Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

damals allein angewendeten galvanischen Elemente hierzu nicht geeignet waren.

Erst als durch Werner Siemens im Jahre 1867 die dynamo-elektrische Maschine geschaffen wurde, durch die zuerst die Möglichkeit gegeben war, elektrische Arbeit in unbegrenzter Menge zu fördern, konnte daran gedacht werden, die gestellte Aufgabe zu lösen. Tatsächlich hat Werner Siemens, wie er selbst berichtet, schon damals die Schaffung von E. ins Auge gefaßt, u. zw. in erster Linie die Errichtung eines Netzes elektrischer Hochbahnen durch die Straßen Berlins.

Die Dynamomaschine war aber noch nicht fähig, so große Aufgaben zu erfüllen, und es bedurfte einer Entwicklungszeit von 12 Jahren, bis im Jahre 1879 gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung an den Bau einer E. geschritten werden konnte.

Wenn auch die bei dieser Bahn benützte, für die spätere Verwendung in dem Stollen eines Kohlenbergwerkes bestimmt gewesene Lokomotive nur langsam verkehrte und den Bedürfnissen der Personenbeförderung nur wenig entsprach, so machte diese kleine Ausstellungsbahn doch gewaltiges Aufsehen und bestärkte insbesondere Werner Siemens in dem Gedanken, zur Bewältigung des stetig anwachsenden Verkehres in den Straßen Berlins ein Netz elektrischer Hochbahnen in den belebtesten Straßen zu schaffen.

Um die vielfachen, diesem Plane entgegengehaltenen Bedenken zu entkräften, entschloß sich die Firma Siemens & Halske, auf eigene Kosten eine Probebahn herzustellen, und führte die erste, dem Personenverkehre regelmäßig dienende E. vom Bahnhofe Lichterfelde der Anhaltischen Bahn nach der Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde aus. Diese Bahn wurde am 16. Mai 1881 dem Betriebe übergeben und hat zu allgemeiner Zufriedenheit ihren Dienst getan. Zum ersten Male wurde hier ein Motorwagen angewendet, der zufolge elektrischer Umsteuerung nach beiden Richtungen betrieben, und dessen Geschwindigkeit durch Vorschalten von Widerständen geregelt werden konnte.

Die kleine Ausstellungsbahn vom Jahre 1879 und die im Jahre 1881 erbaute Lichterfelder Bahn haben die Aufmerksamkeit der ganzen technischen Welt auf den elektrischen Bahnbetrieb gelenkt und insbesondere die Ausführbarkeit und verblüffende Einfachheit der elektrischen Betriebsweise dargetan. Auch führten diese Ausführungen zur Erkenntnis, in welchen Fällen vorwiegend der elektrische Betrieb am Platze sei. Diesbezüglich hat Werner Siemens schon im Jahre 1880 in einem Vortrage: "Über die dynamo-elektrische Maschine und deren Verwendung zum Betriebe von E." seine Meinung dahin ausgesprochen, daß der elektrische Betrieb von Bahnen vorwiegend in folgenden drei Fällen Vorteile biete:

1. Zur Überwindung großer Steigungen, da es möglich erscheint, die Zugkraft auf beliebig viele Achsen zu verteilen und dadurch die Adhäsion beliebig zu erhöhen;

2. für den Betrieb von Bahnen im Tunnel und in Bergwerken;

3. für den Betrieb von Hochbahnen. Auch hat Werner Siemens schon damals hervorgehoben, daß der Elektromotor auch geeignet sei, als Generator geschaltet, Arbeit zu vernichten und daher zur Bremsung zu dienen.

Obwohl nach diesen Ausführungen schon im Jahre 1881 die elektrische Straßenbahn in allen ihren wesentlichen Teilen, wenn auch ohne vollkommene Durchbildung, vorhanden war, so verstrichen doch weitere 9 Jahre, bis die Entwicklung der E. in Europa begann.

