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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Helenas Flucht zu einem Heiligtum der kleinen Ilias fremd
war. Und dass sie auch bei Arktinos nicht vorkam, hat man
mit Recht aus den Worten des Proklos geschlossen: Menelaos
de aneuron Elenen epi tas naus katagei Deiphobon phoneusas, die
sonst doch gar zu lakonisch wären.

Während also Helenas Flucht zu Aphrodites Heiligtum dem
Epos fremd ist, scheint sie doch schon vor Ibykos von Stesichoros
in seiner Iliupersis erzählt worden zu sein; wenigstens ist auf
der tabula iliaca die Begegnung von Menelaos und Helena vor
einem inschriftlich als ieron Aphrodites bezeichneten Gebäude
dargestellt29). Das alte dem Epos entstammende Motiv hat aber
Stesichoros keinesweges ganz verworfen, nur überträgt er es mit
feinem Takt auf den rohen Haufen des achäischen Heeres, der
zuerst Helena steinigen will, aber geblendet von ihrer Schönheit
die Steine fallen lässt (fr. 25 Bergk. schol. Eurip. Orest. 1286).

Von der allergrössten Wichtigkeit ist es nun, dass uns diese
von den Lyrikern geschaffene Version des Mythos, wie zuerst
Brizio gesehen, auf einer attischen Trinkschale des fünften
Jahrhunderts begegnet, die in Corneto gefunden sich in dem dor-
tigen Museum befindet, leider aber noch nicht publiciert ist; s.
Helbig B. d. I. 1875 p. 175. Brizio A. d. I. 1878 p. 62 n. L.
und p. 71. Die eine Seite zeigt Helena von Menelaos ver-
folgt auf einen Tempel zufliehend, in dem Aphrodite sitzt, ihrem
Schützling die rechte Hand entgegenstreckend; also abermals ein
sicheres Beispiel von dem Einfluss der von der Lyrik geschaffenen
Sagenversion auf die bildende Kunst. Und gewiss liegt auch den ver-
schiedenen Modifikationen, in welchen diese Scene erscheint, keine
weitere Quelle zu Grunde, als die eine von Ibykos und Stesichoros
herrührende Fassung. Ganz spontan geschieht es dann, dass die
Götter selbst, sei es Aphrodite und Peitho, sei es Athena, per-
sönlich eingreifen und dem Menelaos in den Weg treten; ganz
spontan ferner, dass statt des Aphroditetempels das bekann-
teste troische Heiligtum, das des thymbräischen Apollo, als
Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint, wie auf einer Wiener

29) S. O. Jahn Griechische Bilderchroniken Taf. I S. 34.

Helenas Flucht zu einem Heiligtum der kleinen Ilias fremd
war. Und daſs sie auch bei Arktinos nicht vorkam, hat man
mit Recht aus den Worten des Proklos geschlossen: Μενέλαος
δὲ ἀνευρὼν Ἑλένην ἐπὶ τὰς ναῦς κατάγει Δηΐφοβον φονεύσας, die
sonst doch gar zu lakonisch wären.

Während also Helenas Flucht zu Aphrodites Heiligtum dem
Epos fremd ist, scheint sie doch schon vor Ibykos von Stesichoros
in seiner Iliupersis erzählt worden zu sein; wenigstens ist auf
der tabula iliaca die Begegnung von Menelaos und Helena vor
einem inschriftlich als ἱερὸν Ἀφροδίτης bezeichneten Gebäude
dargestellt29). Das alte dem Epos entstammende Motiv hat aber
Stesichoros keinesweges ganz verworfen, nur überträgt er es mit
feinem Takt auf den rohen Haufen des achäischen Heeres, der
zuerst Helena steinigen will, aber geblendet von ihrer Schönheit
die Steine fallen läſst (fr. 25 Bergk. schol. Eurip. Orest. 1286).

