Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.b) Geschichte der Privateisenbahnen. 1. Im europäischen Rußland. Den Anfang im Eisenbahnbau Rußlands machte, wie schon erwähnt, die kleine Bahn Petersburg über Zarskoje Sselo nach Pawlowsk 25 Werst (= 27 km), deren Bauausführung der Kaiser Nicolai I. am 17. Dezember 1835 genehmigte. Dieser Bahnbau sollte nur ein Versuch sein, ob dieses neue Verkehrsmittel unter den klimatischen Verhältnissen Rußlands überhaupt verwendbar sei. Es gelang den Bau auszuführen und ebenso den Betrieb anstandslos in Gang zu bringen. So war es geglückt, trotz aller Widerstände und großer Schwierigkeit das erste Privateisenbahnunternehmen ins Leben zu rufen. Allerdings war es nicht geglückt, ganz ohne staatliche Hilfe durchzukommen, immerhin war es im wesentlichen gelungen. Dieser Anfang stellte aber auch gleichzeitig für lange Zeit das Ende der Beteiligung des privaten Kapitals beim Bau der Eisenbahnen in Rußland dar. 20 Jahre lang war es nicht möglich gewesen, die Privatunternehmung für den Bau von Bahnen heranzuziehen. Die Bemühungen in dieser Richtung scheiterten, vielleicht auch deshalb, weil die Baupläne allzu weittragend waren. Die Staatsregierung nahm daher zunächst den Bau von Bahnen selbst in die Hand und erst nach Beendigung des Krimkrieges (1856) gelang es, das Privatkapital wieder für den Ausbau des Eisenbahnnetzes heranzuziehen. Es bildete sich unter Führung einer St. Petersburger Finanzgruppe, unterstützt von holländischen, französischen und englischen Bankhäusern, eine Gesellschaft, der die Konzession zum Bau eines größeren Eisenbahnnetzes erteilt wurde und die den Namen: Hauptgesellschaft der russischen Eisenbahnen (später nannte sie sich: Große Gesellschaft u. s. w. 1857)1 annahm. Sie sollte folgende Bahnen erbauen: a) St. Petersburg-Warschau, nebst Zweigbahn Wilna-Wirballen; b) Moskau-Tula-Orel-Kursk-Charkow-Feodossia; c) Kursk oder Orel über Witebsk-Dünaburg-Libau; d) Moskau-Nishni-Nowgorod, im ganzen 3900 Werst (= 4161 km). Die Bedingungen dieser Konzession sind für die gesamte Entwicklung des Eisenbahnwesens in Rußland von außerordentlicher Bedeutung geworden, denn hier sind die Grundsätze festgelegt worden, nach denen in den folgenden beiden Jahrzehnten ausschließlich verfahren wurde. Die Dauer der Konzession währt 85 Jahre; 20 Jahre nach der Betriebseröffnung hatte die Staatsregierung das Recht, die Bahn anzukaufen; die Zinsgarantie einschließlich der Tilgung des Kapitals wurde auf 5% festgesetzt; die Höhe der Ankaufssumme sollte derart gefunden werden, daß aus den letzten 7 Betriebsjahren die 5, die die besten Betriebsergebnisse hatten, ausgewählt wurden, der Durchschnitt der Einnahme dieser Jahre sollte dann den Maßstab für die Berechnung der Höhe des Entschädigungsbetrags abgeben. Die wirtschaftlich wichtigsten Bestimmungen waren die Zusicherung des Rechtes der freien Tariffestsetzung, die nur durch eine obere Grenze beschränkt wurde, und der Verzicht der Regierung auf Einmischung in die wirtschaftlichen Gebarungen der Gesellschaften. Diese außerordentlichen Freiheiten erleichterten die Heranziehung des Privatkapitals, worauf es natürlich zunächst ankam. Allerdings kam