Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Massregeln, die der Staat gegen Orestes ergreifen will; V. 431
weiss er plötzlich, dass dem Orestes die Verbannung droht, und
fragt, wer diese hauptsächlich betreibe; hingegen V. 441 ist er
auf einmal wieder im Unklaren darüber, ob die Bürger den
Orestes nur verbannen oder töten wollen. Und nun Orestes!
V. 432 hat er ohne Weiteres zugegeben, dass ihm Verbannung
bevorstehe, V. 442 erklärt er auf einmal, dass man ihm nicht
mit Verbannung, sondern mit dem Tode drohe. Und weiter: wie
absurd ist es, dass Menelaos, der doch zu wissen scheint, dass
Orestes verbannt werden soll (V. 431), der eben gehört hat, dass
die Leiter des Staates den Orestes misshandeln (V. 436), an den-
selben Orestes die Frage richtet, ob ihm die Stadt die väter-
liche Herrschergewalt gelassen habe? Das könnte doch nur der
bitterste Hohn sein; allein wie passte der hierher? Nun han-
delt es sich aber im ganzen Stück um den Tod, nicht um die
Verbannung des Orestes; die Verse stehen also zu dem ganzen
Stück in ebenso grellem Widerspruch wie zu dieser einzelnen Scene.
Weniger Gewicht würde ich darauf legen, dass Oiax sonst im
Stück nicht erwähnt wird und namentlich in der Volksversamm-
lung (V. 866--956) gar keine Rolle spielt. Denn dort kommt
es dem Dichter wesentlich darauf an, Typen aus der athenischen
Volksversammlung vorzuführen. Streicht man die bezeichneten
sechs Verse, so schliesst V. 437 sehr passend an 430 an, und
die Fragen des Menelaos folgen sich ohne jeden Widerspruch
und in logischer Reihe: Wie behandeln dich die Bürger? bist
du entsühnt? lässt man dir das Scepter? droht dir Tod oder
Verbannung?




Philolog. Untersuchungen V. 16

Maſsregeln, die der Staat gegen Orestes ergreifen will; V. 431
weiſs er plötzlich, daſs dem Orestes die Verbannung droht, und
fragt, wer diese hauptsächlich betreibe; hingegen V. 441 ist er
auf einmal wieder im Unklaren darüber, ob die Bürger den
Orestes nur verbannen oder töten wollen. Und nun Orestes!
V. 432 hat er ohne Weiteres zugegeben, daſs ihm Verbannung
bevorstehe, V. 442 erklärt er auf einmal, daſs man ihm nicht
mit Verbannung, sondern mit dem Tode drohe. Und weiter: wie
absurd ist es, daſs Menelaos, der doch zu wissen scheint, daſs
Orestes verbannt werden soll (V. 431), der eben gehört hat, daſs
die Leiter des Staates den Orestes miſshandeln (V. 436), an den-
selben Orestes die Frage richtet, ob ihm die Stadt die väter-
liche Herrschergewalt gelassen habe? Das könnte doch nur der
bitterste Hohn sein; allein wie paſste der hierher? Nun han-
delt es sich aber im ganzen Stück um den Tod, nicht um die
Verbannung des Orestes; die Verse stehen also zu dem ganzen
Stück in ebenso grellem Widerspruch wie zu dieser einzelnen Scene.
Weniger Gewicht würde ich darauf legen, daſs Oiax sonst im
Stück nicht erwähnt wird und namentlich in der Volksversamm-
lung (V. 866—956) gar keine Rolle spielt. Denn dort kommt
es dem Dichter wesentlich darauf an, Typen aus der athenischen
Volksversammlung vorzuführen. Streicht man die bezeichneten
sechs Verse, so schlieſst V. 437 sehr passend an 430 an, und
die Fragen des Menelaos folgen sich ohne jeden Widerspruch
und in logischer Reihe: Wie behandeln dich die Bürger? bist
du entsühnt? läſst man dir das Scepter? droht dir Tod oder
Verbannung?