Die Schwierigkeiten der Konzessionserteilung wurden durch die Anforderungen erhöht, die in Europa an öffentliche Bauten gestellt wurden, und denen die schwerfälligen bis dahin geschaffenen Lösungen der oberirdischen Stromzuführung nicht entsprechen konnten. Diesen Umständen ist es zuzuschreiben, daß die Bestrebungen sich nunmehr vorwiegend nach Schaffung anderer Arten der Stromzuführung richteten, daß ein mehrjähriger Stillstand in der Entwicklung der E. in Europa eintrat und die weitere Entwicklung von Amerika besorgt wurde.

In Amerika wurde zum erstenmal im Jahre 1883 gelegentlich der Ausstellung in Chicago eine kleine E., ganz ähnlich jener der Berliner Gewerbeausstellung vorgeführt.

Dieser Ausstellungsbahn folgten aber bald in großer Zahl wirkliche Betriebsbahnen. Die Amerikaner erkannten mit ihrem praktischen Sinne sofort die großen Vorteile der elektrischen Betriebsweise. Die große Ausdehnung der Stadt- und Industriegebiete, der schlechte Zustand der Straßen, der große Wert, den die Zeitersparnis für den Amerikaner bedeutet, das bedeutende Verkehrsbedürfnis, die leichte Möglichkeit, Konzessionen zu erhalten, bzw. vorhandene Konzessionen abzuändern und die geringe behördliche Beschränkung in der Ausführungsweise sowie viele andere Umstände begünstigten die Ausbreitung der E. in Amerika, während in Europa ihre Entwicklung anfangs nicht erreicht werden konnte.

Die rasche Entwicklung der E. in Amerika gegenüber jener in Europa ist aus nebenstehender

damals allein angewendeten galvanischen Elemente hierzu nicht geeignet waren.

Erst als durch Werner Siemens im Jahre 1867 die dynamo-elektrische Maschine geschaffen wurde, durch die zuerst die Möglichkeit gegeben war, elektrische Arbeit in unbegrenzter Menge zu fördern, konnte daran gedacht werden, die gestellte Aufgabe zu lösen. Tatsächlich hat Werner Siemens, wie er selbst berichtet, schon damals die Schaffung von E. ins Auge gefaßt, u. zw. in erster Linie die Errichtung eines Netzes elektrischer Hochbahnen durch die Straßen Berlins.

Die Dynamomaschine war aber noch nicht fähig, so große Aufgaben zu erfüllen, und es bedurfte einer Entwicklungszeit von 12 Jahren, bis im Jahre 1879 gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung an den Bau einer E. geschritten werden konnte.

Wenn auch die bei dieser Bahn benützte, für die spätere Verwendung in dem Stollen eines Kohlenbergwerkes bestimmt gewesene Lokomotive nur langsam verkehrte und den Bedürfnissen der Personenbeförderung nur wenig entsprach, so machte diese kleine Ausstellungsbahn doch gewaltiges Aufsehen und bestärkte insbesondere Werner Siemens in dem Gedanken, zur Bewältigung des stetig anwachsenden Verkehres in den Straßen Berlins ein Netz elektrischer Hochbahnen in den belebtesten Straßen zu schaffen.

Um die vielfachen, diesem Plane entgegengehaltenen Bedenken zu entkräften, entschloß sich die Firma Siemens & Halske, auf eigene Kosten eine Probebahn herzustellen, und führte die erste, dem Personenverkehre regelmäßig dienende E. vom Bahnhofe Lichterfelde der Anhaltischen Bahn nach der Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde aus. Diese Bahn wurde am 16. Mai 1881 dem Betriebe übergeben und hat zu allgemeiner Zufriedenheit ihren Dienst getan. Zum ersten Male wurde hier ein Motorwagen angewendet, der zufolge elektrischer Umsteuerung nach beiden Richtungen betrieben, und dessen Geschwindigkeit durch Vorschalten von Widerständen geregelt werden konnte.

