und Richter zugleich sein. Brühl wiederholte, der König würde lieber dem Thron entsagen, als solche Vormundschaft, käme sie, von wem sie wolle, über sich zulassen; er besäße hinlängliche Macht, um seine hochmüthigen Unterthanen zu bändigen. Allein trotz all dieser tapfern Erklärungen Brühls blieb doch die Vorstellung auf ihn nicht ohne alle Wirkung. Er nahm thatsächlich mehr Rücksicht auf die Candidaten, die Rußland empfahl 1); wie es denn überhaupt sein System war, die Partheien in Polen in einem gewissen Gleichgewicht zu halten 2). Allein der Strom der öffentlichen Meinung war einmal den Patrioten günstig. Der Hof söhnte sich sichtlich mit ihnen aus; Mokranowski erhielt eine Starostei mit reichen Einkünften und von Ludwig XV. den Titel eines französischen Generals. Zugleich wuchs die Zahl der Anhänger Frankreichs, und je mehr sie wuchs, um so eifriger trieb Broglie vorwärts. Ihm war es weniger um die dereinstige Erhebung Conti's auf den polnischen Thron, als um die Durchführung seiner umfassenden politischen Pläne zu thun; Frankreichs Interesse stand ihm höher, als das Conti's; konnte er sein Ziel mit dem Hause Sachsen leichter erreichen, so mußte Conti zurücktreten. Der Krongroßfeldherr Branicki ging lebendig in alle seine Ideen ein. Er traf eifrig alle Vorbereitungen zu einer Conföderation, an die der König sich anschließen sollte; arbeitete fleißig daran, die Kronarmee schlagfertig zu machen, und sandte einen Agenten nach Constantinopel, um eine Verständigung mit der Pforte einzuleiten und im Verständniß mit dem dortigen französischen Gesandten, die Türken zu einem mit Polen gemeinschaftlichen Angriff auf Rußland zu treiben 3).
Dieser Umschlag der Partheiverhältnisse und die sich an ihn anschließenden Bewegungen in Polen blieben auch an andern Höfen nicht unbemerkt. Selbst Kaunitz legte den Umtrieben der französischen Politik in Polen eine große Bedeutung bei,
1)Szczebalski a. a. O., nach dem Bericht Groß' vom 23. März 1755 im Moskauer Archiv der ausw. Angel.
2)Stanisl. Aug., Pam., p. 151.
3) Nach den Berichten Broglie's.
und Richter zugleich ſein. Brühl wiederholte, der König würde lieber dem Thron entſagen, als ſolche Vormundſchaft, käme ſie, von wem ſie wolle, über ſich zulaſſen; er beſäße hinlängliche Macht, um ſeine hochmüthigen Unterthanen zu bändigen. Allein trotz all dieſer tapfern Erklärungen Brühls blieb doch die Vorſtellung auf ihn nicht ohne alle Wirkung. Er nahm thatſächlich mehr Rückſicht auf die Candidaten, die Rußland empfahl 1); wie es denn überhaupt ſein Syſtem war, die Partheien in Polen in einem gewiſſen Gleichgewicht zu halten 2). Allein der Strom der öffentlichen Meinung war einmal den Patrioten günſtig. Der Hof ſöhnte ſich ſichtlich mit ihnen aus; Mokranowski erhielt eine Staroſtei mit reichen Einkünften und von Ludwig XV. den Titel eines franzöſiſchen Generals. Zugleich wuchs die Zahl der Anhänger Frankreichs, und je mehr ſie wuchs, um ſo eifriger trieb Broglie vorwärts. Ihm war es weniger um die dereinſtige Erhebung Conti’s auf den polniſchen Thron, als um die Durchführung ſeiner umfaſſenden politiſchen Pläne zu thun; Frankreichs Intereſſe ſtand ihm höher, als das Conti’s; konnte er ſein Ziel mit dem Hauſe Sachſen leichter erreichen, ſo mußte Conti zurücktreten. Der Krongroßfeldherr Branicki ging lebendig in alle ſeine Ideen ein. Er traf eifrig alle Vorbereitungen zu einer Conföderation, an die der König ſich anſchließen ſollte; arbeitete fleißig daran, die Kronarmee ſchlagfertig zu machen, und ſandte einen Agenten nach Conſtantinopel, um eine Verſtändigung mit der Pforte einzuleiten und im Verſtändniß mit dem dortigen franzöſiſchen Geſandten, die Türken zu einem mit Polen gemeinſchaftlichen Angriff auf Rußland zu treiben 3).
Dieſer Umſchlag der Partheiverhältniſſe und die ſich an ihn anſchließenden Bewegungen in Polen blieben auch an andern Höfen nicht unbemerkt. Selbſt Kaunitz legte den Umtrieben der franzöſiſchen Politik in Polen eine große Bedeutung bei,
1)Szczebalski a. a. O., nach dem Bericht Groß’ vom 23. März 1755 im Moskauer Archiv der ausw. Angel.
2)Stanisl. Aug., Pam., p. 151.
3) Nach den Berichten Broglie’s.
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lieber dem Thron entſagen, als ſolche Vormundſchaft, käme ſie,
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Macht, um ſeine hochmüthigen Unterthanen zu bändigen.
Allein trotz all dieſer tapfern Erklärungen Brühls blieb doch
die Vorſtellung auf ihn nicht ohne alle Wirkung. Er nahm
thatſächlich mehr Rückſicht auf die Candidaten, die Rußland
empfahl 1); wie es denn überhaupt ſein Syſtem war, die
Partheien in Polen in einem gewiſſen Gleichgewicht zu halten 2).
Allein der Strom der öffentlichen Meinung war einmal den
Patrioten günſtig. Der Hof ſöhnte ſich ſichtlich mit ihnen
aus; Mokranowski erhielt eine Staroſtei mit reichen Einkünften
und von Ludwig XV. den Titel eines franzöſiſchen Generals.
Zugleich wuchs die Zahl der Anhänger Frankreichs, und je
mehr ſie wuchs, um ſo eifriger trieb Broglie vorwärts. Ihm
war es weniger um die dereinſtige Erhebung Conti’s auf den
polniſchen Thron, als um die Durchführung ſeiner umfaſſenden
politiſchen Pläne zu thun; Frankreichs Intereſſe ſtand ihm
höher, als das Conti’s; konnte er ſein Ziel mit dem Hauſe
Sachſen leichter erreichen, ſo mußte Conti zurücktreten. Der
Krongroßfeldherr Branicki ging lebendig in alle ſeine Ideen
ein. Er traf eifrig alle Vorbereitungen zu einer Conföderation,
an die der König ſich anſchließen ſollte; arbeitete fleißig daran,
die Kronarmee ſchlagfertig zu machen, und ſandte einen Agenten
nach Conſtantinopel, um eine Verſtändigung mit der Pforte
einzuleiten und im Verſtändniß mit dem dortigen franzöſiſchen
Geſandten, die Türken zu einem mit Polen gemeinſchaftlichen
Angriff auf Rußland zu treiben 3).
Dieſer Umſchlag der Partheiverhältniſſe und die ſich an
ihn anſchließenden Bewegungen in Polen blieben auch an andern
Höfen nicht unbemerkt. Selbſt Kaunitz legte den Umtrieben
der franzöſiſchen Politik in Polen eine große Bedeutung bei,
1) Szczebalski a. a. O., nach dem Bericht Groß’ vom 23. März
1755 im Moskauer Archiv der ausw. Angel.
2) Stanisl. Aug., Pam., p. 151.
3) Nach den Berichten Broglie’s.
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/123>, abgerufen am 16.07.2024.
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