Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.öffentlichem Gut, gewaltsamen Raub an dem Eigenthum Es waren jedoch diese politisch-socialen Verhältnisse zwischen 1) Diese Characteristik habe ich fast wörtlich den Pamietniki
Karpinskiego (Poznan 1844) entlehnt, welcher eine ganze Reihe einzelner concreter Beispiele von dem gewaltthätigen Ubermuth der Herren und der Dienstbarkeit und Unterwürfigkeit der Schlachta erzählt. Seine Mittheilungen sind keineswegs etwa die einzigen der Art; ähnliche und gleiche findet man in fast allen Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrhun- dert, und eben so allgemein kehren in ihnen fast einstimmig die bittersten Klagen über das Treiben der "Herren" wieder, welchen nicht selten die Hauptschuld an dem Verfall und Untergang Polens zugeschrieben wird. Meiner Meinung nach nicht ganz mit Recht, denn die Schlachta trieb, nach einem treffenden Ausdruck, wenn ich nicht irre, Kladzko's, das Ge- schäft en detail, was die Herren en gros trieben. öffentlichem Gut, gewaltſamen Raub an dem Eigenthum Es waren jedoch dieſe politiſch-ſocialen Verhältniſſe zwiſchen 1) Dieſe Characteriſtik habe ich faſt wörtlich den Pamiętniki
Karpinskiego (Poznan 1844) entlehnt, welcher eine ganze Reihe einzelner concreter Beiſpiele von dem gewaltthätigen Ubermuth der Herren und der Dienſtbarkeit und Unterwürfigkeit der Schlachta erzählt. Seine Mittheilungen ſind keineswegs etwa die einzigen der Art; ähnliche und gleiche findet man in faſt allen Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrhun- dert, und eben ſo allgemein kehren in ihnen faſt einſtimmig die bitterſten Klagen über das Treiben der „Herren“ wieder, welchen nicht ſelten die Hauptſchuld an dem Verfall und Untergang Polens zugeſchrieben wird. Meiner Meinung nach nicht ganz mit Recht, denn die Schlachta trieb, nach einem treffenden Ausdruck, wenn ich nicht irre, Kladzko’s, das Ge- ſchäft en detail, was die Herren en gros trieben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="10"/> öffentlichem Gut, gewaltſamen Raub an dem Eigenthum<lb/> ſchwächerer Nachbarn für nichts zu achten: dieſe bot zu allen<lb/> Gewaltthaten und Verbrechen die dienſtbare Hand, und übte<lb/> im kleinen, ſo weit ſie konnte, was jene im großen <note place="foot" n="1)">Dieſe Characteriſtik habe ich faſt wörtlich den <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Pamiętniki<lb/> Karpinskiego</hi></hi> (<hi rendition="#aq">Poznan</hi> 1844) entlehnt, welcher eine ganze Reihe<lb/> einzelner concreter Beiſpiele von dem gewaltthätigen Ubermuth der Herren<lb/> und der Dienſtbarkeit und Unterwürfigkeit der Schlachta erzählt. Seine<lb/> Mittheilungen ſind keineswegs etwa die einzigen der Art; ähnliche und<lb/> gleiche findet man in faſt allen Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrhun-<lb/> dert, und eben ſo allgemein kehren in ihnen faſt einſtimmig die bitterſten<lb/> Klagen über das Treiben der „Herren“ wieder, welchen nicht ſelten die<lb/> Hauptſchuld an dem Verfall und Untergang Polens zugeſchrieben wird.<lb/> Meiner Meinung nach nicht ganz mit Recht, denn die Schlachta trieb,<lb/> nach einem treffenden Ausdruck, wenn ich nicht irre, Kladzko’s, das Ge-<lb/> ſchäft <hi rendition="#aq">en detail,</hi> was die Herren <hi rendition="#aq">en gros</hi> trieben.