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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917.

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Finanzielle Krisen blieben keiner Unternehmung erspart. Doch gelangten die in der Zentralschweiz gelegenen Netze der Zentralbahn und Nordostbahn rasch zur Erstarkung. Durch Verschmelzung erwarb die Nordostbahn im Jahre 1856 die Rheinfallbahn, und bildete sich im Jahre 1857 im Osten das Netz der Vereinigten Schweizer Bahnen, ferner im Jahre 1864 im Westen die Betriebsgesellschaft der Suisse Occidentale.

Zwischen einzelnen Kantonen und Gesellschaften entstanden Streitigkeiten über die Richtung und den Bau neuer Linien, wobei die Gesellschaften vornehmlich finanzpolitische und die Kantone allgemein wirtschaftliche und politische Interessen vertraten. Eine der wichtigsten Fragen, die schließlich von der Bundesversammlung erledigt wurde, betraf die Herstellung einer Linie von Lausanne über Freiburg nach Bern. An diesen Plan anschließend, begünstigte Bern den einer Linie über Luzern nach Zürich (s. Schweizerische Ostwestbahn) und damit das sog. Zweiliniensystem im Gegensatz zu dem ursprünglichen Gedanken der Schaffung einer einzigen großen Verkehrslinie zwischen Westen und Osten durch das schweizerische Flachland zwischen den Alpen und dem Jura. Die Gesellschaften hatten sich von den Kantonen, um sich vor Wettbewerb zu schützen, in den Konzessionen zahlreiche Ausschluß-, Prioritäts- und Vorzugsrechte auf andere Linien und damit ein dauerndes Monopol gesichert, woraus ebenfalls Kämpfe mit den kantonalen Gewalten entstanden, wenn die bestehenden Gesellschaften neuen Bahnplänen auf Grund der genannten Zusicherungen, denen übrigens der Bund die Genehmigung nicht erteilt hatte, Hindernisse entgegenstellten. Da die Bundesgewalt zu einem Eingreifen nicht zuständig war, bildete sich allmählich eine gewisse Souveränität der Eisenbahngesellschaften heraus, die den Verkehr so ziemlich nach ihrem Gutdünken beherrschten. Die Zentralbahn machte dem Kanton Bern gegenüber ein Ausschlußrecht auf die Linie Biel-Neuenstadt geltend, wurde jedoch von dem angerufenen Schiedsgericht abgewiesen. Hierauf erteilte der Kanton Bern die Konzession dieser Linie sowie der von Biel nach Bern und Luzern auf Berner Gebiet der Ostwestbahngesellschaft, deren Finanzverlegenheiten nachher den Kanton nötigten, die Linien im April 1861 zu übernehmen und als bernische Staatsbahn selbst auszubauen und zu betreiben (s. Bernische Staatsbahn).

Großes Aufsehen erregte im Jahre 1862 die Veröffentlichung eines Vorschlags des damaligen Bundespräsidenten Stämpfli, alle Bahnen auf dem Weg des Rückkaufs für den Bund zu erwerben. Die Eisenbahnzustände erschienen ihm ungesund, über 100 Mill. des damals in den Bahnen angelegten Aktienkapitals erhielten keine Verzinsung, 36 Mill. eine solche von 6-8%; die Zersplitterung der Netze führe zu vielen Hemmnissen im Innern und mache jedes einheitliche schweizerische Auftreten nach außen unmöglich. Auf dem Weg der Verständigung wollte er die ertraglosen Bahnaktien zu 50% des Nennwerts gegen eidgenössische Staatsschuldscheine, die einträglichen Bahnaktien jedoch gegen Barzahlung im Betrag von 110% (für die Zentralbahnaktien) und 160% (für die Nordostbahnaktien) des Nennwerts einlösen. Das vorgesehene Bahnnetz hätte 1324 km umfaßt; die Bruttoeinnahmen wurden auf durchschnittlich 21.247 Fr. f. d. km veranschlagt. Durch Verminderung der Betriebskosten infolge der Verschmelzung der Bahnnetze und der Zinsbeträge durch Einsetzung des Staatskredits an Stelle desjenigen der Eisenbahngesellschaften glaubte Stämpfli gesunde finanzielle Verhältnisse ohne weitere Inanspruchnahme von Staatsmitteln herbeiführen zu können. Dieser Plan stieß jedoch auf schwere Bedenken. Der Stämpflische Gedanke vermochte in jener Zeit keinen Boden zu fassen. Hierzu mochte auch die Rivalität der verschiedenen Landesteile in den immer mehr in den Vordergrund tretenden Alpenbahnbestrebungen sowie der Gedanke beitragen, daß auswärtige Staaten eher geneigt sein würden, bei der Anlage einer Alpenbahn finanziell mitzuwirken, wenn diese nicht vom Bund selbst ausgeführt würde.

