Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.einem Tage zum andern; die Bauern in fürchterlicher Ver- In der That und Wahrheit aber hatte diese Republik, Mit einem Wort: die Republik war den Interessen, In- einem Tage zum andern; die Bauern in fürchterlicher Ver- In der That und Wahrheit aber hatte dieſe Republik, Mit einem Wort: die Republik war den Intereſſen, In- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038" n="24"/> einem Tage zum andern; die Bauern in fürchterlicher Ver-<lb/> ſunkenheit, Unterdrückung und Noth; die Städte in Trümmern<lb/> und verarmt, ohne Gewerbe und Handel; Erziehung und Un-<lb/> terricht in der gröbſten Vernachläßigung; Schulen und Uni-<lb/> verſitäten in den Händen einer unwiſſenden weltlichen und<lb/> Ordens-Geiſtlichkeit, welche ſich zu keiner lebendigen Theil-<lb/> nahme an dem Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Kennt-<lb/> niſſe ihrer Zeit zu erheben vermochte; das religiöſe Leben in<lb/> äußeren Formen und bigotter Devotion erſtarrt, und endlich<lb/> bei alledem der naive Glaube, daß jeder polniſche Edelmann<lb/> der freiſte Mann auf der Welt ſei, und die Republik durch<lb/> ihre Anarchie beſtehe.</p><lb/> <p>In der That und Wahrheit aber hatte dieſe Republik,<lb/> ſeitdem das Zerreißen der Reichstage herkömmlich geworden,<lb/> keine Macht mehr, über ſich ſelbſt zu beſtimmen, einen Willen<lb/> zu haben. Sie hatte factiſch ſo gut wie keine Geſetzgebung,<lb/> keine Verwaltung und Regierung mehr. Ihre Finanzen lagen<lb/> in der tiefſten Unordnung, denn niemand nahm Anſtoß daran,<lb/> ſie um die Steuern zu betrügen, und die Schatzmeiſter unter-<lb/> lagen, da die Reichstage, welchen allein ſie Rechnung zu legen<lb/> verpflichtet waren, in der Regel zerriſſen wurden, keiner Con-<lb/> trolle. Die kleine Armee, oft genug unbezahlt, war eben des-<lb/> halb ohne Zucht, ohne Übung, in halber Auflöſung; die Ge-<lb/> richte eine Verſpottung jeder Gerechtigkeit. An der Stelle<lb/> von Recht und Pflicht herrſchten Willkühr und Gewalt in<lb/> allen Schichten und Sphären des Lebens, und den Schutz,<lb/> welchen der Staat allen gleich gewähren ſollte, ſuchten und<lb/> fanden die Einen in der eignen Familienmacht und ihrem<lb/> Reichthum, die Andern in der Dienſtbarkeit bei jenen und in<lb/> deren Protection.</p><lb/> <p>Mit einem Wort: die Republik war den Intereſſen, In-<lb/> triguen und Partheikämpfen ihrer großen „Herren“ und der<lb/> Nachbarmächte widerſtandslos dahingegeben; denn an die letztern<lb/> ſich anzuſchließen, um deren Schutz und Unterſtützung gegen<lb/> ihre Gegner und ihren König zu bitten und zu buhlen, von<lb/> ihnen Orden und Penſionen zu nehmen, waren die „Herren“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [24/0038]
einem Tage zum andern; die Bauern in fürchterlicher Ver-
ſunkenheit, Unterdrückung und Noth; die Städte in Trümmern
und verarmt, ohne Gewerbe und Handel; Erziehung und Un-
terricht in der gröbſten Vernachläßigung; Schulen und Uni-
verſitäten in den Händen einer unwiſſenden weltlichen und
Ordens-Geiſtlichkeit, welche ſich zu keiner lebendigen Theil-
nahme an dem Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Kennt-
niſſe ihrer Zeit zu erheben vermochte; das religiöſe Leben in
äußeren Formen und bigotter Devotion erſtarrt, und endlich
bei alledem der naive Glaube, daß jeder polniſche Edelmann
der freiſte Mann auf der Welt ſei, und die Republik durch
ihre Anarchie beſtehe.
In der That und Wahrheit aber hatte dieſe Republik,
ſeitdem das Zerreißen der Reichstage herkömmlich geworden,
keine Macht mehr, über ſich ſelbſt zu beſtimmen, einen Willen
zu haben. Sie hatte factiſch ſo gut wie keine Geſetzgebung,
keine Verwaltung und Regierung mehr. Ihre Finanzen lagen
in der tiefſten Unordnung, denn niemand nahm Anſtoß daran,
ſie um die Steuern zu betrügen, und die Schatzmeiſter unter-
lagen, da die Reichstage, welchen allein ſie Rechnung zu legen
verpflichtet waren, in der Regel zerriſſen wurden, keiner Con-
trolle. Die kleine Armee, oft genug unbezahlt, war eben des-
halb ohne Zucht, ohne Übung, in halber Auflöſung; die Ge-
richte eine Verſpottung jeder Gerechtigkeit. An der Stelle
von Recht und Pflicht herrſchten Willkühr und Gewalt in
allen Schichten und Sphären des Lebens, und den Schutz,
welchen der Staat allen gleich gewähren ſollte, ſuchten und
fanden die Einen in der eignen Familienmacht und ihrem
Reichthum, die Andern in der Dienſtbarkeit bei jenen und in
deren Protection.
Mit einem Wort: die Republik war den Intereſſen, In-
triguen und Partheikämpfen ihrer großen „Herren“ und der
Nachbarmächte widerſtandslos dahingegeben; denn an die letztern
ſich anzuſchließen, um deren Schutz und Unterſtützung gegen
ihre Gegner und ihren König zu bitten und zu buhlen, von
ihnen Orden und Penſionen zu nehmen, waren die „Herren“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |