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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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der seinerseits, eben weil er ihrer Gewalt und Willkühr in der
Regel schutzlos preisgegeben war und ihrer Protection nicht
entbehren konnte, sich ihnen gegenüber duldend, demüthig und
oft genug selbst kriechend verhielt. Die bekannten im Verkehr
mit den "Herren Brüdern" gebräuchlichen Redeformen, wie: "ich
falle dem Herrn zu Füßen", "ich küsse des Herrn Füße", "ich
bin ein unwürdiger Fußschemel des Herrn", characterisiren
treffend das ganze Verhältniß, in welchem die "Herren" und
der Massenadel trotz aller so gerühmten Rechtsgleichheit zu
einander standen 1).

Solche Verhältnisse, von Generation zu Generation sich
vererbend, konnten aber nicht anders als seelenverderblich sowohl
auf die wirken, welche die Macht hatten und übten, als auch
auf die, welche sich in der einen oder der andern Weise mit
jenen zu stellen sich abzufinden gezwungen waren. Und da
das System der Protection sich, wie gesagt, durch alle Schichten
und durch alle Verhältnisse der Gesellschaft und des Lebens
hindurchzog, entsittlichte es auch je länger je mehr die gesamte
Nation. Der Sinn und die Achtung vor Recht und Gesetz
verschwanden fast gänzlich. Die "Herren" konnten sich alles
erlauben, und erlaubten sich alles; und die Schlachta war für
alles, was die "Herren" nur wünschten und wollten, zu haben.
Jene steigerten nicht selten ihren Übermuth und ihre Willkühr
bis zur Verachtung aller göttlichen und menschlichen Rechte
und gewöhnten sich daran Mord, Meineid, Diebstahl an

1) Vgl. Kajetan Kozmian, Pamietniki I, 156: "Die Freiheit,
Einfluß und Macht gehörten den ,Herren' allein: der kleinere und ärmere
Adel diente, kroch und erniedrigte sich." Staszic, Uwagi, p. 190:
"Kein Bürger und kein Bauer kennt in irgend einer Monarchie die niedrige
Unterwürfigkeit (podlosc), an welche der polnische kleine Edelmann in der
freien Republik gewöhnt ist." -- Eine Flugschrift aus der Zeit des vier-
jährigen Reichstages (1788--92) sagt sehr characteristisch, die Starosten
sähen auf den kleinen Edelmann herab, wie die Cedern des Libanon auf
das kleine Gesträuch und Gestrüpp. Vgl. Pilat im Przeglad Polski
1871, Novbr., p.
267. Diese höchst interessanten und lehrreichen Artikel
"Über die polit. Literatur der Polen während des vierjährigen Reichs-
tages" sind als besondere Schrift in Krakau 1872 erschienen.

der ſeinerſeits, eben weil er ihrer Gewalt und Willkühr in der
Regel ſchutzlos preisgegeben war und ihrer Protection nicht
entbehren konnte, ſich ihnen gegenüber duldend, demüthig und
oft genug ſelbſt kriechend verhielt. Die bekannten im Verkehr
mit den „Herren Brüdern“ gebräuchlichen Redeformen, wie: „ich
falle dem Herrn zu Füßen“, „ich küſſe des Herrn Füße“, „ich
bin ein unwürdiger Fußſchemel des Herrn“, characteriſiren
treffend das ganze Verhältniß, in welchem die „Herren“ und
der Maſſenadel trotz aller ſo gerühmten Rechtsgleichheit zu
einander ſtanden 1).

Solche Verhältniſſe, von Generation zu Generation ſich
vererbend, konnten aber nicht anders als ſeelenverderblich ſowohl
auf die wirken, welche die Macht hatten und übten, als auch
auf die, welche ſich in der einen oder der andern Weiſe mit
jenen zu ſtellen ſich abzufinden gezwungen waren. Und da
das Syſtem der Protection ſich, wie geſagt, durch alle Schichten
und durch alle Verhältniſſe der Geſellſchaft und des Lebens
hindurchzog, entſittlichte es auch je länger je mehr die geſamte
Nation. Der Sinn und die Achtung vor Recht und Geſetz
verſchwanden faſt gänzlich. Die „Herren“ konnten ſich alles
erlauben, und erlaubten ſich alles; und die Schlachta war für
alles, was die „Herren“ nur wünſchten und wollten, zu haben.
Jene ſteigerten nicht ſelten ihren Übermuth und ihre Willkühr
bis zur Verachtung aller göttlichen und menſchlichen Rechte
und gewöhnten ſich daran Mord, Meineid, Diebſtahl an

