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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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in diesen Soltyk, der Bischof von Krakau, Mniszek, der Hof-
marschall u. a. auf energische Maßregeln gegen Preußen drangen,
sprachen sich der alte Poniatowski, August Czartoryski u. a.
auf das Entschiedenste dagegen aus und hatten auch die soge-
nannten "Patrioten" auf ihrer Seite 1). Denn dieser Parthei,
welche sich, wie wir sahen, unter dem Einfluß Graf Broglie's
mit der ausgesprochnen Tendenz, Polen von dem Übergewicht
Rußlands zu befreien, gebildet hatte, war nach dem Abschluß
des Bündnisses zwischen Frankreich und Rußland, so zu sagen,
der Boden unter den Füßen fortgezogen. Eine Zeitlang
hielt Broglie sie noch zusammen: seitdem er aber nach dem
verfehlten Versuch, die Abberufung Poniatowski's von Peters-
burg durchzusetzen, Warschau verlassen hatte, löste sie sich
fast völlig auf. Die Instructionen, die sein Nachfolger Paulmy
im Frühjahr 1760 erhielt, waren am wenigsten geeignet, ihn
zu veranlassen, sie von neuem zu beleben 2). Sie schrieben
ihm vielmehr eine passive als aktive Politik vor und warfen
ein helles Licht auf die Stellung, welche Frankreich seitdem zu
den polnischen Dingen in der That einnahm. Man habe,
heißt es in ihrem Eingange, bisher mit der Krone Polen wie
mit einer Macht verhandelt, von der man irgend einen Ein-
fluß in der allgemeinen Politik zu fürchten oder zu hoffen
hätte. Dies sei ein politischer Irrthum. Der König von Polen
sei als solcher ohne Macht, seine Revenüen höchst mäßig, sein
Reich ein weites, aller Welt offenstehendes Land; Partheiung
und Egoismus des Adels und das liberum veto verhinderten
jeden stetigen Gang. Man könne die Verfassung Polens nicht
anders als eine Anarchie betrachten; da aber der Fortbestand
dieser Anarchie dem Interesse Frankreichs ent-
spräche
, so müsse sich dessen Politik auf die Erhaltung der-
selben und darauf beschränken zu verhindern, daß keine andere

1) Benoit, Bericht vom 7. März 1759.
2) Flassan setzt die Absendung Paulmy's ins Jahr 1759. Aus
Boutaric I, 253 ergiebt sich aber, daß seine Instruction erst Ende März
oder Anfang April 1760 im Conseil verlesen wurde und er damals noch
nicht in Warschau war. Er kam nach Benoits Berichten erst zwischen
dem 21. und 25. Juni dorthin.

in dieſen Soltyk, der Biſchof von Krakau, Mniszek, der Hof-
marſchall u. a. auf energiſche Maßregeln gegen Preußen drangen,
ſprachen ſich der alte Poniatowski, Auguſt Czartoryski u. a.
auf das Entſchiedenſte dagegen aus und hatten auch die ſoge-
nannten „Patrioten“ auf ihrer Seite 1). Denn dieſer Parthei,
welche ſich, wie wir ſahen, unter dem Einfluß Graf Broglie’s
mit der ausgeſprochnen Tendenz, Polen von dem Übergewicht
Rußlands zu befreien, gebildet hatte, war nach dem Abſchluß
des Bündniſſes zwiſchen Frankreich und Rußland, ſo zu ſagen,
der Boden unter den Füßen fortgezogen. Eine Zeitlang
hielt Broglie ſie noch zuſammen: ſeitdem er aber nach dem
verfehlten Verſuch, die Abberufung Poniatowski’s von Peters-
burg durchzuſetzen, Warſchau verlaſſen hatte, löſte ſie ſich
faſt völlig auf. Die Inſtructionen, die ſein Nachfolger Paulmy
im Frühjahr 1760 erhielt, waren am wenigſten geeignet, ihn
zu veranlaſſen, ſie von neuem zu beleben 2). Sie ſchrieben
ihm vielmehr eine paſſive als aktive Politik vor und warfen
ein helles Licht auf die Stellung, welche Frankreich ſeitdem zu
den polniſchen Dingen in der That einnahm. Man habe,
heißt es in ihrem Eingange, bisher mit der Krone Polen wie
mit einer Macht verhandelt, von der man irgend einen Ein-
fluß in der allgemeinen Politik zu fürchten oder zu hoffen
hätte. Dies ſei ein politiſcher Irrthum. Der König von Polen
ſei als ſolcher ohne Macht, ſeine Revenüen höchſt mäßig, ſein
Reich ein weites, aller Welt offenſtehendes Land; Partheiung
und Egoismus des Adels und das liberum veto verhinderten
jeden ſtetigen Gang. Man könne die Verfaſſung Polens nicht
anders als eine Anarchie betrachten; da aber der Fortbeſtand
dieſer Anarchie dem Intereſſe Frankreichs ent-
ſpräche
, ſo müſſe ſich deſſen Politik auf die Erhaltung der-
ſelben und darauf beſchränken zu verhindern, daß keine andere

