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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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einstimmung mit Rußland die Thronfolge des Kurprinzen durch
diesen Reichstag wolle durchsetzen lassen, und die Opposition
hegte, als Anfang April sich russische Truppen in der Nähe
von Warschau zusammenzogen, die lebhafteste Besorgniß, daß
es auf Gewaltschritte abgesehen sei. Selbst die Muthigsten er-
klärten dem preußischen Residenten, daß sie nicht im Stande
sein würden, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, weil sie von
jeder auswärtigen Macht verlassen, von den Russen unterdrückt
wären, welche ihnen das Messer an der Kehle hielten und, bei
den ersten Anzeichen eines Widerstandes von Seiten der Pa-
trioten, diese alle "ecrasiren" würden. Nur wenn der König
von Preußen solche Erhebung gegen die Russen durch den Ein-
marsch einer seiner Armeen unterstütze, könnte Polen gerettet
werden 1).

Allein der Hof trieb es nicht so weit, als die Opposition
gefürchtet hatte; sei es, daß er früher gefaßte Pläne von selbst
fallen ließ, sei es, daß Rußland auf sie nicht eingehen wollte.
Nach der Mitte April zogen die russischen Truppen ab nach
Großpolen, und der russische Gesandte erklärte, daß sein Hof
sich in die Thronfolgefrage nicht mischen wolle, und es schien,
als der Reichstag am 27. April begann, daß in der ihm vor-
liegenden Hauptfrage, der Münzregulirung, die Partheien sich
verständigen würden. Allein bereits wenige Tage nach der
Eröffnung, noch vor der Wahl des Marschalls ward dennoch
der Reichstag und zwar auf eine ungewöhnliche, solenne Weise
zerrissen. Mehr als 40 Landboten, und unter ihnen Mit-
glieder der ersten Familien, unterzeichneten in Gegenwart der
beiden Kanzler, sowie der beiden Feldherren der Krone und
Lithauens ein Manifest gegen die Gültigkeit jedes Beschlusses,
weil der Reichstag ohne verhergehenden Beschluß des Senats
von der Krone allein berufen sei 2). Beide Partheien der

1) Benoit, Berichte vom 20. März, 1. u. 21. April 1761.
2) Desgl. vom 25. u. 29. April und 2. Mai. Das Manifest unter-
schrieben unter andern: Lubomirski, Straznik; Rzewuski, Pisarz; Ponia-
towski, Stolnik; Siemienski, referendarz; Adam Czartoryski, Humiecki,
Ossolinski, Malachowski, Mokranowski, Oskierka.

einſtimmung mit Rußland die Thronfolge des Kurprinzen durch
dieſen Reichstag wolle durchſetzen laſſen, und die Oppoſition
hegte, als Anfang April ſich ruſſiſche Truppen in der Nähe
von Warſchau zuſammenzogen, die lebhafteſte Beſorgniß, daß
es auf Gewaltſchritte abgeſehen ſei. Selbſt die Muthigſten er-
klärten dem preußiſchen Reſidenten, daß ſie nicht im Stande
ſein würden, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, weil ſie von
jeder auswärtigen Macht verlaſſen, von den Ruſſen unterdrückt
wären, welche ihnen das Meſſer an der Kehle hielten und, bei
den erſten Anzeichen eines Widerſtandes von Seiten der Pa-
trioten, dieſe alle „ecraſiren“ würden. Nur wenn der König
von Preußen ſolche Erhebung gegen die Ruſſen durch den Ein-
marſch einer ſeiner Armeen unterſtütze, könnte Polen gerettet
werden 1).