Philolog. Untersuchungen V. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0255" n="241"/>
Ma&#x017F;sregeln, die der Staat gegen Orestes ergreifen will; V. 431<lb/>
wei&#x017F;s er plötzlich, da&#x017F;s dem Orestes die Verbannung droht, und<lb/>
fragt, wer diese hauptsächlich betreibe; hingegen V. 441 ist er<lb/>
auf einmal wieder im Unklaren darüber, ob die Bürger den<lb/>
Orestes nur verbannen oder töten wollen. Und nun Orestes!<lb/>
V. 432 hat er ohne Weiteres zugegeben, da&#x017F;s ihm Verbannung<lb/>
bevorstehe, V. 442 erklärt er auf einmal, da&#x017F;s man ihm nicht<lb/>
mit Verbannung, sondern mit dem Tode drohe. Und weiter: wie<lb/>
absurd ist es, da&#x017F;s Menelaos, der doch zu wissen scheint, da&#x017F;s<lb/>
Orestes verbannt werden soll (V. 431), der eben gehört hat, da&#x017F;s<lb/>
die Leiter des Staates den Orestes mi&#x017F;shandeln (V. 436), an den-<lb/>
selben Orestes die Frage richtet, ob ihm die Stadt die väter-<lb/>
liche Herrschergewalt gelassen habe? Das könnte doch nur der<lb/>
bitterste Hohn sein; allein wie pa&#x017F;ste der hierher? Nun han-<lb/>
delt es sich aber im ganzen Stück um den Tod, nicht um die<lb/>
Verbannung des Orestes; die Verse stehen also zu dem ganzen<lb/>
Stück in ebenso grellem Widerspruch wie zu dieser einzelnen Scene.<lb/>
Weniger Gewicht würde ich darauf legen, da&#x017F;s Oiax sonst im<lb/>
Stück nicht erwähnt wird und namentlich in der Volksversamm-<lb/>
lung (V. 866&#x2014;956) gar keine Rolle spielt. Denn dort kommt<lb/>
es dem Dichter wesentlich darauf an, Typen aus der athenischen<lb/>
Volksversammlung vorzuführen. Streicht man die bezeichneten<lb/>
sechs Verse, so schlie&#x017F;st V. 437 sehr passend an 430 an, und<lb/>
die Fragen des Menelaos folgen sich ohne jeden Widerspruch<lb/>
und in logischer Reihe: Wie behandeln dich die Bürger? bist<lb/>
du entsühnt? lä&#x017F;st man dir das Scepter? droht dir Tod oder<lb/>
Verbannung?</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">Philolog. Untersuchungen V. 16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0255] Maſsregeln, die der Staat gegen Orestes ergreifen will; V. 431 weiſs er plötzlich, daſs dem Orestes die Verbannung droht, und fragt, wer diese hauptsächlich betreibe; hingegen V. 441 ist er auf einmal wieder im Unklaren darüber, ob die Bürger den Orestes nur verbannen oder töten wollen. Und nun Orestes! V. 432 hat er ohne Weiteres zugegeben, daſs ihm Verbannung bevorstehe, V. 442 erklärt er auf einmal, daſs man ihm nicht mit Verbannung, sondern mit dem Tode drohe. Und weiter: wie absurd ist es, daſs Menelaos, der doch zu wissen scheint, daſs Orestes verbannt werden soll (V. 431), der eben gehört hat, daſs die Leiter des Staates den Orestes miſshandeln (V. 436), an den- selben Orestes die Frage richtet, ob ihm die Stadt die väter- liche Herrschergewalt gelassen habe? Das könnte doch nur der bitterste Hohn sein; allein wie paſste der hierher? Nun han- delt es sich aber im ganzen Stück um den Tod, nicht um die Verbannung des Orestes; die Verse stehen also zu dem ganzen Stück in ebenso grellem Widerspruch wie zu dieser einzelnen Scene. Weniger Gewicht würde ich darauf legen, daſs Oiax sonst im Stück nicht erwähnt wird und namentlich in der Volksversamm- lung (V. 866—956) gar keine Rolle spielt. Denn dort kommt es dem Dichter wesentlich darauf an, Typen aus der athenischen Volksversammlung vorzuführen. Streicht man die bezeichneten sechs Verse, so schlieſst V. 437 sehr passend an 430 an, und die Fragen des Menelaos folgen sich ohne jeden Widerspruch und in logischer Reihe: Wie behandeln dich die Bürger? bist du entsühnt? läſst man dir das Scepter? droht dir Tod oder Verbannung? Philolog. Untersuchungen V. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/255
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/255>, abgerufen am 21.11.2024.