1) Benoit, Bericht vom 7. März 1759.
2) Flaſſan ſetzt die Abſendung Paulmy’s ins Jahr 1759. Aus
Boutaric I, 253 ergiebt ſich aber, daß ſeine Inſtruction erſt Ende März
oder Anfang April 1760 im Conſeil verleſen wurde und er damals noch
nicht in Warſchau war. Er kam nach Benoits Berichten erſt zwiſchen
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[136/0150] in dieſen Soltyk, der Biſchof von Krakau, Mniszek, der Hof- marſchall u. a. auf energiſche Maßregeln gegen Preußen drangen, ſprachen ſich der alte Poniatowski, Auguſt Czartoryski u. a. auf das Entſchiedenſte dagegen aus und hatten auch die ſoge- nannten „Patrioten“ auf ihrer Seite 1). Denn dieſer Parthei, welche ſich, wie wir ſahen, unter dem Einfluß Graf Broglie’s mit der ausgeſprochnen Tendenz, Polen von dem Übergewicht Rußlands zu befreien, gebildet hatte, war nach dem Abſchluß des Bündniſſes zwiſchen Frankreich und Rußland, ſo zu ſagen, der Boden unter den Füßen fortgezogen. Eine Zeitlang hielt Broglie ſie noch zuſammen: ſeitdem er aber nach dem verfehlten Verſuch, die Abberufung Poniatowski’s von Peters- burg durchzuſetzen, Warſchau verlaſſen hatte, löſte ſie ſich faſt völlig auf. Die Inſtructionen, die ſein Nachfolger Paulmy im Frühjahr 1760 erhielt, waren am wenigſten geeignet, ihn zu veranlaſſen, ſie von neuem zu beleben 2). Sie ſchrieben ihm vielmehr eine paſſive als aktive Politik vor und warfen ein helles Licht auf die Stellung, welche Frankreich ſeitdem zu den polniſchen Dingen in der That einnahm. Man habe, heißt es in ihrem Eingange, bisher mit der Krone Polen wie mit einer Macht verhandelt, von der man irgend einen Ein- fluß in der allgemeinen Politik zu fürchten oder zu hoffen hätte. Dies ſei ein politiſcher Irrthum. Der König von Polen ſei als ſolcher ohne Macht, ſeine Revenüen höchſt mäßig, ſein Reich ein weites, aller Welt offenſtehendes Land; Partheiung und Egoismus des Adels und das liberum veto verhinderten jeden ſtetigen Gang. Man könne die Verfaſſung Polens nicht anders als eine Anarchie betrachten; da aber der Fortbeſtand dieſer Anarchie dem Intereſſe Frankreichs ent- ſpräche, ſo müſſe ſich deſſen Politik auf die Erhaltung der- ſelben und darauf beſchränken zu verhindern, daß keine andere 1) Benoit, Bericht vom 7. März 1759. 2) Flaſſan ſetzt die Abſendung Paulmy’s ins Jahr 1759. Aus Boutaric I, 253 ergiebt ſich aber, daß ſeine Inſtruction erſt Ende März oder Anfang April 1760 im Conſeil verleſen wurde und er damals noch nicht in Warſchau war. Er kam nach Benoits Berichten erſt zwiſchen dem 21. und 25. Juni dorthin.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/150>, abgerufen am 21.11.2024.