Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.2. Enge Verbindung mit der Spekulation und dem internationalen Großkapital. Hier kommt die Gefahr der Anhäufung von Machtmitteln in der Hand einzelner Privatpersonen, die auch Ausländer sein können, der entsittlichende Einfluß der großenteils auf die Wertpapiere der Privatbahnen begründeten Börsenspekulation, sowie der Ausbeutung des Publikums durch unsolide Finanzierungen und Effektenemissionen besonders kraß zur Geltung. 3. Rein erwerbsmäßige Handhabung des Tarifwesens, die zur Bedrückung der Verkehrsinteressenten, zur Hemmung der Entwicklung einzelner Produktionszweige und zur unverhältnismäßigen Bereicherung der Eisenbahnaktionäre führen kann. 4. Zersplitterung des Bahnnetzes unter mehrere Privatverwaltungen, wodurch einheitliche Verkehrsabwicklung und Tarifaufstellung erschwert werden. 5. Wo der Staat den Bahnbau und Betrieb durch finanzielle Zuwendungen, Zinsen- oder Ertragsgarantien u. dgl. unterstützt, und wo derartige Unterstützungen dauernd in Anspruch genommen werden, kann es leicht vorkommen, daß die Gesellschaften das Interesse an der Besserung des Ertrages der garantierten Linien zurückstellen und auf Kosten des Staates zum Vorteil der Aktionäre wirtschaften. Das Privatbahnsystem ist in den europäischen Festlandsstaaten im Rückgange begriffen und hat vielfach den anderen eisenbahnpolitischen Bildungsformen Platz gemacht. II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen (Staatsbahnen im Betriebe von Privatunternehmungen). Dem reinen Privatbahnsystem am nächsten verwandt ist die eisenbahnpolitische Gestaltungsform, bei der die Funktionen des Eisenbahnwesens zwischen dem Staate und der privaten Tätigkeit derart verteilt sind, daß der Staat sich das Eigentum und die Verfügung über die Substanz der Eisenbahnen vorbehält, den Betrieb der ihm gehörigen Bahnen jedoch an Privatunternehmungen überträgt, die ihn vertragsmäßig nach Art eines Pachtverhältnisses führen und an dem Betriebsergebnisse unmittelbar beteiligt sind. Auch dieser Organisationsform liegt die Vorstellung zugrunde, daß der wirtschaftlichen Gebarung finanziell beteiligter Privatunternehmungen - hier der betriebführenden Gesellschaften - der Vorzug vor der Betriebführung durch Staatsorgane einzuräumen sei. Gleichwohl begegnet der Pachtbetrieb von Staatsbahnen in der Praxis den erheblichsten Schwierigkeiten. Diese liegen in dem Widerstreit mit den finanziellen Interessen des Staates, der naturgemäß die Lasten der Erneuerungen und Erweiterungen auf die betriebführenden Gesellschaften zu überwälzen trachtet, wogegen diese vor allem die mögliche Steigerung ihrer Ertragsanteile im Auge haben und der Ansammlung von Reserven sowie der Instandhaltung und Fortbildung des Bahnunternehmens geringere Sorgfalt zuwenden. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Auseinandersetzung mit den Betriebspächtern beim Ablauf der Pachtperiode. Die Erfahrungen mit diesem System sind keine günstigen. Sie führten in Italien, wo dieses System seit dem Rückkauf der Bahnen durch den Staat in den Jahren 1885-1905 bestand, zum Aufgeben des Pachtsystems und zur allgemeinen Einführung des staatlichen Eigenbetriebes. Nur in den Niederlanden, wo der Eisenbahnverkehr gegenüber der hochentwickelten Benutzung der das Land nach allen Richtungen durchziehenden Wasserwege von geringerer Bedeutung ist, hat sich das System des Pachtbetriebes der Staatsbahnen bisher erhalten. III. Staatsbetrieb von Privatbahnen (Privatbahnen unter Staatsverwaltung). Der Betrieb von Privatbahnen durch den Staat bildet eine Übergangsform vom Privat- zum Staatsbahnsystem. Dabei liegt der Gedanke zugrunde, die öffentlichen Interessen beim Betriebe durch die unmittelbare Betätigung des Staates besser wahrzunehmen, als dies im Privatbetriebe der Fall wäre, ohne jedoch dem Staate die wirtschaftliche Verantwortlichkeit für das Bahnunternehmen im