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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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lichste Verlegenheit setzen mußte. Bereits Peter III. hatte neben
den andern Verbannten, die er zurückkommen ließ, auch den
Herzog Ernst Johann v. Biron nicht nur von neuem zu
Gnaden wieder angenommen, sondern ihn auch als den recht-
mäßigen Herzog von Kurland anerkannt, nicht in der Absicht,
ihn in die Regierung dort wieder einzusetzen, sondern um von
ihm gegen anderweitige Schadloshaltung eine Verzichtleistung
zu Gunsten des Herzogs Georg Ludwig von Holstein-Gottorp
zu erhalten. Für diesen Plan ließ er sich in dem Alliance-
tractat, den er am 8. Juni mit Friedrich II. abschloß, von
diesem das Versprechen geben, jenes Abkommen zu fördern und
Biron in die Standesherrschaft Wartenberg in Schlesien wieder
einzulassen. In dieser Lage befand sich die kurländische Sache
noch, als Katharina die Regierung übernahm. Sie am wenigsten
war gewillt, den Einfluß, welchen Rußland seit Peter d. Gr.
dort geübt hatte, zu Gunsten der sächsischen Dynastie aufzu-
geben, und da der Herzog von Holstein nach dem Tode
Peters Rußland verließ, verhandelte sie um so mehr mit Biron
über die Bedingungen seiner Wiedereinsetzung, als es in Kur-
land selbst eine Parthei gab, welche diese wünschte 1). Als
ersten Schritt zur Ausführung forderte sie in Kurland Winter-
quartiere für ihre aus Preußen heimkehrenden Truppen, -- eine
Forderung, welche Brühl sofort auf den Gedanken brachte, daß
hinter ihr noch eine andere, weitergehende Absicht liege 2).
Herzog Karl lehnte die Forderung, weil dazu die Genehmigung
seines Vaters des Königs nothwendig sei, vorläufig ab; allein
da Katharina gleich darauf die Verhandlung mit Biron ge-
schlossen hatte (5. August), richtete sie an König August selbst
die Aufforderung, er möge seinen Sohn zur Verzichtleistung
bewegen, wogegen sie die Räumung Sachsens von den Preußen
vermitteln wolle, um welche sie sich wirklich bemühte (8./19. August).
Vergebens berief sich August darauf, daß er und die Republik
allein und ausschließlich über die Rechtsfrage zu entscheiden

1) Kruse (Kurland unter den Herzögen. Mitau 1833. II, 71--72)
nennt als solche die Medem, Sacken, Keyserling, Saß u. a.
2) v. Eelking, Corresp., S. 417.

lichſte Verlegenheit ſetzen mußte. Bereits Peter III. hatte neben
den andern Verbannten, die er zurückkommen ließ, auch den
Herzog Ernſt Johann v. Biron nicht nur von neuem zu
Gnaden wieder angenommen, ſondern ihn auch als den recht-
mäßigen Herzog von Kurland anerkannt, nicht in der Abſicht,
ihn in die Regierung dort wieder einzuſetzen, ſondern um von
ihm gegen anderweitige Schadloshaltung eine Verzichtleiſtung
zu Gunſten des Herzogs Georg Ludwig von Holſtein-Gottorp
zu erhalten. Für dieſen Plan ließ er ſich in dem Alliance-
tractat, den er am 8. Juni mit Friedrich II. abſchloß, von
dieſem das Verſprechen geben, jenes Abkommen zu fördern und
Biron in die Standesherrſchaft Wartenberg in Schleſien wieder
einzulaſſen. In dieſer Lage befand ſich die kurländiſche Sache
noch, als Katharina die Regierung übernahm. Sie am wenigſten
war gewillt, den Einfluß, welchen Rußland ſeit Peter d. Gr.
dort geübt hatte, zu Gunſten der ſächſiſchen Dynaſtie aufzu-
geben, und da der Herzog von Holſtein nach dem Tode
Peters Rußland verließ, verhandelte ſie um ſo mehr mit Biron
über die Bedingungen ſeiner Wiedereinſetzung, als es in Kur-
land ſelbſt eine Parthei gab, welche dieſe wünſchte 1). Als
erſten Schritt zur Ausführung forderte ſie in Kurland Winter-
quartiere für ihre aus Preußen heimkehrenden Truppen, — eine
Forderung, welche Brühl ſofort auf den Gedanken brachte, daß
hinter ihr noch eine andere, weitergehende Abſicht liege 2).
Herzog Karl lehnte die Forderung, weil dazu die Genehmigung
ſeines Vaters des Königs nothwendig ſei, vorläufig ab; allein
da Katharina gleich darauf die Verhandlung mit Biron ge-
ſchloſſen hatte (5. Auguſt), richtete ſie an König Auguſt ſelbſt
die Aufforderung, er möge ſeinen Sohn zur Verzichtleiſtung
bewegen, wogegen ſie die Räumung Sachſens von den Preußen
vermitteln wolle, um welche ſie ſich wirklich bemühte (8./19. Auguſt).
Vergebens berief ſich Auguſt darauf, daß er und die Republik
allein und ausſchließlich über die Rechtsfrage zu entſcheiden