</note>. Ge-<lb/> wiß, es fehlte weder unter den „Herren“ noch unter der<lb/> Schlachta an ſolchen, die ſich entweder völlig rein, oder doch<lb/> von den äußerſten Auswüchſen dieſer Verderbniß frei erhielten:<lb/> namentlich unter dem mittleren Adel gab es Familien, die in<lb/> alter, man möchte faſt ſagen, patriarchaliſcher Einfachheit, Zucht<lb/> und Sitte lebten, aber ſie hielten ſich zurückgezogen und hatten<lb/> keinen Einfluß auf das öffentliche Leben. In dieſem führte<lb/> weit überwiegend die Selbſtſucht die Herrſchaft, mit all den<lb/> Laſtern im Bunde, deren fruchtbare Mutter ſie iſt.</p><lb/> <p>Es waren jedoch dieſe politiſch-ſocialen Verhältniſſe zwiſchen<lb/> Krone, Herrn und Adel nicht allein, welche die allgemeine<lb/> Entſittlichung der Nation herbeiführten: eben ſo ſehr und in<lb/> ſteter natürlicher Wechſelwirkung mit jenen Verhältniſſen<lb/> wirkte darauf die Richtung, der Character ein, welchen das<lb/> nationale Leben überhaupt ſeit dem 17. Jahrhundert je länger<lb/> je mehr entwickelte. Nach den gewaltigen Kämpfen und Schick-<lb/> ſalswechſeln, welche die Nation im 17. Jahrhundert in dem<lb/> Ringen mit dem Proteſtantismus wie in den Kriegen mit<lb/> den Schweden, Ruſſen und Koſacken durchgemacht hatte, trat<lb/> in ihr eine geiſtige Abſpannung ein, deren Symptome bereits<lb/> während des nordiſchen Krieges ſich zeigen. Seitdem ward ihr<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0024]
öffentlichem Gut, gewaltſamen Raub an dem Eigenthum
ſchwächerer Nachbarn für nichts zu achten: dieſe bot zu allen
Gewaltthaten und Verbrechen die dienſtbare Hand, und übte
im kleinen, ſo weit ſie konnte, was jene im großen 1). Ge-
wiß, es fehlte weder unter den „Herren“ noch unter der
Schlachta an ſolchen, die ſich entweder völlig rein, oder doch
von den äußerſten Auswüchſen dieſer Verderbniß frei erhielten:
namentlich unter dem mittleren Adel gab es Familien, die in
alter, man möchte faſt ſagen, patriarchaliſcher Einfachheit, Zucht
und Sitte lebten, aber ſie hielten ſich zurückgezogen und hatten
keinen Einfluß auf das öffentliche Leben. In dieſem führte
weit überwiegend die Selbſtſucht die Herrſchaft, mit all den
Laſtern im Bunde, deren fruchtbare Mutter ſie iſt.
Es waren jedoch dieſe politiſch-ſocialen Verhältniſſe zwiſchen
Krone, Herrn und Adel nicht allein, welche die allgemeine
Entſittlichung der Nation herbeiführten: eben ſo ſehr und in
ſteter natürlicher Wechſelwirkung mit jenen Verhältniſſen
wirkte darauf die Richtung, der Character ein, welchen das
nationale Leben überhaupt ſeit dem 17. Jahrhundert je länger
je mehr entwickelte. Nach den gewaltigen Kämpfen und Schick-
ſalswechſeln, welche die Nation im 17. Jahrhundert in dem
Ringen mit dem Proteſtantismus wie in den Kriegen mit
den Schweden, Ruſſen und Koſacken durchgemacht hatte, trat
in ihr eine geiſtige Abſpannung ein, deren Symptome bereits
während des nordiſchen Krieges ſich zeigen. Seitdem ward ihr
1) Dieſe Characteriſtik habe ich faſt wörtlich den Pamiętniki
Karpinskiego (Poznan 1844) entlehnt, welcher eine ganze Reihe
einzelner concreter Beiſpiele von dem gewaltthätigen Ubermuth der Herren
und der Dienſtbarkeit und Unterwürfigkeit der Schlachta erzählt. Seine
Mittheilungen ſind keineswegs etwa die einzigen der Art; ähnliche und
gleiche findet man in faſt allen Denkwürdigkeiten aus dem 18. Jahrhun-
dert, und eben ſo allgemein kehren in ihnen faſt einſtimmig die bitterſten
Klagen über das Treiben der „Herren“ wieder, welchen nicht ſelten die
Hauptſchuld an dem Verfall und Untergang Polens zugeſchrieben wird.
Meiner Meinung nach nicht ganz mit Recht, denn die Schlachta trieb,
nach einem treffenden Ausdruck, wenn ich nicht irre, Kladzko’s, das Ge-
ſchäft en detail, was die Herren en gros trieben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |