Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.
schau im Januar und Februar 1757 einen plötzlichen Überfall ablaufend, ihrem König 100,000 Polen zur Befreiung Sachsens ange- boten hätten, um unter diesem Vorwande, die einen mit Hilfe Frank- reichs, die andern mit Hilfe Rußlands eine Conföderation zu Stande zu bringen -- vereinigen läßt, muß ich für jetzt dahingestellt sein lassen. 1) Das Factum berichtet Kitowicz, Pam., p. 32--33, und sagt,
es sei in Folge der Verhaftung eines Menschen geschehen, von dem es geheißen habe, er sei abgesandt, um die russischen Magazine zu ver- brennen; dies sei aber gewiß nicht richtig, weil in dieser Zeit weder rus- sische Magazine noch russische Truppen in Polen gewesen wären; wahr- scheinlicher sei ein andres Gerücht, nach welchem Graf Brühl auf Ver- anlassung Friedrichs habe in Warschau aufgehoben werden sollen. Bei- läufig bemerke ich, daß der Text des Abdrucks der Denkwürdigkeiten von Kitowicz in dem Skarbiec von Sienkowski (Paris 1839, I, 26) von dem der Posener Ausgabe merklich verschieden ist. Woher die im Skar- biec sich findende Note, daß der auf Requisition des russischen Gesandten Verhaftete Lembert geheißen, sich Kapitain genannt habe, und im Juli 1757 durch einen Haufen unbekannter Leute aus seinem Gefängniß be- freit worden sei, stammt, ist dort nicht angegeben. Szujski IV, 345 bringt den Vorfall mit einer Agitation der Czartoryski zur Bildung einer Conföderation zu Gunsten Friedrich II. in Verbindung. Für das letztere bezieht er sich auf einen ungedruckten Brief des Kronschreiber Rzewuski, des podolischen Woiwoden Michael Sohn, welcher ausnahmsweise zur Czartoryskischen Parthei gehört habe, in dem dieser schreibt, daß für eine gegen August III. gerichtete Conföderation auf Anlaß August Czartoryski's, im Chelmer Lande Romanowski, im Kiew'schen Wolanski, in Lithauen Przezdziecki und Sosnowski thätig sei und für welche sich auch der Bischof von Kujawien Debowski interessire. In demselben Briefe mache sich Rzewuski auch über die Angst des Hofes lustig und setze hinzu: "Wir berichten alles nach Berlin." Auch diese Nachricht bedarf jedenfalls noch näherer Auf- klärung. ſchau im Januar und Februar 1757 einen plötzlichen Überfall ablaufend, ihrem König 100,000 Polen zur Befreiung Sachſens ange- boten hätten, um unter dieſem Vorwande, die einen mit Hilfe Frank- reichs, die andern mit Hilfe Rußlands eine Conföderation zu Stande zu bringen — vereinigen läßt, muß ich für jetzt dahingeſtellt ſein laſſen. 1) Das Factum berichtet Kitowicz, Pam., p. 32—33, und ſagt,
es ſei in Folge der Verhaftung eines Menſchen geſchehen, von dem es geheißen habe, er ſei abgeſandt, um die ruſſiſchen Magazine zu ver- brennen; dies ſei aber gewiß nicht richtig, weil in dieſer Zeit weder ruſ- ſiſche Magazine noch ruſſiſche Truppen in Polen geweſen wären; wahr- ſcheinlicher ſei ein andres Gerücht, nach welchem Graf Brühl auf Ver- anlaſſung Friedrichs habe in Warſchau aufgehoben werden ſollen. Bei- läufig bemerke ich, daß der Text des Abdrucks der Denkwürdigkeiten von Kitowicz in dem Skarbiec von Sienkowski (Paris 1839, I, 26) von dem der Poſener Ausgabe merklich verſchieden iſt. Woher die im Skar- biec ſich findende Note, daß der auf Requiſition des ruſſiſchen Geſandten Verhaftete Lembert geheißen, ſich Kapitain genannt habe, und im Juli 1757 durch einen Haufen unbekannter Leute aus ſeinem Gefängniß be- freit worden ſei, ſtammt, iſt dort nicht angegeben. Szujski IV, 