Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 10. Berlin, Wien, 1923.auf denen solche Versuche ausgeführt werden, nennt man Versuchsstrecken. Auf diesen ist es aber nicht möglich, sämtliche Teile des Oberbaues im ganzen und im gegenseitigen Verhalten seiner Teile zu beobachten und gesetzmäßig festzulegen. Versuchsstrecken dienen vielmehr im allgemeinen nur einer Beobachtungsaufgabe. Die auf solchen Versuchsstrecken vorgenommenen Beobachtungen haben aber auch vielfach den Mangel, daß die Fundberichte für gleichartige Verhältnisse häufig so wesentlich voneinander abweichen, daß ein Gesamtschluß Abb. 63. Lageplan der Versuchsbahn bei Oranienburg. In wesentlich vollkommenerer Weise können daher solche Versuche auf einer besonderen Versuchsbahn durchgeführt werden, die von den Zufälligkeiten der Persönlichkeiten und des Ortes losgelöst und mit den nötigen Einrichtungen zum Beobachten und Messen ausgerüstet ist. Nur hier ist es möglich, die Bahnanlagen - in erster Linie das Gleis nebst Zubehör - genau nach Vorschrift und Bedarf zu unterhalten und die im wirklichen Betriebe unvermeidlichen Vernachlässigungen zu vermeiden, die das Beobachtungsergebnis verwischen und unentschieden lassen, ob die Ursache eines Mißlingens in mangelnder Unterhaltung oder in der Bauart liegt. Auf einer V. ist es auch möglich, Einzelbelastung und Verkehrsdichte dem jemaligen Zweck anzupassen und auf das erforderliche höchste Maß zu steigern. Bei den deutschen Reichseisenbahnen besteht zurzeit eine Reihe von Versuchsstrecken, bei denen es sich um die Erprobung der einzelnen Teile des Oberbaues handelt. Bekannt geworden ist besonders die Versuchsstrecke Berlin - Schöneberg - Zossen der ehemaligen Militärbahn durch die im Jahre 1901 vorgenommenen Schnellfahrversuche mit elektrischen Lokomotiven und Triebwagen. Die hier ausgeführten Versuche, bei denen Geschwindigkeiten bis zu 210 km/Std. erzielt worden sind, dienten insbesondere dazu, den Bahn- und Luftwiderstand zu ermitteln. Von Versuchsbahnen ist die V. der preußischen Staatsbahnen beim Bahnhof Oranienburg zu erwähnen, die von 1906-1913 in Betrieb war. Die eingleisige Bahn bestand nach beistehendem Lageplan aus 2 halbkreisförmigen Bogen von 200 m Halbmesser mit Zwischengeraden. Die Gesamtstreckenlänge betrug 1·757 km. Die gedrängte Anlage hatte den Vorteil, daß jede Stelle möglichst oft mit dem Versuchszug belastet wurde, nämlich bei einer Geschwindigkeit von 50 km/Std. stündlich etwa 28mal. Das Steigungsverhältnis der Rampen war verschiedenartig gewählt, um hierüber Beobachtungen anstellen zu können. Der Betrieb wurde mit einer führerlosen elektrischen Lokomotive von 60 t Dienstgewicht mit angehängtem Güterwagen geführt. Die gesamte Zuglast betrug auf denen solche Versuche ausgeführt werden, nennt man Versuchsstrecken. Auf diesen ist es aber nicht möglich, sämtliche Teile des Oberbaues im ganzen und im gegenseitigen Verhalten seiner Teile zu beobachten und gesetzmäßig festzulegen. Versuchsstrecken dienen vielmehr im allgemeinen nur einer Beobachtungsaufgabe. Die auf solchen Versuchsstrecken vorgenommenen Beobachtungen haben aber auch vielfach den Mangel, daß die Fundberichte für gleichartige Verhältnisse häufig so wesentlich voneinander abweichen, daß ein Gesamtschluß Abb. 63. Lageplan der Versuchsbahn bei Oranienburg. In wesentlich vollkommenerer Weise können daher solche Versuche auf einer besonderen Versuchsbahn durchgeführt werden, die von den Zufälligkeiten der Persönlichkeiten und des Ortes losgelöst und mit den nötigen Einrichtungen zum Beobachten und Messen ausgerüstet ist. Nur hier ist es möglich, die Bahnanlagen – in erster Linie das Gleis nebst Zubehör – genau nach Vorschrift und Bedarf zu unterhalten und die im wirklichen Betriebe unvermeidlichen Vernachlässigungen zu vermeiden, die das Beobachtungsergebnis verwischen und unentschieden lassen, ob die Ursache eines Mißlingens in mangelnder Unterhaltung oder in der Bauart liegt. Auf einer V. ist