vollen Umfange aufzuerlegen. Staatsbetrieb von Privatbahnen wird als ein Mittel angesehen, die verkehrspolitische Machtstellung des Staates zu stärken. Er kommt besonders im gemischten System, wo Staats- und Privatbahnen im Wettbewerbe nebeneinander bestehen, zur Anwendung. Auch bietet er bei garantierten Bahnen, die den Staat finanziell stark in Anspruch nehmen, ein wirksames Mittel der Abhilfe gegen die nachteiligen Folgen der Gebarung der Gesellschaften auf Kosten des Staates. Als Nachteile dieses Systems gelten die Schwierigkeiten, die sich aus den materiellen Beziehungen des Staates zu den Eigentümern der von ihm betriebenen Bahnen ergeben: die doppelte Verantwortlichkeit des Betriebsführers, der einerseits die öffentlichen Interessen wahrzunehmen hat, anderseits auf die Interessen der Aktionäre Bedacht nehmen soll, kann leicht zu Konflikten Anlaß geben. Die Trennung 2. Enge Verbindung mit der Spekulation und dem internationalen Großkapital. Hier kommt die Gefahr der Anhäufung von Machtmitteln in der Hand einzelner Privatpersonen, die auch Ausländer sein können, der entsittlichende Einfluß der großenteils auf die Wertpapiere der Privatbahnen begründeten Börsenspekulation, sowie der Ausbeutung des Publikums durch unsolide Finanzierungen und Effektenemissionen besonders kraß zur Geltung. 3. Rein erwerbsmäßige Handhabung des Tarifwesens, die zur Bedrückung der Verkehrsinteressenten, zur Hemmung der Entwicklung einzelner Produktionszweige und zur unverhältnismäßigen Bereicherung der Eisenbahnaktionäre führen kann. 4. Zersplitterung des Bahnnetzes unter mehrere Privatverwaltungen, wodurch einheitliche Verkehrsabwicklung und Tarifaufstellung erschwert werden. 5. Wo der Staat den Bahnbau und Betrieb durch finanzielle Zuwendungen, Zinsen- oder Ertragsgarantien u. dgl. unterstützt, und wo derartige Unterstützungen dauernd in Anspruch genommen werden, kann es leicht vorkommen, daß die Gesellschaften das Interesse an der Besserung des Ertrages der garantierten Linien zurückstellen und auf Kosten des Staates zum Vorteil der Aktionäre wirtschaften. Das Privatbahnsystem ist in den europäischen Festlandsstaaten im Rückgange begriffen und hat vielfach den anderen eisenbahnpolitischen Bildungsformen Platz gemacht. II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen (Staatsbahnen im Betriebe von Privatunternehmungen). Dem reinen Privatbahnsystem am nächsten verwandt ist die eisenbahnpolitische Gestaltungsform, bei der die Funktionen des Eisenbahnwesens zwischen dem Staate und der privaten Tätigkeit derart verteilt sind, daß der Staat sich das Eigentum und die Verfügung über die Substanz der Eisenbahnen vorbehält, den Betrieb der ihm gehörigen Bahnen jedoch an Privatunternehmungen überträgt, die ihn vertragsmäßig nach Art eines Pachtverhältnisses führen und an dem Betriebsergebnisse unmittelbar beteiligt sind. Auch dieser Organisationsform liegt die Vorstellung zugrunde, daß der wirtschaftlichen Gebarung finanziell beteiligter Privatunternehmungen – hier der betriebführenden Gesellschaften – der Vorzug vor der Betriebführung durch Staatsorgane einzuräumen sei. Gleichwohl begegnet der Pachtbetrieb von Staatsbahnen in der Praxis den erheblichsten Schwierigkeiten. Diese liegen in dem Widerstreit mit den finanziellen Interessen des Staates, der naturgemäß die Lasten der Erneuerungen und Erweiterungen auf die betriebführenden Gesellschaften zu überwälzen trachtet, wogegen diese vor allem die mögliche Steigerung ihrer Ertragsanteile im Auge haben und der Ansammlung von Reserven sowie der Instandhaltung und Fortbildung des Bahnunternehmens geringere Sorgfalt zuwenden. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Auseinandersetzung mit den Betriebspächtern beim Ablauf der Pachtperiode. Die Erfahrungen mit diesem System sind keine günstigen. Sie führten in Italien, wo dieses System seit dem Rückkauf der Bahnen durch den Staat in den Jahren 1885–1905 bestand, zum Aufgeben des Pachtsystems und zur allgemeinen Einführung des staatlichen Eigenbetriebes. Nur in den Niederlanden, wo der Eisenbahnverkehr gegenüber der hochentwickelten Benutzung der das Land nach allen Richtungen durchziehenden Wasserwege von geringerer Bedeutung ist, hat sich das System des Pachtbetriebes der Staatsbahnen bisher erhalten. III. Staatsbetrieb von Privatbahnen (Privatbahnen unter Staatsverwaltung). Der Betrieb von Privatbahnen durch den Staat bildet eine Übergangsform vom Privat- zum Staatsbahnsystem. Dabei liegt der Gedanke zugrunde, die öffentlichen Interessen beim Betriebe durch die unmittelbare Betätigung des Staates besser wahrzunehmen, als dies im Privatbetriebe der Fall wäre, ohne jedoch dem Staate die wirtschaftliche Verantwortlichkeit für das Bahnunternehmen im vollen Umfange aufzuerlegen. Staatsbetrieb von Privatbahnen wird als ein Mittel angesehen, die verkehrspolitische Machtstellung des Staates zu stärken. Er kommt besonders im gemischten System, wo Staats- und Privatbahnen im Wettbewerbe nebeneinander bestehen, zur Anwendung. Auch bietet er bei garantierten Bahnen, die den Staat finanziell stark in Anspruch nehmen, ein wirksames Mittel der Abhilfe gegen die nachteiligen Folgen der Gebarung der Gesellschaften auf Kosten des Staates. Als Nachteile dieses Systems gelten die Schwierigkeiten, die sich aus den materiellen Beziehungen des Staates zu den Eigentümern der von ihm betriebenen Bahnen ergeben: die doppelte Verantwortlichkeit des Betriebsführers, der einerseits die öffentlichen Interessen wahrzunehmen hat, anderseits auf die Interessen der Aktionäre Bedacht nehmen soll, kann leicht zu Konflikten Anlaß geben. Die Trennung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p> <pb facs="#f0106" n="97"/> </p><lb/> <p>2. 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Sie führten in Italien, wo dieses System seit dem Rückkauf der Bahnen durch den Staat in den Jahren 1885–1905 bestand, zum Aufgeben des Pachtsystems und zur allgemeinen Einführung des staatlichen Eigenbetriebes. Nur in den Niederlanden, wo der Eisenbahnverkehr gegenüber der hochentwickelten Benutzung der das Land nach allen Richtungen durchziehenden Wasserwege von geringerer Bedeutung ist, hat sich das System des Pachtbetriebes der Staatsbahnen bisher erhalten.</p><lb/> <p rendition="#c">III. <hi rendition="#g">Staatsbetrieb von Privatbahnen (Privatbahnen unter Staatsverwaltung</hi>).</p><lb/> <p>Der Betrieb von Privatbahnen durch den Staat bildet eine Übergangsform vom Privat- zum Staatsbahnsystem. 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Als Nachteile dieses Systems gelten die Schwierigkeiten, die sich aus den materiellen Beziehungen des Staates zu den Eigentümern der von ihm betriebenen Bahnen ergeben: die doppelte Verantwortlichkeit des Betriebsführers, der einerseits die öffentlichen Interessen wahrzunehmen hat, anderseits auf die Interessen der Aktionäre Bedacht nehmen soll, kann leicht zu Konflikten Anlaß geben. Die Trennung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0106]
2. Enge Verbindung mit der Spekulation und dem internationalen Großkapital. Hier kommt die Gefahr der Anhäufung von Machtmitteln in der Hand einzelner Privatpersonen, die auch Ausländer sein können, der entsittlichende Einfluß der großenteils auf die Wertpapiere der Privatbahnen begründeten Börsenspekulation, sowie der Ausbeutung des Publikums durch unsolide Finanzierungen und Effektenemissionen besonders kraß zur Geltung.
3. Rein erwerbsmäßige Handhabung des Tarifwesens, die zur Bedrückung der Verkehrsinteressenten, zur Hemmung der Entwicklung einzelner Produktionszweige und zur unverhältnismäßigen Bereicherung der Eisenbahnaktionäre führen kann.
4. Zersplitterung des Bahnnetzes unter mehrere Privatverwaltungen, wodurch einheitliche Verkehrsabwicklung und Tarifaufstellung erschwert werden.