1) Kruſe (Kurland unter den Herzögen. Mitau 1833. II, 71—72)
nennt als ſolche die Medem, Sacken, Keyſerling, Saß u. a.
2) v. Eelking, Correſp., S. 417.
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[155/0169] lichſte Verlegenheit ſetzen mußte. Bereits Peter III. hatte neben den andern Verbannten, die er zurückkommen ließ, auch den Herzog Ernſt Johann v. Biron nicht nur von neuem zu Gnaden wieder angenommen, ſondern ihn auch als den recht- mäßigen Herzog von Kurland anerkannt, nicht in der Abſicht, ihn in die Regierung dort wieder einzuſetzen, ſondern um von ihm gegen anderweitige Schadloshaltung eine Verzichtleiſtung zu Gunſten des Herzogs Georg Ludwig von Holſtein-Gottorp zu erhalten. Für dieſen Plan ließ er ſich in dem Alliance- tractat, den er am 8. Juni mit Friedrich II. abſchloß, von dieſem das Verſprechen geben, jenes Abkommen zu fördern und Biron in die Standesherrſchaft Wartenberg in Schleſien wieder einzulaſſen. In dieſer Lage befand ſich die kurländiſche Sache noch, als Katharina die Regierung übernahm. Sie am wenigſten war gewillt, den Einfluß, welchen Rußland ſeit Peter d. Gr. dort geübt hatte, zu Gunſten der ſächſiſchen Dynaſtie aufzu- geben, und da der Herzog von Holſtein nach dem Tode Peters Rußland verließ, verhandelte ſie um ſo mehr mit Biron über die Bedingungen ſeiner Wiedereinſetzung, als es in Kur- land ſelbſt eine Parthei gab, welche dieſe wünſchte 1). Als erſten Schritt zur Ausführung forderte ſie in Kurland Winter- quartiere für ihre aus Preußen heimkehrenden Truppen, — eine Forderung, welche Brühl ſofort auf den Gedanken brachte, daß hinter ihr noch eine andere, weitergehende Abſicht liege 2). Herzog Karl lehnte die Forderung, weil dazu die Genehmigung ſeines Vaters des Königs nothwendig ſei, vorläufig ab; allein da Katharina gleich darauf die Verhandlung mit Biron ge- ſchloſſen hatte (5. Auguſt), richtete ſie an König Auguſt ſelbſt die Aufforderung, er möge ſeinen Sohn zur Verzichtleiſtung bewegen, wogegen ſie die Räumung Sachſens von den Preußen vermitteln wolle, um welche ſie ſich wirklich bemühte (8./19. Auguſt). Vergebens berief ſich Auguſt darauf, daß er und die Republik allein und ausſchließlich über die Rechtsfrage zu entſcheiden 1) Kruſe (Kurland unter den Herzögen. Mitau 1833. II, 71—72) nennt als ſolche die Medem, Sacken, Keyſerling, Saß u. a. 2) v. Eelking, Correſp., S. 417.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/169>, abgerufen am 18.05.2024.