Die kleine Ausstellungsbahn vom Jahre 1879 und die im Jahre 1881 erbaute Lichterfelder Bahn haben die Aufmerksamkeit der ganzen technischen Welt auf den elektrischen Bahnbetrieb gelenkt und insbesondere die Ausführbarkeit und verblüffende Einfachheit der elektrischen Betriebsweise dargetan. Auch führten diese Ausführungen zur Erkenntnis, in welchen Fällen vorwiegend der elektrische Betrieb am Platze sei. Diesbezüglich hat Werner Siemens schon im Jahre 1880 in einem Vortrage: „Über die dynamo-elektrische Maschine und deren Verwendung zum Betriebe von E.“ seine Meinung dahin ausgesprochen, daß der elektrische Betrieb von Bahnen vorwiegend in folgenden drei Fällen Vorteile biete:

1. Zur Überwindung großer Steigungen, da es möglich erscheint, die Zugkraft auf beliebig viele Achsen zu verteilen und dadurch die Adhäsion beliebig zu erhöhen;

2. für den Betrieb von Bahnen im Tunnel und in Bergwerken;

3. für den Betrieb von Hochbahnen. Auch hat Werner Siemens schon damals hervorgehoben, daß der Elektromotor auch geeignet sei, als Generator geschaltet, Arbeit zu vernichten und daher zur Bremsung zu dienen.

Obwohl nach diesen Ausführungen schon im Jahre 1881 die elektrische Straßenbahn in allen ihren wesentlichen Teilen, wenn auch ohne vollkommene Durchbildung, vorhanden war, so verstrichen doch weitere 9 Jahre, bis die Entwicklung der E. in Europa begann.

Die Schwierigkeiten der Konzessionserteilung wurden durch die Anforderungen erhöht, die in Europa an öffentliche Bauten gestellt wurden, und denen die schwerfälligen bis dahin geschaffenen Lösungen der oberirdischen Stromzuführung nicht entsprechen konnten. Diesen Umständen ist es zuzuschreiben, daß die Bestrebungen sich nunmehr vorwiegend nach Schaffung anderer Arten der Stromzuführung richteten, daß ein mehrjähriger Stillstand in der Entwicklung der E. in Europa eintrat und die weitere Entwicklung von Amerika besorgt wurde.

In Amerika wurde zum erstenmal im Jahre 1883 gelegentlich der Ausstellung in Chicago eine kleine E., ganz ähnlich jener der Berliner Gewerbeausstellung vorgeführt.

Dieser Ausstellungsbahn folgten aber bald in großer Zahl wirkliche Betriebsbahnen. Die Amerikaner erkannten mit ihrem praktischen Sinne sofort die großen Vorteile der elektrischen Betriebsweise. Die große Ausdehnung der Stadt- und Industriegebiete, der schlechte Zustand der Straßen, der große Wert, den die Zeitersparnis für den Amerikaner bedeutet, das bedeutende Verkehrsbedürfnis, die leichte Möglichkeit, Konzessionen zu erhalten, bzw. vorhandene Konzessionen abzuändern und die geringe behördliche Beschränkung in der Ausführungsweise sowie viele andere Umstände begünstigten die Ausbreitung der E. in Amerika, während in Europa ihre Entwicklung anfangs nicht erreicht werden konnte.