5. Wo der Staat den Bahnbau und Betrieb durch finanzielle Zuwendungen, Zinsen- oder Ertragsgarantien u. dgl. unterstützt, und wo derartige Unterstützungen dauernd in Anspruch genommen werden, kann es leicht vorkommen, daß die Gesellschaften das Interesse an der Besserung des Ertrages der garantierten Linien zurückstellen und auf Kosten des Staates zum Vorteil der Aktionäre wirtschaften.
Das Privatbahnsystem ist in den europäischen Festlandsstaaten im Rückgange begriffen und hat vielfach den anderen eisenbahnpolitischen Bildungsformen Platz gemacht.
II. Pachtbetrieb von Staatsbahnen (Staatsbahnen im Betriebe von Privatunternehmungen).
Dem reinen Privatbahnsystem am nächsten verwandt ist die eisenbahnpolitische Gestaltungsform, bei der die Funktionen des Eisenbahnwesens zwischen dem Staate und der privaten Tätigkeit derart verteilt sind, daß der Staat sich das Eigentum und die Verfügung über die Substanz der Eisenbahnen vorbehält, den Betrieb der ihm gehörigen Bahnen jedoch an Privatunternehmungen überträgt, die ihn vertragsmäßig nach Art eines Pachtverhältnisses führen und an dem Betriebsergebnisse unmittelbar beteiligt sind. Auch dieser Organisationsform liegt die Vorstellung zugrunde, daß der wirtschaftlichen Gebarung finanziell beteiligter Privatunternehmungen – hier der betriebführenden Gesellschaften – der Vorzug vor der Betriebführung durch Staatsorgane einzuräumen sei. Gleichwohl begegnet der Pachtbetrieb von Staatsbahnen in der Praxis den erheblichsten Schwierigkeiten. Diese liegen in dem Widerstreit mit den finanziellen Interessen des Staates, der naturgemäß die Lasten der Erneuerungen und Erweiterungen auf die betriebführenden Gesellschaften zu überwälzen trachtet, wogegen diese vor allem die mögliche Steigerung ihrer Ertragsanteile im Auge haben und der Ansammlung von Reserven sowie der Instandhaltung und Fortbildung des Bahnunternehmens geringere Sorgfalt zuwenden. Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Auseinandersetzung mit den Betriebspächtern beim Ablauf der Pachtperiode. Die Erfahrungen mit diesem System sind keine günstigen. Sie führten in Italien, wo dieses System seit dem Rückkauf der Bahnen durch den Staat in den Jahren 1885–1905 bestand, zum Aufgeben des Pachtsystems und zur allgemeinen Einführung des staatlichen Eigenbetriebes. Nur in den Niederlanden, wo der Eisenbahnverkehr gegenüber der hochentwickelten Benutzung der das Land nach allen Richtungen durchziehenden Wasserwege von geringerer Bedeutung ist, hat sich das System des Pachtbetriebes der Staatsbahnen bisher erhalten.
III. Staatsbetrieb von Privatbahnen (Privatbahnen unter Staatsverwaltung).
Der Betrieb von Privatbahnen durch den Staat bildet eine Übergangsform vom Privat- zum Staatsbahnsystem. Dabei liegt der Gedanke zugrunde, die öffentlichen Interessen beim Betriebe durch die unmittelbare Betätigung des Staates besser wahrzunehmen, als dies im Privatbetriebe der Fall wäre, ohne jedoch dem Staate die wirtschaftliche Verantwortlichkeit für das Bahnunternehmen im vollen Umfange aufzuerlegen. Staatsbetrieb von Privatbahnen wird als ein Mittel angesehen, die verkehrspolitische Machtstellung des Staates zu stärken. Er kommt besonders im gemischten System, wo Staats- und Privatbahnen im Wettbewerbe nebeneinander bestehen, zur Anwendung. Auch bietet er bei garantierten Bahnen, die den Staat finanziell stark in Anspruch nehmen, ein wirksames Mittel der Abhilfe gegen die nachteiligen Folgen der Gebarung der Gesellschaften auf Kosten des Staates. Als Nachteile dieses Systems gelten die Schwierigkeiten, die sich aus den materiellen Beziehungen des Staates zu den Eigentümern der von ihm betriebenen Bahnen ergeben: die doppelte Verantwortlichkeit des Betriebsführers, der einerseits die öffentlichen Interessen wahrzunehmen hat, anderseits auf die Interessen der Aktionäre Bedacht nehmen soll, kann leicht zu Konflikten Anlaß geben. Die Trennung
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