der Plan mit der "Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen" in der Form, wie er geschildert worden ist, niemals ganz zur Durchführung. Nur der leitende Gedanke: Moskau soll der Mittelpunkt des Eisenbahnnetzes werden, ist erhalten geblieben und auch allmählich verwirklicht. Ist dies ein Teil der Absichten des Kaisers, so bezog sich der andere Teil darauf, daß um die Mitte der Sechzigerjahre bereits ein Eisenbahnnetz vorhanden sein sollte, das den wirtschaftlichen und militärischen Bedürfnissen des Landes möglichst genüge (s. Tabelle I, S. 272 u. 273). Wie die Tabelle zeigt, ist es nicht möglich gewesen, den Wunsch des Kaisers zu erfüllen. Die Frist war zu kurz bemessen, die wirtschaftliche Kraft des Landes zu sehr erschöpft. Immerhin verfügte Rußland um die Mitte der Sechzigerjahre bereits über 3570 Werst (= 3809 km) Eisenbahnen. Aber die Tabelle zeigt auch weiter, daß während der Regierung Alexanders II. sehr eifrig an dem Ausbau des Eisenbahnnetzes gearbeitet wurde, bis dann nach dem Krieg mit der Türkei (1877/78) die Arbeit wieder fast ganz stockte. Wenn auch infolgedessen in den letzten 3 Regierungsjahren Alexanders II. nur wenige Werst für den Betrieb eröffnet wurden, so bleibt diese Regierungszeit doch für das wirtschaftliche Leben des Volkes von der allergrößten Bedeutung. Es waren 21.543 Werst (= 22.986 km) Eisenbahnen für den Betrieb (s. Tabelle I) eröffnet worden. Bei dieser sehr erheblichen Leistung des Landes sind bestimmte Richtlinien für die Linienführung fast nie verlassen worden, obgleich 1 s. Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen, Bd. V, S. 392.
b) Geschichte der Privateisenbahnen. 1. Im europäischen Rußland. Den Anfang im Eisenbahnbau Rußlands machte, wie schon erwähnt, die kleine Bahn Petersburg über Zarskoje Sselo nach Pawlowsk 25 Werst (= 27 km), deren Bauausführung der Kaiser Nicolai I. am 17. Dezember 1835 genehmigte. Dieser Bahnbau sollte nur ein Versuch sein, ob dieses neue Verkehrsmittel unter den klimatischen Verhältnissen Rußlands überhaupt verwendbar sei. Es gelang den Bau auszuführen und ebenso den Betrieb anstandslos in Gang zu bringen. So war es geglückt, trotz aller Widerstände und großer Schwierigkeit das erste Privateisenbahnunternehmen ins Leben zu rufen. Allerdings war es nicht geglückt, ganz ohne staatliche Hilfe durchzukommen, immerhin war es im wesentlichen gelungen. Dieser Anfang stellte aber auch gleichzeitig für lange Zeit das Ende der Beteiligung des privaten Kapitals beim Bau der Eisenbahnen in Rußland dar. 20 Jahre lang war es nicht möglich gewesen, die Privatunternehmung für den Bau von Bahnen heranzuziehen. Die Bemühungen in dieser Richtung scheiterten, vielleicht auch deshalb, weil die Baupläne allzu weittragend waren. Die Staatsregierung nahm daher zunächst den Bau von Bahnen selbst in die Hand und erst nach Beendigung des Krimkrieges (1856) gelang es, das Privatkapital wieder für den Ausbau des Eisenbahnnetzes heranzuziehen. Es bildete sich unter Führung einer St. Petersburger Finanzgruppe, unterstützt von holländischen, französischen und englischen Bankhäusern, eine Gesellschaft, der die Konzession zum Bau eines größeren Eisenbahnnetzes erteilt