Allein der Hof trieb es nicht ſo weit, als die Oppoſition
gefürchtet hatte; ſei es, daß er früher gefaßte Pläne von ſelbſt
fallen ließ, ſei es, daß Rußland auf ſie nicht eingehen wollte.
Nach der Mitte April zogen die ruſſiſchen Truppen ab nach
Großpolen, und der ruſſiſche Geſandte erklärte, daß ſein Hof
ſich in die Thronfolgefrage nicht miſchen wolle, und es ſchien,
als der Reichstag am 27. April begann, daß in der ihm vor-
liegenden Hauptfrage, der Münzregulirung, die Partheien ſich
verſtändigen würden. Allein bereits wenige Tage nach der
Eröffnung, noch vor der Wahl des Marſchalls ward dennoch
der Reichstag und zwar auf eine ungewöhnliche, ſolenne Weiſe
zerriſſen. Mehr als 40 Landboten, und unter ihnen Mit-
glieder der erſten Familien, unterzeichneten in Gegenwart der
beiden Kanzler, ſowie der beiden Feldherren der Krone und
Lithauens ein Manifeſt gegen die Gültigkeit jedes Beſchluſſes,
weil der Reichstag ohne verhergehenden Beſchluß des Senats
von der Krone allein berufen ſei 2). Beide Partheien der

1) Benoit, Berichte vom 20. März, 1. u. 21. April 1761.
2) Desgl. vom 25. u. 29. April und 2. Mai. Das Manifeſt unter-
ſchrieben unter andern: Lubomirski, Straz̀nik; Rzewuski, Pisarz; Ponia-
towski, Stolnik; Siemienski, referendarz; Adam Czartoryski, Humiecki,
Ossolinski, Malachowski, Mokranowski, Oskierka.
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[140/0154] einſtimmung mit Rußland die Thronfolge des Kurprinzen durch dieſen Reichstag wolle durchſetzen laſſen, und die Oppoſition hegte, als Anfang April ſich ruſſiſche Truppen in der Nähe von Warſchau zuſammenzogen, die lebhafteſte Beſorgniß, daß es auf Gewaltſchritte abgeſehen ſei. Selbſt die Muthigſten er- klärten dem preußiſchen Reſidenten, daß ſie nicht im Stande ſein würden, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, weil ſie von jeder auswärtigen Macht verlaſſen, von den Ruſſen unterdrückt wären, welche ihnen das Meſſer an der Kehle hielten und, bei den erſten Anzeichen eines Widerſtandes von Seiten der Pa- trioten, dieſe alle „ecraſiren“ würden. Nur wenn der König von Preußen ſolche Erhebung gegen die Ruſſen durch den Ein- marſch einer ſeiner Armeen unterſtütze, könnte Polen gerettet werden 1). Allein der Hof trieb es nicht ſo weit, als die Oppoſition gefürchtet hatte; ſei es, daß er früher gefaßte Pläne von ſelbſt fallen ließ, ſei es, daß Rußland auf ſie nicht eingehen wollte. Nach der Mitte April zogen die ruſſiſchen Truppen ab nach Großpolen, und der ruſſiſche Geſandte erklärte, daß ſein Hof ſich in die Thronfolgefrage nicht miſchen wolle, und es ſchien, als der Reichstag am 27. April begann, daß in der ihm vor- liegenden Hauptfrage, der Münzregulirung, die Partheien ſich verſtändigen würden. Allein bereits wenige Tage nach der Eröffnung, noch vor der Wahl des Marſchalls ward dennoch der Reichstag und zwar auf eine ungewöhnliche, ſolenne Weiſe zerriſſen. Mehr als 40 Landboten, und unter ihnen Mit- glieder der erſten Familien, unterzeichneten in Gegenwart der beiden Kanzler, ſowie der beiden Feldherren der Krone und Lithauens ein Manifeſt gegen die Gültigkeit jedes Beſchluſſes, weil der Reichstag ohne verhergehenden Beſchluß des Senats von der Krone allein berufen ſei 2). Beide Partheien der 1) Benoit, Berichte vom 20. März, 1. u. 21. April 1761. 2) Desgl. vom 25. u. 29. April und 2. Mai. Das Manifeſt unter- ſchrieben unter andern: Lubomirski, Straz̀nik; Rzewuski, Pisarz; Ponia- towski, Stolnik; Siemienski, referendarz; Adam Czartoryski, Humiecki, Ossolinski, Malachowski, Mokranowski, Oskierka.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/154>, abgerufen am 21.11.2024.