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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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es so lange bleiben, als sie ihre Finanzen geregelt habe, was
nicht das Werk eines Augenblickes sei. Auch ihre Armee könne
in diesem Jahre das Feld nicht halten und sie habe noch keine
Alliance, an der sie erst arbeite. Sie wolle nicht weiter fort-
gerissen werden, als ihr Interesse es verlange, und befehle sie
daher aufs ernstlichste, den Ungestüm ihrer Freunde zu mäßigen.
Sie wolle keinen offenen Bruch, habe ihre Minister beauftragt,
mit dem sächsischen in Verhandlung zu treten, und wolle da-
her, daß ihre Regimenter ihren Aufenthalt so viel wie möglich
abkürzten, und in ihre Quartiere ohne viel Aufsehen zurück-
kehrten 1).

Wie aufrichtig sich aber auch Katharina in diesen Depeschen
ausgesprochen zu haben scheint, eines Motivs, welches zu
ihrem Entschluß wesentlich mitgewirkt hat, gedenkt sie nur mit
dem kurzen Wort: "Ich will keine Rußland schädliche Neuerung
zugeben." Es mag dahingestellt bleiben, in wie weit sie
von den Reformideen der Czartoryski unterrichtet war, aber
so viel wußte sie, daß jene die Conföderation als einen Weg
zur Reform der Mißbräuche betrieben. Alle Welt in Polen
sprach öffentlich davon 2); noch vor wenigen Monaten hatten
die Czartoryski ihr selbst dies mitgetheilt und sie hatte seitdem
noch keinen Einspruch dagegen erhoben. Übersahen sie und
ihre Minister anfangs die Tragweite der Frage? Daß Key-
serling den Reformplänen der Czartoryski bis auf einen ge-
wissen Grad mindestens nicht abgeneigt war, ist sicher, und
ebenso sicher ist, daß Panin noch nach dem Tode August III.
einer sich in gewissen Schranken haltenden Reform in Polen
das Wort geredet hat 3).

Es scheint in der That, daß die Kaiserin sowohl wie ihre

1) Gedruckt bei Schmitt, S. 356--359.
2) Benoit, Depesche vom 8. Juni: "qu'au surplus une confoederation
etoit le seul moyen par lequel ils puissent refondre leur etat et en
faire une puissance"
.
3) S. neben andern Benoits Bericht vom 25. Juni 1763 und
Solms' Bericht vom 18. September 1764 bei Häusser, S. 11 und
S. 119.

es ſo lange bleiben, als ſie ihre Finanzen geregelt habe, was
nicht das Werk eines Augenblickes ſei. Auch ihre Armee könne
in dieſem Jahre das Feld nicht halten und ſie habe noch keine
Alliance, an der ſie erſt arbeite. Sie wolle nicht weiter fort-
geriſſen werden, als ihr Intereſſe es verlange, und befehle ſie
daher aufs ernſtlichſte, den Ungeſtüm ihrer Freunde zu mäßigen.
Sie wolle keinen offenen Bruch, habe ihre Miniſter beauftragt,
mit dem ſächſiſchen in Verhandlung zu treten, und wolle da-
her, daß ihre Regimenter ihren Aufenthalt ſo viel wie möglich
abkürzten, und in ihre Quartiere ohne viel Aufſehen zurück-
kehrten 1).

Wie aufrichtig ſich aber auch Katharina in dieſen Depeſchen
ausgeſprochen zu haben ſcheint, eines Motivs, welches zu
ihrem Entſchluß weſentlich mitgewirkt hat, gedenkt ſie nur mit
dem kurzen Wort: „Ich will keine Rußland ſchädliche Neuerung
zugeben.“ Es mag dahingeſtellt bleiben, in wie weit ſie
von den Reformideen der Czartoryski unterrichtet war, aber
ſo viel wußte ſie, daß jene die Conföderation als einen Weg
zur Reform der Mißbräuche betrieben. Alle Welt in Polen
ſprach öffentlich davon 2); noch vor wenigen Monaten hatten
die Czartoryski ihr ſelbſt dies mitgetheilt und ſie hatte ſeitdem
noch keinen Einſpruch dagegen erhoben. Überſahen ſie und
ihre Miniſter anfangs die Tragweite der Frage? Daß Key-
ſerling den Reformplänen der Czartoryski bis auf einen ge-
wiſſen Grad mindeſtens nicht abgeneigt war, iſt ſicher, und
ebenſo ſicher iſt, daß Panin noch nach dem Tode Auguſt III.
einer ſich in gewiſſen Schranken haltenden Reform in Polen
das Wort geredet hat 3).

Es ſcheint in der That, daß die Kaiſerin ſowohl wie ihre

1) Gedruckt bei Schmitt, S. 356—359.
2) Benoit, Depeſche vom 8. Juni: „qu’au surplus une confoederation
étoit le seul moyen par lequel ils puissent refondre leur état et en
faire une puissance“
.
3) S. neben andern Benoits Bericht vom 25. Juni 1763 und
Solms’ Bericht vom 18. September 1764 bei Häuſſer, S. 11 und
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[192/0206] es ſo lange bleiben, als ſie ihre Finanzen geregelt habe, was nicht das Werk eines Augenblickes ſei. Auch ihre Armee könne in dieſem Jahre das Feld nicht halten und ſie habe noch keine Alliance, an der ſie erſt arbeite. Sie wolle nicht weiter fort- geriſſen werden, als ihr Intereſſe es verlange, und befehle ſie daher aufs ernſtlichſte, den Ungeſtüm ihrer Freunde zu mäßigen. Sie wolle keinen offenen Bruch, habe ihre Miniſter beauftragt, mit dem ſächſiſchen in Verhandlung zu treten, und wolle da- her, daß ihre Regimenter ihren Aufenthalt ſo viel wie möglich abkürzten, und in ihre Quartiere ohne viel Aufſehen zurück- kehrten 1). Wie aufrichtig ſich aber auch Katharina in dieſen Depeſchen ausgeſprochen zu haben ſcheint, eines Motivs, welches zu ihrem Entſchluß weſentlich mitgewirkt hat, gedenkt ſie nur mit dem kurzen Wort: „Ich will keine Rußland ſchädliche Neuerung zugeben.“ Es mag dahingeſtellt bleiben, in wie weit ſie von den Reformideen der Czartoryski unterrichtet war, aber ſo viel wußte ſie, daß jene die Conföderation als einen Weg zur Reform der Mißbräuche betrieben. Alle Welt in Polen ſprach öffentlich davon 2); noch vor wenigen Monaten hatten die Czartoryski ihr ſelbſt dies mitgetheilt und ſie hatte ſeitdem noch keinen Einſpruch dagegen erhoben. Überſahen ſie und ihre Miniſter anfangs die Tragweite der Frage? Daß Key- ſerling den Reformplänen der Czartoryski bis auf einen ge- wiſſen Grad mindeſtens nicht abgeneigt war, iſt ſicher, und ebenſo ſicher iſt, daß Panin noch nach dem Tode Auguſt III. einer ſich in gewiſſen Schranken haltenden Reform in Polen das Wort geredet hat 3). Es ſcheint in der That, daß die Kaiſerin ſowohl wie ihre 1) Gedruckt bei Schmitt, S. 356—359. 2) Benoit, Depeſche vom 8. Juni: „qu’au surplus une confoederation étoit le seul moyen par lequel ils puissent refondre leur état et en faire une puissance“. 3) S. neben andern Benoits Bericht vom 25. Juni 1763 und Solms’ Bericht vom 18. September 1764 bei Häuſſer, S. 11 und S. 119.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/206>, abgerufen am 23.11.2024.