wurde und die den Namen: Hauptgesellschaft der russischen Eisenbahnen (später nannte sie sich: Große Gesellschaft u. s. w. 1857)1 annahm. Sie sollte folgende Bahnen erbauen: a) St. Petersburg-Warschau, nebst Zweigbahn Wilna-Wirballen; b) Moskau-Tula-Orel-Kursk-Charkow-Feodossia; c) Kursk oder Orel über Witebsk-Dünaburg-Libau; d) Moskau-Nishni-Nowgorod, im ganzen 3900 Werst (= 4161 km). Die Bedingungen dieser Konzession sind für die gesamte Entwicklung des Eisenbahnwesens in Rußland von außerordentlicher Bedeutung geworden, denn hier sind die Grundsätze festgelegt worden, nach denen in den folgenden beiden Jahrzehnten ausschließlich verfahren wurde. Die Dauer der Konzession währt 85 Jahre; 20 Jahre nach der Betriebseröffnung hatte die Staatsregierung das Recht, die Bahn anzukaufen; die Zinsgarantie einschließlich der Tilgung des Kapitals wurde auf 5% festgesetzt; die Höhe der Ankaufssumme sollte derart gefunden werden, daß aus den letzten 7 Betriebsjahren die 5, die die besten Betriebsergebnisse hatten, ausgewählt wurden, der Durchschnitt der Einnahme dieser Jahre sollte dann den Maßstab für die Berechnung der Höhe des Entschädigungsbetrags abgeben. Die wirtschaftlich wichtigsten Bestimmungen waren die Zusicherung des Rechtes der freien Tariffestsetzung, die nur durch eine obere Grenze beschränkt wurde, und der Verzicht der Regierung auf Einmischung in die wirtschaftlichen Gebarungen der Gesellschaften. Diese außerordentlichen Freiheiten erleichterten die Heranziehung des Privatkapitals, worauf es natürlich zunächst ankam. Allerdings kam der Plan mit der „Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen“ in der Form, wie er geschildert worden ist, niemals ganz zur Durchführung. Nur der leitende Gedanke: Moskau soll der Mittelpunkt des Eisenbahnnetzes werden, ist erhalten geblieben und auch allmählich verwirklicht. Ist dies ein Teil der Absichten des Kaisers, so bezog sich der andere Teil darauf, daß um die Mitte der Sechzigerjahre bereits ein Eisenbahnnetz vorhanden sein sollte, das den wirtschaftlichen und militärischen Bedürfnissen des Landes möglichst genüge (s. Tabelle I, S. 272 u. 273). Wie die Tabelle zeigt, ist es nicht möglich gewesen, den Wunsch des Kaisers zu erfüllen. Die Frist war zu kurz bemessen, die wirtschaftliche Kraft des Landes zu sehr erschöpft. Immerhin verfügte Rußland um die Mitte der Sechzigerjahre bereits über 3570 Werst (= 3809 km) Eisenbahnen. Aber die Tabelle zeigt auch weiter, daß während der Regierung Alexanders II. sehr eifrig an dem Ausbau des Eisenbahnnetzes gearbeitet wurde, bis dann nach dem Krieg mit der Türkei (1877/78) die Arbeit wieder fast ganz stockte. Wenn auch infolgedessen in den letzten 3 Regierungsjahren Alexanders II. nur wenige Werst für den Betrieb eröffnet wurden, so bleibt diese Regierungszeit doch für das wirtschaftliche Leben des Volkes von der allergrößten Bedeutung. Es waren 21.543 Werst (= 22.986 km) Eisenbahnen für den Betrieb (s. Tabelle I) eröffnet worden. Bei dieser sehr erheblichen Leistung des Landes sind bestimmte Richtlinien für die Linienführung fast nie verlassen worden, obgleich 1 s. Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen, Bd. V, S. 392.
