrider Relief, selbst wenn ihre Echtheit feststände, auf ein Original der
hellenistischen Periode zurückgehen (Blümner a. a. O. S. 706), folgt aus der An-
wesenheit des Eros noch keineswegs; er ist schwerlich „eine Symbolisierung des
tiefen Mitleids, das die Schreckensscene in dem Beschauer erweckt“, — wo
fände sich Eros so verwandt? — sondern spielt auf die Version von Laokoons
heftiger Leidenschaft zu seiner Gattin an, die gerade aus den mythologischen
Handbüchern der Kaiserzeit bekannt ist. Daſs das pompejanische Bild einer-
seits von der Gruppe unabhängig, andererseits durch Vergils Schilderung
hervorgerufen ist — eine Überzeugung, die ich immer gehegt habe — scheint
mir jetzt durch Blümner a. a. O. S. 708 endgültig bewiesen zu sein. In
dem eben erscheinenden Heft der Arch. Zeit. 1880 S. 189 will Klein die
Laokoonsage gar auf einer attischen Vase nachweisen. Vgl. darüber unten
den Excurs: die Laokoonsage.
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[5/0019] hier nicht untersuchen 2), das aber darf unbedenklich behauptet werden, daſs sie in weitaus den meisten Fällen nicht zutrifft. In weitaus den meisten Fällen hat der antike Künstler nicht nur zur Sage und ihren poetischen Bearbeitungen, sondern auch zu ihren früheren bildlichen Darstellungen Stellung zu nehmen. Nur der Künstler, der als der erste eine Sage bildlich gestaltet, steht dem Stoffe als solchem und seinen poetischen Bearbeitungen unbefangen gegenüber; jeder folgende Künstler steht unter dem Banne dieser ersten künstlerischen Gestaltung. Aber weit entfernt, 2) Die alte Streitfrage nach der Zeit des Laokoon kann und soll hier nicht aufs Neue behandelt werden; wenn ich auch bekennen muſs, daſs es mir persönlich unmöglich ist, die litterarischen und paläographischen Zeugnisse mit den verbreiteten Anschauungen von der Entstehung der Gruppe vor der Kaiserzeit in Einklang zu bringen. Es soll nur bei dieser Gelegenheit konstatiert werden, daſs es — von der Gruppe abgesehen — keine bildliche Darstellung des Mythos giebt, die älter wäre wie die Kaiserzeit und somit wie die Vergilsche Schilderung. Denn die jetzt im brit. Mus. befindliche etruskische Aschen- kiste aus Chiusi, die durch Hübners Beschreibung (Nord und Süd VIII S. 362; vgl. Blümner, Lessings Laokoon, 2. Aufl. S. 716) bekannt geworden ist, hat, wie ich nach einer Prüfung des Originals versichern kann, mit Laokoon nichts zu thun; sie stellt den kleinen schlangenwürgenden Herakles dar, der beide Schlangen, von denen die eine zweiköpfig ist, an den Hälsen packt; unter ihnen sinkt Iphiklos erschreckt nieder; von links eilt Amphitryon in völliger Rüstung, von rechts ein Genosse herbei, der nicht der Tragödie noch der Tradition, sondern der von den etruskischen Urnenarbeitern bis zur pein- lichsten Ängstlichkeit beobachteten Symmetrie seine Entstehung verdankt; vgl. den Genossen des Achilleus auf den Troilosurnen. Daſs das Wittmersche und das Madrider Relief, selbst wenn ihre Echtheit feststände, auf ein Original der hellenistischen Periode zurückgehen (Blümner a. a. O. S. 706), folgt aus der An- wesenheit des Eros noch keineswegs; er ist schwerlich „eine Symbolisierung des tiefen Mitleids, das die Schreckensscene in dem Beschauer erweckt“, — wo fände sich Eros so verwandt? — sondern spielt auf die Version von Laokoons heftiger Leidenschaft zu seiner Gattin an, die gerade aus den mythologischen Handbüchern der Kaiserzeit bekannt ist. Daſs das pompejanische Bild einer- seits von der Gruppe unabhängig, andererseits durch Vergils Schilderung hervorgerufen ist — eine Überzeugung, die ich immer gehegt habe — scheint mir jetzt durch Blümner a. a. O. S. 708 endgültig bewiesen zu sein. In dem eben erscheinenden Heft der Arch. Zeit. 1880 S. 189 will Klein die Laokoonsage gar auf einer attischen Vase nachweisen. Vgl. darüber unten den Excurs: die Laokoonsage.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/19>, abgerufen am 21.11.2024.