Waffen zu ergreifen, ja selbst den Thron für erledigt zu er- klären 1). Allein weder das eine noch das andere trat ein. Allerdings nahm Rußland sich seiner Freunde an. Der Re- sident Groß wurde beauftragt, Brühl sehr nachdrückliche Vor- stellungen darüber zu machen, daß bei der Vertheilung der Ämter und Würden die Freunde Frankreichs begünstigt, die Freunde Rußlands zurückgesetzt würden. Der ganze Vorgang characterisirt, wie schon damals die Stellung Rußlands zu Polen war. Am 20. März 1755 hatte Groß seine Audienz bei Brühl, an der auch Williams Theil nahm. Gleich anfangs unterbrach Brühl in großer Gereiztheit das Vorlesen der russischen Note. Die Kaiserin, meinte er, müsse ohne Zweifel über die Aufführung der Czartoryski falsch berichtet sein, weil sie sonst "den Feinden des Königs" nicht beistehen würde. Mehrmals wiederholte er: "Se. Majestät wird sich vor jenen nie beugen" und bestritt lebhaft dem Petersburger Hofe das Recht, Vorstellungen solcher Art zu machen. "Se. Majestät", sagte er, "wird es nicht dulden, daß man ihr Gesetze vor- schreibt, sie würde, wenn der Kroneid sie nicht davon abhielte, lieber auf die Krone verzichten. -- Eine Veröffentlichung dieser Note würde den größten Aufruhr in Polen hervorbringen; schon jetzt brüsteten sich die Czartoryski und deren Freunde mit der Protection Rußlands." Als dann Groß darauf hinwies, daß die Note in voller Übereinstimmung mit dem Tractat von 1716 sei, der Rußland die Verpflichtung auferlegt habe, alles abzuwenden, was in Polen zur Erweckung des Partheigeistes, zum Streit des einen Theils der Nation mit dem andern oder mit der Regierung führen könne, rief Brühl zornig aus: "Der König allein hat das Recht, diese oder andre Maaßregeln zur Erhaltung der Ruhe in seinem Reich zu ergreifen", worauf Williams bemerkte, der König habe 1716 einen Vertrag mit seinen Unterthanen geschlossen, deren Garantie Rußland mit Einstimmung beider Contrahenten übernommen habe; unmög- lich könne der König über die Haltung dieses Vertrages Parthei
1)Rulhiere I, 222--223.
Waffen zu ergreifen, ja ſelbſt den Thron für erledigt zu er- klären 1). Allein weder das eine noch das andere trat ein. Allerdings nahm Rußland ſich ſeiner Freunde an. Der Re- ſident Groß wurde beauftragt, Brühl ſehr nachdrückliche Vor- ſtellungen darüber zu machen, daß bei der Vertheilung der Ämter und Würden die Freunde Frankreichs begünſtigt, die Freunde Rußlands zurückgeſetzt würden. Der ganze Vorgang characteriſirt, wie ſchon damals die Stellung Rußlands zu Polen war. Am 20. März 1755 hatte Groß ſeine Audienz bei Brühl, an der auch Williams Theil nahm. Gleich anfangs unterbrach Brühl in großer Gereiztheit das Vorleſen der ruſſiſchen Note. Die Kaiſerin, meinte er, müſſe ohne Zweifel über die Aufführung der Czartoryski falſch berichtet ſein, weil ſie ſonſt „den Feinden des Königs“ nicht beiſtehen würde. Mehrmals wiederholte er: „Se. Majeſtät wird ſich vor jenen nie beugen“ und beſtritt lebhaft dem Petersburger Hofe das Recht, Vorſtellungen ſolcher Art zu machen. „Se. Majeſtät“, ſagte er, „wird es nicht dulden, daß man ihr Geſetze vor- ſchreibt, ſie würde, wenn der Kroneid ſie nicht davon abhielte, lieber auf die Krone verzichten. — Eine Veröffentlichung dieſer Note würde den größten Aufruhr in Polen hervorbringen; ſchon jetzt brüſteten ſich die Czartoryski und deren Freunde mit der Protection Rußlands.“ Als dann Groß darauf hinwies, daß die Note in voller Übereinſtimmung mit dem Tractat von 1716 ſei, der Rußland die Verpflichtung auferlegt habe, alles abzuwenden, was in Polen zur Erweckung des Partheigeiſtes, zum Streit des einen Theils der Nation mit dem andern oder mit der Regierung führen könne, rief Brühl zornig aus: „Der König allein hat das Recht, dieſe oder andre Maaßregeln zur Erhaltung der Ruhe in ſeinem Reich zu ergreifen“, worauf Williams bemerkte, der König habe 1716 einen Vertrag mit ſeinen Unterthanen geſchloſſen, deren Garantie Rußland mit Einſtimmung beider Contrahenten übernommen habe; unmög- lich könne der König über die Haltung dieſes Vertrages Parthei
1)Rulhiere I, 222—223.
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Waffen zu ergreifen, ja ſelbſt den Thron für erledigt zu er-
klären 1). Allein weder das eine noch das andere trat ein.
Allerdings nahm Rußland ſich ſeiner Freunde an. Der Re-
ſident Groß wurde beauftragt, Brühl ſehr nachdrückliche Vor-
ſtellungen darüber zu machen, daß bei der Vertheilung der
Ämter und Würden die Freunde Frankreichs begünſtigt, die
Freunde Rußlands zurückgeſetzt würden. Der ganze Vorgang
characteriſirt, wie ſchon damals die Stellung Rußlands zu
Polen war. Am 20. März 1755 hatte Groß ſeine Audienz
bei Brühl, an der auch Williams Theil nahm. Gleich anfangs
unterbrach Brühl in großer Gereiztheit das Vorleſen der
ruſſiſchen Note. Die Kaiſerin, meinte er, müſſe ohne Zweifel
über die Aufführung der Czartoryski falſch berichtet ſein, weil
ſie ſonſt „den Feinden des Königs“ nicht beiſtehen würde.
Mehrmals wiederholte er: „Se. Majeſtät wird ſich vor jenen
nie beugen“ und beſtritt lebhaft dem Petersburger Hofe das
Recht, Vorſtellungen ſolcher Art zu machen. „Se. Majeſtät“,
ſagte er, „wird es nicht dulden, daß man ihr Geſetze vor-
ſchreibt, ſie würde, wenn der Kroneid ſie nicht davon abhielte,
lieber auf die Krone verzichten. — Eine Veröffentlichung dieſer
Note würde den größten Aufruhr in Polen hervorbringen;
ſchon jetzt brüſteten ſich die Czartoryski und deren Freunde mit
der Protection Rußlands.“ Als dann Groß darauf hinwies,
daß die Note in voller Übereinſtimmung mit dem Tractat von
1716 ſei, der Rußland die Verpflichtung auferlegt habe, alles
abzuwenden, was in Polen zur Erweckung des Partheigeiſtes,
zum Streit des einen Theils der Nation mit dem andern oder
mit der Regierung führen könne, rief Brühl zornig aus: „Der
König allein hat das Recht, dieſe oder andre Maaßregeln zur
Erhaltung der Ruhe in ſeinem Reich zu ergreifen“, worauf
Williams bemerkte, der König habe 1716 einen Vertrag mit
ſeinen Unterthanen geſchloſſen, deren Garantie Rußland mit
Einſtimmung beider Contrahenten übernommen habe; unmög-
lich könne der König über die Haltung dieſes Vertrages Parthei
1) Rulhiere I, 222—223.
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/122>, abgerufen am 16.07.2024.
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