Von der allergröſsten Wichtigkeit ist es nun, daſs uns diese
von den Lyrikern geschaffene Version des Mythos, wie zuerst
Brizio gesehen, auf einer attischen Trinkschale des fünften
Jahrhunderts begegnet, die in Corneto gefunden sich in dem dor-
tigen Museum befindet, leider aber noch nicht publiciert ist; s.
Helbig B. d. I. 1875 p. 175. Brizio A. d. I. 1878 p. 62 n. L.
und p. 71. Die eine Seite zeigt Helena von Menelaos ver-
folgt auf einen Tempel zufliehend, in dem Aphrodite sitzt, ihrem
Schützling die rechte Hand entgegenstreckend; also abermals ein
sicheres Beispiel von dem Einfluſs der von der Lyrik geschaffenen
Sagenversion auf die bildende Kunst. Und gewiſs liegt auch den ver-
schiedenen Modifikationen, in welchen diese Scene erscheint, keine
weitere Quelle zu Grunde, als die eine von Ibykos und Stesichoros
herrührende Fassung. Ganz spontan geschieht es dann, daſs die
Götter selbst, sei es Aphrodite und Peitho, sei es Athena, per-
sönlich eingreifen und dem Menelaos in den Weg treten; ganz
spontan ferner, daſs statt des Aphroditetempels das bekann-
teste troische Heiligtum, das des thymbräischen Apollo, als
Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint, wie auf einer Wiener

29) S. O. Jahn Griechische Bilderchroniken Taf. I S. 34.
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[78/0092] Helenas Flucht zu einem Heiligtum der kleinen Ilias fremd war. Und daſs sie auch bei Arktinos nicht vorkam, hat man mit Recht aus den Worten des Proklos geschlossen: Μενέλαος δὲ ἀνευρὼν Ἑλένην ἐπὶ τὰς ναῦς κατάγει Δηΐφοβον φονεύσας, die sonst doch gar zu lakonisch wären. Während also Helenas Flucht zu Aphrodites Heiligtum dem Epos fremd ist, scheint sie doch schon vor Ibykos von Stesichoros in seiner Iliupersis erzählt worden zu sein; wenigstens ist auf der tabula iliaca die Begegnung von Menelaos und Helena vor einem inschriftlich als ἱερὸν Ἀφροδίτης bezeichneten Gebäude dargestellt 29). Das alte dem Epos entstammende Motiv hat aber Stesichoros keinesweges ganz verworfen, nur überträgt er es mit feinem Takt auf den rohen Haufen des achäischen Heeres, der zuerst Helena steinigen will, aber geblendet von ihrer Schönheit die Steine fallen läſst (fr. 25 Bergk. schol. Eurip. Orest. 1286). Von der allergröſsten Wichtigkeit ist es nun, daſs uns diese von den Lyrikern geschaffene Version des Mythos, wie zuerst Brizio gesehen, auf einer attischen Trinkschale des fünften Jahrhunderts begegnet, die in Corneto gefunden sich in dem dor- tigen Museum befindet, leider aber noch nicht publiciert ist; s. Helbig B. d. I. 1875 p. 175. Brizio A. d. I. 1878 p. 62 n. L. und p. 71. Die eine Seite zeigt Helena von Menelaos ver- folgt auf einen Tempel zufliehend, in dem Aphrodite sitzt, ihrem Schützling die rechte Hand entgegenstreckend; also abermals ein sicheres Beispiel von dem Einfluſs der von der Lyrik geschaffenen Sagenversion auf die bildende Kunst. Und gewiſs liegt auch den ver- schiedenen Modifikationen, in welchen diese Scene erscheint, keine weitere Quelle zu Grunde, als die eine von Ibykos und Stesichoros herrührende Fassung. Ganz spontan geschieht es dann, daſs die Götter selbst, sei es Aphrodite und Peitho, sei es Athena, per- sönlich eingreifen und dem Menelaos in den Weg treten; ganz spontan ferner, daſs statt des Aphroditetempels das bekann- teste troische Heiligtum, das des thymbräischen Apollo, als Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint, wie auf einer Wiener 29) S. O. Jahn Griechische Bilderchroniken Taf. I S. 34.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/92>, abgerufen am 21.11.2024.