Die rasche Entwicklung der E. in Amerika gegenüber jener in Europa ist aus nebenstehender

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="lexiconEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0217" n="208"/>
damals allein angewendeten galvanischen Elemente hierzu nicht geeignet waren.</p><lb/>
          <p>Erst als durch <hi rendition="#g">Werner Siemens</hi> im Jahre 1867 die dynamo-elektrische Maschine geschaffen wurde, durch die zuerst die Möglichkeit gegeben war, elektrische Arbeit in unbegrenzter Menge zu fördern, konnte daran gedacht werden, die gestellte Aufgabe zu lösen. Tatsächlich hat Werner Siemens, wie er selbst berichtet, schon damals die Schaffung von E. ins Auge gefaßt, u. zw. in erster Linie die Errichtung eines Netzes elektrischer <hi rendition="#g">Hochbahnen</hi> durch die Straßen Berlins.</p><lb/>
          <p>Die Dynamomaschine war aber noch nicht fähig, so große Aufgaben zu erfüllen, und es bedurfte einer Entwicklungszeit von 12 Jahren, bis im Jahre 1879 gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung an den Bau einer E. geschritten werden konnte.</p><lb/>
          <p>Wenn auch die bei dieser Bahn benützte, für die spätere Verwendung in dem Stollen eines Kohlenbergwerkes bestimmt gewesene Lokomotive nur langsam verkehrte und den Bedürfnissen der Personenbeförderung nur wenig entsprach, so machte diese kleine Ausstellungsbahn doch gewaltiges Aufsehen und bestärkte insbesondere Werner Siemens in dem Gedanken, zur Bewältigung des stetig anwachsenden Verkehres in den Straßen Berlins ein Netz elektrischer Hochbahnen in den belebtesten Straßen zu schaffen.</p><lb/>
          <p>Um die vielfachen, diesem Plane entgegengehaltenen Bedenken zu entkräften, entschloß sich die Firma Siemens &amp; Halske, auf eigene Kosten eine Probebahn herzustellen, und führte die erste, dem Personenverkehre regelmäßig dienende E. vom Bahnhofe Lichterfelde der Anhaltischen Bahn nach der Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde aus. Diese Bahn wurde am 16. Mai 1881 dem Betriebe übergeben und hat zu allgemeiner Zufriedenheit ihren Dienst getan. Zum ersten Male wurde hier ein <hi rendition="#g">Motorwagen</hi> angewendet, der zufolge elektrischer Umsteuerung nach beiden Richtungen betrieben, und dessen Geschwindigkeit durch Vorschalten von Widerständen geregelt werden konnte.</p><lb/>
          <p>Die kleine Ausstellungsbahn vom Jahre 1879 und die im Jahre 1881 erbaute Lichterfelder Bahn haben die Aufmerksamkeit der ganzen technischen Welt auf den elektrischen Bahnbetrieb gelenkt und insbesondere die Ausführbarkeit und verblüffende Einfachheit der elektrischen Betriebsweise dargetan. Auch führten diese Ausführungen zur Erkenntnis, in welchen Fällen vorwiegend der elektrische Betrieb am Platze sei. Diesbezüglich hat Werner Siemens schon im Jahre 1880 in einem Vortrage: &#x201E;Über die dynamo-elektrische Maschine und deren Verwendung zum Betriebe von E.&#x201C; seine Meinung dahin ausgesprochen, daß der elektrische Betrieb von Bahnen vorwiegend in folgenden drei Fällen Vorteile biete:</p><lb/>
          <p>1. Zur Überwindung großer Steigungen, da es möglich erscheint, die Zugkraft auf beliebig viele Achsen zu verteilen und dadurch die Adhäsion beliebig zu erhöhen;</p><lb/>
          <p>2. für den Betrieb von Bahnen im Tunnel und in Bergwerken;</p><lb/>
          <p>3. für den Betrieb von Hochbahnen. Auch hat Werner Siemens schon damals hervorgehoben, daß der Elektromotor auch geeignet sei, als Generator geschaltet, Arbeit zu vernichten und daher zur Bremsung zu dienen.</p><lb/>