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Allerdings war es nicht geglückt, ganz ohne staatliche Hilfe durchzukommen, immerhin war es im wesentlichen gelungen. Dieser Anfang stellte aber auch gleichzeitig für lange Zeit das Ende der Beteiligung des privaten Kapitals beim Bau der Eisenbahnen in Rußland dar. 20 Jahre lang war es nicht möglich gewesen, die Privatunternehmung für den Bau von Bahnen heranzuziehen. Die Bemühungen in dieser Richtung scheiterten, vielleicht auch deshalb, weil die Baupläne allzu weittragend waren. Die Staatsregierung nahm daher zunächst den Bau von Bahnen selbst in die Hand und erst nach Beendigung des Krimkrieges (1856) gelang es, das Privatkapital wieder für den Ausbau des Eisenbahnnetzes heranzuziehen. Es bildete sich unter Führung einer St. Petersburger Finanzgruppe, unterstützt von holländischen, französischen und englischen Bankhäusern, eine Gesellschaft, der die Konzession zum Bau eines größeren Eisenbahnnetzes erteilt wurde und die den Namen: Hauptgesellschaft der russischen Eisenbahnen (später nannte sie sich: Große Gesellschaft u. s. w. 1857)<note place="foot" n="1">s. Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen, Bd. V, S. 392.</note> annahm. 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Allerdings kam der Plan mit der „Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen“ in der Form, wie er geschildert worden ist, niemals ganz zur Durchführung. Nur der leitende Gedanke: Moskau soll der Mittelpunkt des Eisenbahnnetzes werden, ist erhalten geblieben und auch allmählich verwirklicht. Ist dies ein Teil der Absichten des Kaisers, so bezog sich der andere Teil darauf, daß um die Mitte der Sechzigerjahre bereits ein Eisenbahnnetz vorhanden sein sollte, das den wirtschaftlichen und militärischen Bedürfnissen des Landes möglichst genüge (s. Tabelle I, S. 272 u. 273).</p><lb/> <p>Wie die Tabelle zeigt, ist es nicht möglich gewesen, den Wunsch des Kaisers zu erfüllen. Die Frist war zu kurz bemessen, die wirtschaftliche Kraft des Landes zu sehr erschöpft. 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b) Geschichte der Privateisenbahnen.
1. Im europäischen Rußland.
Den Anfang im Eisenbahnbau Rußlands machte, wie schon erwähnt, die kleine Bahn Petersburg über Zarskoje Sselo nach Pawlowsk 25 Werst (= 27 km), deren Bauausführung der Kaiser Nicolai I. am 17. Dezember 1835 genehmigte. Dieser Bahnbau sollte nur ein Versuch sein, ob dieses neue Verkehrsmittel unter den klimatischen Verhältnissen Rußlands überhaupt verwendbar sei. Es gelang den Bau auszuführen und ebenso den Betrieb anstandslos in Gang zu bringen. So war es geglückt, trotz aller Widerstände und großer Schwierigkeit das erste Privateisenbahnunternehmen ins Leben zu rufen. Allerdings war es nicht geglückt, ganz ohne staatliche Hilfe durchzukommen, immerhin war es im wesentlichen gelungen. Dieser Anfang stellte aber auch gleichzeitig für lange Zeit das Ende der Beteiligung des privaten Kapitals beim Bau der Eisenbahnen in Rußland dar. 20 Jahre lang war es nicht möglich gewesen, die Privatunternehmung für den Bau von Bahnen heranzuziehen. Die Bemühungen in dieser Richtung scheiterten, vielleicht auch deshalb, weil die Baupläne allzu weittragend waren. Die Staatsregierung nahm daher zunächst den Bau von Bahnen selbst in die Hand und erst nach Beendigung des Krimkrieges (1856) gelang es, das Privatkapital wieder für den Ausbau des Eisenbahnnetzes heranzuziehen. Es bildete sich unter Führung einer St. Petersburger Finanzgruppe, unterstützt von holländischen, französischen und englischen Bankhäusern, eine Gesellschaft, der die Konzession zum Bau eines größeren Eisenbahnnetzes erteilt wurde und die den Namen: Hauptgesellschaft der russischen Eisenbahnen (später nannte sie sich: Große Gesellschaft u. s. w. 1857) 1 annahm. Sie sollte folgende Bahnen erbauen:
a) St. Petersburg-Warschau, nebst Zweigbahn Wilna-Wirballen;
b) Moskau-Tula-Orel-Kursk-Charkow-Feodossia;
c) Kursk oder Orel über Witebsk-Dünaburg-Libau;
d) Moskau-Nishni-Nowgorod, im ganzen 3900 Werst (= 4161 km).