es auch möglich, Einzelbelastung und Verkehrsdichte dem jemaligen Zweck anzupassen und auf das erforderliche höchste Maß zu steigern. Bei den deutschen Reichseisenbahnen besteht zurzeit eine Reihe von Versuchsstrecken, bei denen es sich um die Erprobung der einzelnen Teile des Oberbaues handelt. Bekannt geworden ist besonders die Versuchsstrecke Berlin – Schöneberg – Zossen der ehemaligen Militärbahn durch die im Jahre 1901 vorgenommenen Schnellfahrversuche mit elektrischen Lokomotiven und Triebwagen. Die hier ausgeführten Versuche, bei denen Geschwindigkeiten bis zu 210 km/Std. erzielt worden sind, dienten insbesondere dazu, den Bahn- und Luftwiderstand zu ermitteln. Von Versuchsbahnen ist die V. der preußischen Staatsbahnen beim Bahnhof Oranienburg zu erwähnen, die von 1906–1913 in Betrieb war. Die eingleisige Bahn bestand nach beistehendem Lageplan aus 2 halbkreisförmigen Bogen von 200 m Halbmesser mit Zwischengeraden. Die Gesamtstreckenlänge betrug 1·757 km. Die gedrängte Anlage hatte den Vorteil, daß jede Stelle möglichst oft mit dem Versuchszug belastet wurde, nämlich bei einer Geschwindigkeit von 50 km/Std. stündlich etwa 28mal. Das Steigungsverhältnis der Rampen war verschiedenartig gewählt, um hierüber Beobachtungen anstellen zu können. Der Betrieb wurde mit einer führerlosen elektrischen Lokomotive von 60 t Dienstgewicht mit angehängtem Güterwagen geführt. 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[Abbildung Abb. 63. Lageplan der Versuchsbahn bei Oranienburg.
]
schwer gezogen werden kann. Dies ist einmal darauf zurückzuführen, daß die im Betrieb stehenden Beamten kaum Zeit haben, sich den Beobachtungen so zu widmen, wie es der Zweck erfordert, vielleicht auch nicht immer für solche Aufgaben geeignet sind, und daß ferner sachliche örtliche Gesichtspunkte das Ergebnis erheblich verschieben.
In wesentlich vollkommenerer Weise können daher solche Versuche auf einer besonderen Versuchsbahn durchgeführt werden, die von den Zufälligkeiten der Persönlichkeiten und des Ortes losgelöst und mit den nötigen Einrichtungen zum Beobachten und Messen ausgerüstet ist. Nur hier ist es möglich, die Bahnanlagen – in erster Linie das Gleis nebst Zubehör – genau nach Vorschrift und Bedarf zu unterhalten und die im wirklichen Betriebe unvermeidlichen Vernachlässigungen zu vermeiden, die das Beobachtungsergebnis verwischen und unentschieden lassen, ob die Ursache eines Mißlingens in mangelnder Unterhaltung oder in der Bauart liegt. Auf einer V. ist es auch möglich, Einzelbelastung und Verkehrsdichte dem jemaligen Zweck anzupassen und auf das erforderliche höchste Maß zu steigern.
Bei den deutschen Reichseisenbahnen besteht zurzeit eine Reihe von Versuchsstrecken, bei denen es sich um die Erprobung der einzelnen Teile des Oberbaues handelt. Bekannt geworden ist besonders die Versuchsstrecke Berlin – Schöneberg – Zossen der ehemaligen Militärbahn durch die im Jahre 1901 vorgenommenen Schnellfahrversuche mit elektrischen Lokomotiven und Triebwagen. Die hier ausgeführten Versuche, bei denen Geschwindigkeiten bis zu 210 km/Std. erzielt worden sind, dienten insbesondere dazu, den Bahn- und Luftwiderstand zu ermitteln.
Von Versuchsbahnen ist die V. der preußischen Staatsbahnen beim Bahnhof Oranienburg zu erwähnen, die von 1906–1913 in Betrieb war. Die eingleisige Bahn bestand nach beistehendem Lageplan aus 2 halbkreisförmigen Bogen von 200 m Halbmesser mit Zwischengeraden. Die Gesamtstreckenlänge betrug 1·757 km. Die gedrängte Anlage hatte den Vorteil, daß jede Stelle möglichst oft mit dem Versuchszug belastet wurde, nämlich bei einer Geschwindigkeit von 50 km/Std. stündlich etwa 28mal. Das Steigungsverhältnis der Rampen war verschiedenartig gewählt, um hierüber Beobachtungen anstellen zu können. Der Betrieb wurde mit einer führerlosen elektrischen Lokomotive von 60 t Dienstgewicht mit angehängtem Güterwagen geführt. Die gesamte Zuglast betrug
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