          <p>Obwohl nach diesen Ausführungen schon im Jahre 1881 die elektrische Straßenbahn in allen ihren wesentlichen Teilen, wenn auch ohne vollkommene Durchbildung, vorhanden war, so verstrichen doch weitere 9 Jahre, bis die Entwicklung der E. in Europa begann.</p><lb/>
          <p>Die Schwierigkeiten der Konzessionserteilung wurden durch die Anforderungen erhöht, die in Europa an öffentliche Bauten gestellt wurden, und denen die schwerfälligen bis dahin geschaffenen Lösungen der oberirdischen Stromzuführung nicht entsprechen konnten. Diesen Umständen ist es zuzuschreiben, daß die Bestrebungen sich nunmehr vorwiegend nach Schaffung anderer Arten der Stromzuführung richteten, daß ein mehrjähriger Stillstand in der Entwicklung der E. in Europa eintrat und die weitere Entwicklung von Amerika besorgt wurde.</p><lb/>
          <p>In Amerika wurde zum erstenmal im Jahre 1883 gelegentlich der Ausstellung in Chicago eine kleine E., ganz ähnlich jener der Berliner Gewerbeausstellung vorgeführt.</p><lb/>
          <p>Dieser Ausstellungsbahn folgten aber bald in großer Zahl wirkliche Betriebsbahnen. Die Amerikaner erkannten mit ihrem praktischen Sinne sofort die großen Vorteile der elektrischen Betriebsweise. Die große Ausdehnung der Stadt- und Industriegebiete, der schlechte Zustand der Straßen, der große Wert, den die Zeitersparnis für den Amerikaner bedeutet, das bedeutende Verkehrsbedürfnis, die leichte Möglichkeit, Konzessionen zu erhalten, bzw. vorhandene Konzessionen abzuändern und die geringe behördliche Beschränkung in der Ausführungsweise sowie viele andere Umstände begünstigten die Ausbreitung der E. in Amerika, während in Europa ihre Entwicklung anfangs nicht erreicht werden konnte.</p><lb/>
          <p>Die rasche Entwicklung der E. in Amerika gegenüber jener in Europa ist aus nebenstehender
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0217] damals allein angewendeten galvanischen Elemente hierzu nicht geeignet waren. Erst als durch Werner Siemens im Jahre 1867 die dynamo-elektrische Maschine geschaffen wurde, durch die zuerst die Möglichkeit gegeben war, elektrische Arbeit in unbegrenzter Menge zu fördern, konnte daran gedacht werden, die gestellte Aufgabe zu lösen. Tatsächlich hat Werner Siemens, wie er selbst berichtet, schon damals die Schaffung von E. ins Auge gefaßt, u. zw. in erster Linie die Errichtung eines Netzes elektrischer Hochbahnen durch die Straßen Berlins. Die Dynamomaschine war aber noch nicht fähig, so große Aufgaben zu erfüllen, und es bedurfte einer Entwicklungszeit von 12 Jahren, bis im Jahre 1879 gelegentlich der Berliner Gewerbeausstellung an den Bau einer E. geschritten werden konnte. Wenn auch die bei dieser Bahn benützte, für die spätere Verwendung in dem Stollen eines Kohlenbergwerkes bestimmt gewesene Lokomotive nur langsam verkehrte und den Bedürfnissen der Personenbeförderung nur wenig entsprach, so machte diese kleine Ausstellungsbahn doch gewaltiges Aufsehen und bestärkte insbesondere Werner Siemens in dem Gedanken, zur Bewältigung des stetig anwachsenden Verkehres in den Straßen Berlins ein Netz elektrischer Hochbahnen in den belebtesten Straßen zu schaffen. Um die vielfachen, diesem Plane entgegengehaltenen Bedenken zu entkräften, entschloß sich die Firma Siemens & Halske, auf eigene Kosten eine Probebahn herzustellen, und führte die erste, dem Personenverkehre regelmäßig dienende E. vom Bahnhofe Lichterfelde der Anhaltischen Bahn nach der Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde aus. Diese Bahn wurde am 16. Mai 1881 dem Betriebe übergeben und hat zu allgemeiner Zufriedenheit