Momentes und feiner Charakteristik der einzelnen Figuren steht die Darstellung derjenigen der Vorderseite durchaus nicht nach.
Die Darstellung der Londoner Vase unterscheidet sich wesent- lich dadurch, dass die Bewegungen der vier abstimmenden Achaier, unter denen Agamemnon entweder fehlt oder wenigstens nicht besonders gekennzeichnet ist, weniger charakteristisch sind, ferner dadurch, dass Aias zwar im Allgemeinen in derselben Stellung wie bei Duris, aber der Mitte zugewant erscheint, Odysseus endlich auf seinen Stab sich lehnend in aufmerksam gespannter Haltung und mit offenem Mund die Abstimmung beobachtet. Dieselbe Scene begegnet uns endlich auch auf einer in Leyden befindlichen Trinkschale (Roulez Choix de vases pl. II), dort ist sie aber auf die Figur der Athena und dreier abstimmenden Achaier beschränkt, wie auch auf dem Innenbild dieselbe Scene in ganz verkürzter Gestalt: Athena und ein Achaier, wiederkehrt. Die in dieser Scene fehlenden Gestalten des Aias und Odysseus hat aber der Vasenmaler benutzt, um auf der Rückseite eine neue selbständige Scene zu bilden; dort sehen wir nämlich die beiden Helden im Augenblick nach erfolgter Entscheidung. Aias in der typischen Haltung des tief Gebeugten, wie bei Duris und auf der Londoner Vase, wird von einem Genossen getröstet. Odysseus steht mit den frisch errungenen Waffen geschmückt da und empfängt aus der Hand eines jugendlichen Genossen das letzte Stück der Rüstung, die Chlamys.
Nach dem Gesagten bedarf es keiner besonderen Auseinander- setzung mehr, dass die namentlich auf schwarzfigurigen Vasen häufigen Darstellungen zweier Helden, meist Aias und Achilleus, die sich in Gegenwart der Athena oder auch allein am Brett- oder Würfelspiel ergötzen, mit der in Rede stehenden Scene ganz und gar nichts zu thun haben. Auf schwarzfigurigen Vasen ist dieselbe bis jetzt überhaupt noch nicht gefunden worden, und darauf gründet sich die oben S. 30 ausgesprochene Vermutung, dass sie erst von der rotfigurigen Vasenmalerei, und zwar als Gegenstück zur Streitscene, geschaffen sein möge.
Wir lernen also durch diese Vasen eine Sagenversion kennen, nach welcher Aias und Odysseus um die Waffen des Achilleus
Momentes und feiner Charakteristik der einzelnen Figuren steht die Darstellung derjenigen der Vorderseite durchaus nicht nach.
Die Darstellung der Londoner Vase unterscheidet sich wesent- lich dadurch, daſs die Bewegungen der vier abstimmenden Achaier, unter denen Agamemnon entweder fehlt oder wenigstens nicht besonders gekennzeichnet ist, weniger charakteristisch sind, ferner dadurch, daſs Aias zwar im Allgemeinen in derselben Stellung wie bei Duris, aber der Mitte zugewant erscheint, Odysseus endlich auf seinen Stab sich lehnend in aufmerksam gespannter Haltung und mit offenem Mund die Abstimmung beobachtet. Dieselbe Scene begegnet uns endlich auch auf einer in Leyden befindlichen Trinkschale (Roulez Choix de vases pl. II), dort ist sie aber auf die Figur der Athena und dreier abstimmenden Achaier beschränkt, wie auch auf dem Innenbild dieselbe Scene in ganz verkürzter Gestalt: Athena und ein Achaier, wiederkehrt. Die in dieser Scene fehlenden Gestalten des Aias und Odysseus hat aber der Vasenmaler benutzt, um auf der Rückseite eine neue selbständige Scene zu bilden; dort sehen wir nämlich die beiden Helden im Augenblick nach erfolgter Entscheidung. Aias in der typischen Haltung des tief Gebeugten, wie bei Duris und auf der Londoner Vase, wird von einem Genossen getröstet. Odysseus steht mit den frisch errungenen Waffen geschmückt da und empfängt aus der Hand eines jugendlichen Genossen das letzte Stück der Rüstung, die Chlamys.
Nach dem Gesagten bedarf es keiner besonderen Auseinander- setzung mehr, daſs die namentlich auf schwarzfigurigen Vasen häufigen Darstellungen zweier Helden, meist Aias und Achilleus, die sich in Gegenwart der Athena oder auch allein am Brett- oder Würfelspiel ergötzen, mit der in Rede stehenden Scene ganz und gar nichts zu thun haben. Auf schwarzfigurigen Vasen ist dieselbe bis jetzt überhaupt noch nicht gefunden worden, und darauf gründet sich die oben S. 30 ausgesprochene Vermutung, daſs sie erst von der rotfigurigen Vasenmalerei, und zwar als Gegenstück zur Streitscene, geschaffen sein möge.
Wir lernen also durch diese Vasen eine Sagenversion kennen, nach welcher Aias und Odysseus um die Waffen des Achilleus
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Momentes und feiner Charakteristik der einzelnen Figuren steht
die Darstellung derjenigen der Vorderseite durchaus nicht nach.
Die Darstellung der Londoner Vase unterscheidet sich wesent-
lich dadurch, daſs die Bewegungen der vier abstimmenden Achaier,
unter denen Agamemnon entweder fehlt oder wenigstens nicht
besonders gekennzeichnet ist, weniger charakteristisch sind, ferner
dadurch, daſs Aias zwar im Allgemeinen in derselben Stellung
wie bei Duris, aber der Mitte zugewant erscheint, Odysseus
endlich auf seinen Stab sich lehnend in aufmerksam gespannter
Haltung und mit offenem Mund die Abstimmung beobachtet.
Dieselbe Scene begegnet uns endlich auch auf einer in Leyden
befindlichen Trinkschale (Roulez Choix de vases pl. II), dort ist
sie aber auf die Figur der Athena und dreier abstimmenden
Achaier beschränkt, wie auch auf dem Innenbild dieselbe Scene
in ganz verkürzter Gestalt: Athena und ein Achaier, wiederkehrt.
Die in dieser Scene fehlenden Gestalten des Aias und Odysseus
hat aber der Vasenmaler benutzt, um auf der Rückseite eine
neue selbständige Scene zu bilden; dort sehen wir nämlich die
beiden Helden im Augenblick nach erfolgter Entscheidung. Aias
in der typischen Haltung des tief Gebeugten, wie bei Duris und
auf der Londoner Vase, wird von einem Genossen getröstet.
Odysseus steht mit den frisch errungenen Waffen geschmückt da
und empfängt aus der Hand eines jugendlichen Genossen das
letzte Stück der Rüstung, die Chlamys.
Nach dem Gesagten bedarf es keiner besonderen Auseinander-
setzung mehr, daſs die namentlich auf schwarzfigurigen Vasen
häufigen Darstellungen zweier Helden, meist Aias und Achilleus,
die sich in Gegenwart der Athena oder auch allein am Brett-
oder Würfelspiel ergötzen, mit der in Rede stehenden Scene ganz
und gar nichts zu thun haben. Auf schwarzfigurigen Vasen ist
dieselbe bis jetzt überhaupt noch nicht gefunden worden, und
darauf gründet sich die oben S. 30 ausgesprochene Vermutung,
daſs sie erst von der rotfigurigen Vasenmalerei, und zwar als
Gegenstück zur Streitscene, geschaffen sein möge.
Wir lernen also durch diese Vasen eine Sagenversion kennen,
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/234>, abgerufen am 16.02.2025.
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