345 bringt den Vorfall mit einer Agitation der Czartoryski zur Bildung einer Conföderation zu Gunſten Friedrich II. in Verbindung. Für das letztere bezieht er ſich auf einen ungedruckten Brief des Kronſchreiber Rzewuski, des podoliſchen Woiwoden Michael Sohn, welcher ausnahmsweiſe zur Czartoryskiſchen Parthei gehört habe, in dem dieſer ſchreibt, daß für eine gegen Auguſt III. gerichtete Conföderation auf Anlaß Auguſt Czartoryski’s, im Chelmer Lande Romanowski, im Kiew’ſchen Wolanski, in Lithauen Przezdziecki und Sosnowski thätig ſei und für welche ſich auch der Biſchof von Kujawien Dębowski intereſſire. In demſelben Briefe mache ſich Rzewuski auch über die Angſt des Hofes luſtig und ſetze hinzu: „Wir berichten alles nach Berlin.“ Auch dieſe Nachricht bedarf jedenfalls noch näherer Auf- klärung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="118"/> ſchau im Januar und Februar 1757 einen plötzlichen Überfall<lb/> gefürchtet zu haben. Der König zog aus dem ſächſiſchen Palaſt<lb/> in das Schloß und die Wachen zogen ein paar Wochen mit<lb/> geladnen Gewehren und Geſchützen auf <note place="foot" n="1)">Das Factum berichtet <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kitowicz</hi>, Pam., p.</hi> 32—33, und ſagt,<lb/> es ſei in Folge der Verhaftung eines Menſchen geſchehen, von dem es<lb/> geheißen habe, er ſei abgeſandt, um die ruſſiſchen Magazine zu ver-<lb/> brennen; dies ſei aber gewiß nicht richtig, weil in dieſer Zeit weder ruſ-<lb/> ſiſche Magazine noch ruſſiſche Truppen in Polen geweſen wären; wahr-<lb/> ſcheinlicher ſei ein andres Gerücht, nach welchem Graf Brühl auf Ver-<lb/> anlaſſung Friedrichs habe in Warſchau aufgehoben werden ſollen. Bei-<lb/> läufig bemerke ich, daß der Text des Abdrucks der Denkwürdigkeiten von<lb/> Kitowicz in dem <hi rendition="#aq">Skarbiec</hi> von <hi rendition="#g">Sienkowski</hi> (<hi rendition="#aq">Paris 1839, I,</hi> 26) von<lb/> dem der Poſener Ausgabe merklich verſchieden iſt. Woher die im <hi rendition="#aq">Skar-<lb/> biec</hi> ſich findende Note, daß der auf Requiſition des ruſſiſchen Geſandten<lb/> Verhaftete Lembert geheißen, ſich Kapitain genannt habe, und im Juli<lb/> 1757 durch einen Haufen unbekannter Leute aus ſeinem Gefängniß be-<lb/> freit worden ſei, ſtammt, iſt dort nicht angegeben. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Szujski</hi> IV,</hi> 345<lb/> bringt den Vorfall mit einer Agitation der Czartoryski zur Bildung einer<lb/> Conföderation zu Gunſten Friedrich <hi rendition="#aq">II.</hi> in Verbindung. Für das letztere<lb/> bezieht er ſich auf einen ungedruckten Brief des Kronſchreiber Rzewuski,<lb/> des podoliſchen Woiwoden Michael Sohn, welcher ausnahmsweiſe zur<lb/> Czartoryskiſchen Parthei gehört habe, in dem dieſer ſchreibt, daß für eine<lb/> gegen Auguſt <hi rendition="#aq">III.</hi> gerichtete Conföderation auf Anlaß Auguſt Czartoryski’s,<lb/> im Chelmer Lande Romanowski, im Kiew’ſchen Wolanski, in Lithauen<lb/> Przezdziecki und Sosnowski thätig ſei und für welche ſich auch der Biſchof<lb/> von Kujawien Dębowski intereſſire. In demſelben Briefe mache ſich Rzewuski<lb/> auch über die Angſt des Hofes luſtig und ſetze hinzu: „Wir berichten alles<lb/> nach Berlin.“ Auch dieſe Nachricht bedarf jedenfalls noch näherer Auf-<lb/> klärung.