ihren Dienst getan. Zum ersten Male wurde hier ein Motorwagen angewendet, der zufolge elektrischer Umsteuerung nach beiden Richtungen betrieben, und dessen Geschwindigkeit durch Vorschalten von Widerständen geregelt werden konnte. Die kleine Ausstellungsbahn vom Jahre 1879 und die im Jahre 1881 erbaute Lichterfelder Bahn haben die Aufmerksamkeit der ganzen technischen Welt auf den elektrischen Bahnbetrieb gelenkt und insbesondere die Ausführbarkeit und verblüffende Einfachheit der elektrischen Betriebsweise dargetan. Auch führten diese Ausführungen zur Erkenntnis, in welchen Fällen vorwiegend der elektrische Betrieb am Platze sei. Diesbezüglich hat Werner Siemens schon im Jahre 1880 in einem Vortrage: „Über die dynamo-elektrische Maschine und deren Verwendung zum Betriebe von E.“ seine Meinung dahin ausgesprochen, daß der elektrische Betrieb von Bahnen vorwiegend in folgenden drei Fällen Vorteile biete: 1. Zur Überwindung großer Steigungen, da es möglich erscheint, die Zugkraft auf beliebig viele Achsen zu verteilen und dadurch die Adhäsion beliebig zu erhöhen; 2. für den Betrieb von Bahnen im Tunnel und in Bergwerken; 3. für den Betrieb von Hochbahnen. Auch hat Werner Siemens schon damals hervorgehoben, daß der Elektromotor auch geeignet sei, als Generator geschaltet, Arbeit zu vernichten und daher zur Bremsung zu dienen. Obwohl nach diesen Ausführungen schon im Jahre 1881 die elektrische Straßenbahn in allen ihren wesentlichen Teilen, wenn auch ohne vollkommene Durchbildung, vorhanden war, so verstrichen doch weitere 9 Jahre, bis die Entwicklung der E. in Europa begann. Die Schwierigkeiten der Konzessionserteilung wurden durch die Anforderungen erhöht, die in Europa an öffentliche Bauten gestellt wurden, und denen die schwerfälligen bis dahin geschaffenen Lösungen der oberirdischen Stromzuführung nicht entsprechen konnten. Diesen Umständen ist es zuzuschreiben, daß die Bestrebungen sich nunmehr vorwiegend nach Schaffung anderer Arten der Stromzuführung richteten, daß ein mehrjähriger Stillstand in der Entwicklung der E. in Europa eintrat und die weitere Entwicklung von Amerika besorgt wurde. In Amerika wurde zum erstenmal im Jahre 1883 gelegentlich der Ausstellung in Chicago eine kleine E., ganz ähnlich jener der Berliner Gewerbeausstellung vorgeführt. Dieser Ausstellungsbahn folgten aber bald in großer Zahl wirkliche Betriebsbahnen. Die Amerikaner erkannten mit ihrem praktischen Sinne sofort die großen Vorteile der elektrischen Betriebsweise. Die große Ausdehnung der Stadt- und Industriegebiete, der schlechte Zustand der Straßen, der große Wert, den die Zeitersparnis für den Amerikaner bedeutet, das bedeutende Verkehrsbedürfnis, die leichte Möglichkeit, Konzessionen zu erhalten, bzw. vorhandene Konzessionen abzuändern und die geringe behördliche Beschränkung in der Ausführungsweise sowie viele andere Umstände begünstigten die Ausbreitung der E. in Amerika, während in Europa ihre Entwicklung anfangs nicht erreicht werden konnte. Die rasche Entwicklung der E. in Amerika gegenüber jener in Europa ist aus nebenstehender

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-06-17T17:32:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-06-17T17:32:48Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein

Spaltenumbrüche sind nicht markiert. Wiederholungszeichen (") wurden aufgelöst. Komplexe Formeln und Tabellen sind als Grafiken wiedergegeben.

Die Abbildungen im Text stammen von zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/217
Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/217>, abgerufen am 24.11.2024.