Die Bedingungen dieser Konzession sind für die gesamte Entwicklung des Eisenbahnwesens in Rußland von außerordentlicher Bedeutung geworden, denn hier sind die Grundsätze festgelegt worden, nach denen in den folgenden beiden Jahrzehnten ausschließlich verfahren wurde. Die Dauer der Konzession währt 85 Jahre; 20 Jahre nach der Betriebseröffnung hatte die Staatsregierung das Recht, die Bahn anzukaufen; die Zinsgarantie einschließlich der Tilgung des Kapitals wurde auf 5% festgesetzt; die Höhe der Ankaufssumme sollte derart gefunden werden, daß aus den letzten 7 Betriebsjahren die 5, die die besten Betriebsergebnisse hatten, ausgewählt wurden, der Durchschnitt der Einnahme dieser Jahre sollte dann den Maßstab für die Berechnung der Höhe des Entschädigungsbetrags abgeben. Die wirtschaftlich wichtigsten Bestimmungen waren die Zusicherung des Rechtes der freien Tariffestsetzung, die nur durch eine obere Grenze beschränkt wurde, und der Verzicht der Regierung auf Einmischung in die wirtschaftlichen Gebarungen der Gesellschaften. Diese außerordentlichen Freiheiten erleichterten die Heranziehung des Privatkapitals, worauf es natürlich zunächst ankam. Allerdings kam der Plan mit der „Großen Gesellschaft der russischen Eisenbahnen“ in der Form, wie er geschildert worden ist, niemals ganz zur Durchführung. Nur der leitende Gedanke: Moskau soll der Mittelpunkt des Eisenbahnnetzes werden, ist erhalten geblieben und auch allmählich verwirklicht. Ist dies ein Teil der Absichten des Kaisers, so bezog sich der andere Teil darauf, daß um die Mitte der Sechzigerjahre bereits ein Eisenbahnnetz vorhanden sein sollte, das den wirtschaftlichen und militärischen Bedürfnissen des Landes möglichst genüge (s. Tabelle I, S. 272 u. 273).
Wie die Tabelle zeigt, ist es nicht möglich gewesen, den Wunsch des Kaisers zu erfüllen. Die Frist war zu kurz bemessen, die wirtschaftliche Kraft des Landes zu sehr erschöpft. Immerhin verfügte Rußland um die Mitte der Sechzigerjahre bereits über 3570 Werst (= 3809 km) Eisenbahnen.
Aber die Tabelle zeigt auch weiter, daß während der Regierung Alexanders II. sehr eifrig an dem Ausbau des Eisenbahnnetzes gearbeitet wurde, bis dann nach dem Krieg mit der Türkei (1877/78) die Arbeit wieder fast ganz stockte. Wenn auch infolgedessen in den letzten 3 Regierungsjahren Alexanders II. nur wenige Werst für den Betrieb eröffnet wurden, so bleibt diese Regierungszeit doch für das wirtschaftliche Leben des Volkes von der allergrößten Bedeutung. Es waren 21.543 Werst (= 22.986 km) Eisenbahnen für den Betrieb (s. Tabelle I) eröffnet worden.
Bei dieser sehr erheblichen Leistung des Landes sind bestimmte Richtlinien für die Linienführung fast nie verlassen worden, obgleich
1 s. Große Gesellschaft der russischen Eisenbahnen, Bd. V, S. 392.
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