</note>. Allein die Ruhe<lb/> ward in Warſchau nicht im mindeſten geſtört, und im Lande<lb/> erhob ſich keine Conföderation. Trotz aller ſo lebhaften Pro-<lb/> teſtationen der Patrioten, rückten die ruſſiſchen Truppen im<lb/> Frühjahr 1757, ohne irgend einen Widerſtand zu finden, in<lb/> das Gebiet der Republik ein. Mitte Juni ſchlug General<lb/> Apraxin ſein Hauptquartier in Kowno auf; gegen Ende Juni<lb/><note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="2)">ablaufend, ihrem König 100,000 Polen zur Befreiung Sachſens ange-<lb/> boten hätten, um unter dieſem Vorwande, die einen mit Hilfe Frank-<lb/> reichs, die andern mit Hilfe Rußlands eine Conföderation zu Stande zu<lb/> bringen — vereinigen läßt, muß ich für jetzt dahingeſtellt ſein laſſen.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [118/0132]
ſchau im Januar und Februar 1757 einen plötzlichen Überfall
gefürchtet zu haben. Der König zog aus dem ſächſiſchen Palaſt
in das Schloß und die Wachen zogen ein paar Wochen mit
geladnen Gewehren und Geſchützen auf 1). Allein die Ruhe
ward in Warſchau nicht im mindeſten geſtört, und im Lande
erhob ſich keine Conföderation. Trotz aller ſo lebhaften Pro-
teſtationen der Patrioten, rückten die ruſſiſchen Truppen im
Frühjahr 1757, ohne irgend einen Widerſtand zu finden, in
das Gebiet der Republik ein. Mitte Juni ſchlug General
Apraxin ſein Hauptquartier in Kowno auf; gegen Ende Juni
2)
1) Das Factum berichtet Kitowicz, Pam., p. 32—33, und ſagt,
es ſei in Folge der Verhaftung eines Menſchen geſchehen, von dem es
geheißen habe, er ſei abgeſandt, um die ruſſiſchen Magazine zu ver-
brennen; dies ſei aber gewiß nicht richtig, weil in dieſer Zeit weder ruſ-
ſiſche Magazine noch ruſſiſche Truppen in Polen geweſen wären; wahr-
ſcheinlicher ſei ein andres Gerücht, nach welchem Graf Brühl auf Ver-
anlaſſung Friedrichs habe in Warſchau aufgehoben werden ſollen. Bei-
läufig bemerke ich, daß der Text des Abdrucks der Denkwürdigkeiten von
Kitowicz in dem Skarbiec von Sienkowski (Paris 1839, I, 26) von
dem der Poſener Ausgabe merklich verſchieden iſt. Woher die im Skar-
biec ſich findende Note, daß der auf Requiſition des ruſſiſchen Geſandten
Verhaftete Lembert geheißen, ſich Kapitain genannt habe, und im Juli
1757 durch einen Haufen unbekannter Leute aus ſeinem Gefängniß be-
freit worden ſei, ſtammt, iſt dort nicht angegeben. Szujski IV, 345
bringt den Vorfall mit einer Agitation der Czartoryski zur Bildung einer
Conföderation zu Gunſten Friedrich II. in Verbindung. Für das letztere
bezieht er ſich auf einen ungedruckten Brief des Kronſchreiber Rzewuski,
des podoliſchen Woiwoden Michael Sohn, welcher ausnahmsweiſe zur
Czartoryskiſchen Parthei gehört habe, in dem dieſer ſchreibt, daß für eine
gegen Auguſt III. gerichtete Conföderation auf Anlaß Auguſt Czartoryski’s,
im Chelmer Lande Romanowski, im Kiew’ſchen Wolanski, in Lithauen
Przezdziecki und Sosnowski thätig ſei und für welche ſich auch der Biſchof
von Kujawien Dębowski intereſſire. In demſelben Briefe mache ſich Rzewuski
auch über die Angſt des Hofes luſtig und ſetze hinzu: „Wir berichten alles
nach Berlin.“ Auch dieſe Nachricht bedarf jedenfalls noch näherer Auf-
klärung.
2) ablaufend, ihrem König 100,000 Polen zur Befreiung Sachſens ange-
boten hätten, um unter dieſem Vorwande, die einen mit Hilfe Frank-
reichs, die andern mit Hilfe Rußlands eine Conföderation zu Stande zu
bringen — vereinigen läßt, muß ich für jetzt dahingeſtellt ſein laſſen.
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| Zitationshilfe: | Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/132>, abgerufen am 21.11.2024. |