1) Vgl. Kajetan Koz̀mian, Pamiętniki I, 156: „Die Freiheit,
Einfluß und Macht gehörten den ‚Herren‘ allein: der kleinere und ärmere
Adel diente, kroch und erniedrigte ſich.“ Staszic, Uwagi, p. 190:
„Kein Bürger und kein Bauer kennt in irgend einer Monarchie die niedrige
Unterwürfigkeit (podlość), an welche der polniſche kleine Edelmann in der
freien Republik gewöhnt iſt.“ — Eine Flugſchrift aus der Zeit des vier-
jährigen Reichstages (1788—92) ſagt ſehr characteriſtiſch, die Staroſten
ſähen auf den kleinen Edelmann herab, wie die Cedern des Libanon auf
das kleine Geſträuch und Geſtrüpp. Vgl. Pilat im Przegląd Polski
1871, Novbr., p.
267. Dieſe höchſt intereſſanten und lehrreichen Artikel
„Über die polit. Literatur der Polen während des vierjährigen Reichs-
tages“ ſind als beſondere Schrift in Krakau 1872 erſchienen.
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[9/0023] der ſeinerſeits, eben weil er ihrer Gewalt und Willkühr in der Regel ſchutzlos preisgegeben war und ihrer Protection nicht entbehren konnte, ſich ihnen gegenüber duldend, demüthig und oft genug ſelbſt kriechend verhielt. Die bekannten im Verkehr mit den „Herren Brüdern“ gebräuchlichen Redeformen, wie: „ich falle dem Herrn zu Füßen“, „ich küſſe des Herrn Füße“, „ich bin ein unwürdiger Fußſchemel des Herrn“, characteriſiren treffend das ganze Verhältniß, in welchem die „Herren“ und der Maſſenadel trotz aller ſo gerühmten Rechtsgleichheit zu einander ſtanden 1). Solche Verhältniſſe, von Generation zu Generation ſich vererbend, konnten aber nicht anders als ſeelenverderblich ſowohl auf die wirken, welche die Macht hatten und übten, als auch auf die, welche ſich in der einen oder der andern Weiſe mit jenen zu ſtellen ſich abzufinden gezwungen waren. Und da das Syſtem der Protection ſich, wie geſagt, durch alle Schichten und durch alle Verhältniſſe der Geſellſchaft und des Lebens hindurchzog, entſittlichte es auch je länger je mehr die geſamte Nation. Der Sinn und die Achtung vor Recht und Geſetz verſchwanden faſt gänzlich. Die „Herren“ konnten ſich alles erlauben, und erlaubten ſich alles; und die Schlachta war für alles, was die „Herren“ nur wünſchten und wollten, zu haben. Jene ſteigerten nicht ſelten ihren Übermuth und ihre Willkühr bis zur Verachtung aller göttlichen und menſchlichen Rechte und gewöhnten ſich daran Mord, Meineid, Diebſtahl an 1) Vgl. Kajetan Koz̀mian, Pamiętniki I, 156: „Die Freiheit, Einfluß und Macht gehörten den ‚Herren‘ allein: der kleinere und ärmere Adel diente, kroch und erniedrigte ſich.“ Staszic, Uwagi, p. 190: „Kein Bürger und kein Bauer kennt in irgend einer Monarchie die niedrige Unterwürfigkeit (podlość), an welche der polniſche kleine Edelmann in der freien Republik gewöhnt iſt.“ — Eine Flugſchrift aus der Zeit des vier- jährigen Reichstages (1788—92) ſagt ſehr characteriſtiſch, die Staroſten ſähen auf den kleinen Edelmann herab, wie die Cedern des Libanon auf das kleine Geſträuch und Geſtrüpp. Vgl. Pilat im Przegląd Polski 1871, Novbr., p. 267. Dieſe höchſt intereſſanten und lehrreichen Artikel „Über die polit. Literatur der Polen während des vierjährigen Reichs- tages“ ſind als beſondere Schrift in Krakau 1872 erſchienen.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/23>, abgerufen am 23.11.2024.