Bei den Plänen einer Überschienung der Alpen kamen 3 Übergänge in Betracht, ein ostschweizerischer, ein zentralschweizerischer und ein westschweizerischer. In dem Kampf hierüber übernahmen für den ostschweizerischen Paß die Kantone Graubünden und St. Gallen mit der Unternehmung der Vereinigten Schweizer Bahnen und unter der Leitung von La Nicca (s. d.) und Wirth-Sand (s. d.), für den zentralschweizerischen Übergang über den Gotthard der Kanton Luzern und die Zentralbahn, für den westschweizerischen Waadt und Wallis mit der Walliser Bahn (Ligne d'Italie, Simplonbahn) und die schweizerischen Westbahnen die Führung. Während für die beiden letzteren Übergänge die Paßwahl sich für den Simplon und den Gotthard rasch ergeben hatte, schwankte man im Osten lange zwischen Splügen und Lukmanier. Man überzeugte sich indessen, daß schweizerischerseits der Vorzug einem Projekt zu geben sei, das die Verbindung des Kantons Tessin mit der nördlichen Schweiz in sich schloß.

Finanzielle Krisen blieben keiner Unternehmung erspart. Doch gelangten die in der Zentralschweiz gelegenen Netze der Zentralbahn und Nordostbahn rasch zur Erstarkung. Durch Verschmelzung erwarb die Nordostbahn im Jahre 1856 die Rheinfallbahn, und bildete sich im Jahre 1857 im Osten das Netz der Vereinigten Schweizer Bahnen, ferner im Jahre 1864 im Westen die Betriebsgesellschaft der Suisse Occidentale.

Zwischen einzelnen Kantonen und Gesellschaften entstanden Streitigkeiten über die Richtung und den Bau neuer Linien, wobei die Gesellschaften vornehmlich finanzpolitische und die Kantone allgemein wirtschaftliche und politische Interessen vertraten. Eine der wichtigsten Fragen, die schließlich von der Bundesversammlung erledigt wurde, betraf die Herstellung einer Linie von Lausanne über Freiburg nach Bern. An diesen Plan anschließend, begünstigte Bern den einer Linie über Luzern nach Zürich (s. Schweizerische Ostwestbahn) und damit das sog. Zweiliniensystem im Gegensatz zu dem ursprünglichen Gedanken der Schaffung einer einzigen großen Verkehrslinie zwischen Westen und Osten durch das schweizerische Flachland zwischen den Alpen und dem Jura. Die Gesellschaften hatten sich von den Kantonen, um sich vor Wettbewerb zu schützen, in den Konzessionen zahlreiche Ausschluß-, Prioritäts- und Vorzugsrechte auf andere Linien und damit ein dauerndes Monopol gesichert, woraus ebenfalls Kämpfe mit den kantonalen Gewalten entstanden, wenn die bestehenden Gesellschaften neuen Bahnplänen auf Grund der genannten Zusicherungen, denen übrigens der Bund die Genehmigung nicht erteilt hatte, Hindernisse entgegenstellten. Da die Bundesgewalt zu einem Eingreifen nicht zuständig war, bildete sich allmählich eine gewisse Souveränität der Eisenbahngesellschaften heraus, die den Verkehr so ziemlich nach ihrem Gutdünken beherrschten. Die Zentralbahn machte dem Kanton Bern gegenüber ein Ausschlußrecht auf die Linie Biel-Neuenstadt geltend, wurde jedoch von dem angerufenen Schiedsgericht abgewiesen. Hierauf erteilte der Kanton Bern die Konzession dieser Linie sowie der von Biel nach Bern und Luzern auf Berner Gebiet der Ostwestbahngesellschaft, deren Finanzverlegenheiten nachher den Kanton nötigten, die Linien im April 1861 zu übernehmen und als bernische Staatsbahn selbst auszubauen und zu betreiben (s. Bernische Staatsbahn).

Großes Aufsehen erregte im Jahre 1862 die Veröffentlichung eines Vorschlags des damaligen Bundespräsidenten Stämpfli, alle Bahnen auf dem Weg des Rückkaufs für den Bund zu erwerben. Die Eisenbahnzustände erschienen ihm ungesund, über 100 Mill. des damals in den Bahnen angelegten Aktienkapitals erhielten keine Verzinsung, 36 Mill. eine solche von 6–8%; die Zersplitterung der Netze führe zu vielen Hemmnissen im Innern und mache jedes einheitliche schweizerische Auftreten nach außen unmöglich. Auf dem Weg der Verständigung wollte er die ertraglosen Bahnaktien zu 50% des Nennwerts gegen eidgenössische Staatsschuldscheine, die einträglichen Bahnaktien jedoch gegen Barzahlung im Betrag von 110% (für die Zentralbahnaktien) und 160% (für die Nordostbahnaktien) des Nennwerts einlösen. Das vorgesehene Bahnnetz hätte 1324 km umfaßt; die Bruttoeinnahmen wurden auf durchschnittlich 21.247 Fr. f. d. km veranschlagt. Durch Verminderung der Betriebskosten infolge der Verschmelzung der Bahnnetze und der Zinsbeträge durch Einsetzung des Staatskredits an Stelle desjenigen der Eisenbahngesellschaften glaubte Stämpfli gesunde finanzielle Verhältnisse ohne weitere Inanspruchnahme von Staatsmitteln herbeiführen zu können. Dieser Plan stieß jedoch auf schwere Bedenken. Der Stämpflische Gedanke vermochte in jener Zeit keinen Boden zu fassen. Hierzu mochte auch die Rivalität der verschiedenen Landesteile in den immer mehr in den Vordergrund tretenden Alpenbahnbestrebungen sowie der Gedanke beitragen, daß auswärtige Staaten eher geneigt sein würden, bei der Anlage einer Alpenbahn finanziell mitzuwirken, wenn diese nicht vom Bund selbst ausgeführt würde.

Bei den Plänen einer Überschienung der Alpen kamen 3 Übergänge in Betracht, ein ostschweizerischer, ein zentralschweizerischer und ein westschweizerischer. In dem Kampf hierüber übernahmen für den ostschweizerischen Paß die Kantone Graubünden und St. Gallen mit der Unternehmung der Vereinigten Schweizer Bahnen und unter der Leitung von La Nicca (s. d.) und Wirth-Sand (s. d.), für den zentralschweizerischen Übergang über den Gotthard der Kanton Luzern und die Zentralbahn, für den westschweizerischen Waadt und Wallis mit der Walliser Bahn (Ligne d'Italie, Simplonbahn) und die schweizerischen Westbahnen die Führung. Während für die beiden letzteren Übergänge die Paßwahl sich für den Simplon und den Gotthard rasch ergeben hatte, schwankte man im Osten lange zwischen Splügen und Lukmanier. Man überzeugte sich indessen, daß schweizerischerseits der Vorzug einem Projekt zu geben sei, das die Verbindung des Kantons Tessin mit der nördlichen Schweiz in sich schloß.

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[439/0460] Finanzielle Krisen blieben keiner Unternehmung erspart. Doch gelangten die in der Zentralschweiz gelegenen Netze der Zentralbahn und Nordostbahn rasch zur Erstarkung. Durch Verschmelzung erwarb die Nordostbahn im Jahre 1856 die Rheinfallbahn, und bildete sich im Jahre 1857 im Osten das Netz der Vereinigten Schweizer Bahnen, ferner im Jahre 1864 im Westen die Betriebsgesellschaft der Suisse Occidentale. Zwischen einzelnen Kantonen und Gesellschaften entstanden Streitigkeiten über die Richtung und den Bau neuer Linien, wobei die Gesellschaften vornehmlich finanzpolitische und die Kantone allgemein wirtschaftliche und politische Interessen vertraten. Eine der wichtigsten Fragen, die schließlich von der Bundesversammlung erledigt wurde, betraf die Herstellung einer Linie von Lausanne über Freiburg nach Bern. An diesen Plan anschließend, begünstigte Bern den einer Linie über Luzern nach Zürich (s. Schweizerische Ostwestbahn) und damit das sog. Zweiliniensystem im Gegensatz zu dem ursprünglichen Gedanken der Schaffung einer einzigen großen Verkehrslinie zwischen Westen und Osten durch das schweizerische Flachland zwischen den Alpen und dem Jura. Die Gesellschaften hatten sich von den Kantonen, um sich vor Wettbewerb zu schützen, in den Konzessionen zahlreiche Ausschluß-, Prioritäts- und Vorzugsrechte auf andere Linien und damit ein dauerndes Monopol gesichert, woraus ebenfalls Kämpfe mit den kantonalen Gewalten entstanden, wenn die bestehenden Gesellschaften neuen Bahnplänen auf Grund der genannten Zusicherungen, denen übrigens der Bund die Genehmigung nicht erteilt hatte, Hindernisse entgegenstellten. Da die Bundesgewalt zu einem Eingreifen nicht zuständig war, bildete sich allmählich eine gewisse Souveränität der Eisenbahngesellschaften heraus, die den Verkehr so ziemlich nach ihrem Gutdünken beherrschten. Die Zentralbahn machte dem Kanton Bern gegenüber ein Ausschlußrecht auf die Linie Biel-Neuenstadt geltend, wurde jedoch von dem angerufenen Schiedsgericht abgewiesen. Hierauf erteilte der Kanton Bern die Konzession dieser Linie sowie der von Biel nach Bern und Luzern auf Berner Gebiet der Ostwestbahngesellschaft, deren Finanzverlegenheiten nachher den Kanton nötigten, die Linien im April 1861 zu übernehmen und als bernische Staatsbahn selbst auszubauen und zu betreiben (s. Bernische Staatsbahn). Großes Aufsehen erregte im Jahre 1862 die Veröffentlichung eines Vorschlags des damaligen Bundespräsidenten Stämpfli, alle Bahnen auf dem Weg des Rückkaufs für den Bund zu erwerben. Die Eisenbahnzustände erschienen ihm ungesund, über 100 Mill. des damals in den Bahnen angelegten Aktienkapitals erhielten keine Verzinsung, 36 Mill. eine solche von 6–8%; die Zersplitterung der Netze führe zu vielen Hemmnissen im Innern und mache jedes einheitliche schweizerische Auftreten nach außen unmöglich. Auf dem Weg der Verständigung wollte er die ertraglosen Bahnaktien zu 50% des Nennwerts gegen eidgenössische Staatsschuldscheine, die einträglichen Bahnaktien jedoch gegen Barzahlung im Betrag von 110% (für die Zentralbahnaktien) und 160% (für die Nordostbahnaktien) des Nennwerts einlösen. Das vorgesehene Bahnnetz hätte 1324 km umfaßt; die Bruttoeinnahmen wurden auf durchschnittlich 21.247 Fr. f. d. km veranschlagt. Durch Verminderung der Betriebskosten infolge der Verschmelzung der Bahnnetze und der Zinsbeträge durch Einsetzung des Staatskredits an Stelle desjenigen der Eisenbahngesellschaften glaubte Stämpfli gesunde finanzielle Verhältnisse ohne weitere Inanspruchnahme von Staatsmitteln herbeiführen zu können. Dieser Plan stieß jedoch auf schwere Bedenken. Der Stämpflische Gedanke vermochte in jener Zeit keinen Boden zu fassen. Hierzu mochte auch die Rivalität der verschiedenen Landesteile in den immer mehr in den Vordergrund tretenden Alpenbahnbestrebungen sowie der Gedanke beitragen, daß auswärtige Staaten eher geneigt sein würden, bei der Anlage einer Alpenbahn finanziell mitzuwirken, wenn diese nicht vom Bund selbst ausgeführt würde. Bei den Plänen einer Überschienung der Alpen kamen 3 Übergänge in Betracht, ein ostschweizerischer, ein zentralschweizerischer und ein westschweizerischer. In dem Kampf hierüber übernahmen für den ostschweizerischen Paß die Kantone Graubünden und St. Gallen mit der Unternehmung der Vereinigten Schweizer Bahnen und unter der Leitung von La Nicca (s. d.) und Wirth-Sand (s. d.), für den zentralschweizerischen Übergang über den Gotthard der Kanton Luzern und die Zentralbahn, für den westschweizerischen Waadt und Wallis mit der Walliser Bahn (Ligne d'Italie, Simplonbahn) und die schweizerischen Westbahnen die Führung. Während für die beiden letzteren Übergänge die Paßwahl sich für den Simplon und den Gotthard rasch ergeben hatte, schwankte man im Osten lange zwischen Splügen und Lukmanier. Man überzeugte sich indessen, daß schweizerischerseits der Vorzug einem Projekt zu geben sei, das die Verbindung des Kantons Tessin mit der nördlichen Schweiz in sich schloß.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 8. Berlin, Wien, 1917, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen08_1917/460>, abgerufen am 01.11.2024.