Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.würdigen, ihrer Eigenliebe aufs feinste zu schmeicheln und Herz Ganz anders der Kanzler. Von Natur herzlich und heiter, 4*
würdigen, ihrer Eigenliebe aufs feinſte zu ſchmeicheln und Herz Ganz anders der Kanzler. Von Natur herzlich und heiter, 4*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0065" n="51"/> würdigen, ihrer Eigenliebe aufs feinſte zu ſchmeicheln und Herz<lb/> und Geiſt junger Leute zu gewinnen. Wie in ſich geſchloſſen,<lb/> ſchweigſam und vornehm auch ſeine Haltung im ganzen war,<lb/> es lag doch in ſeinem Benehmen ein gewiſſer Zauber; er ver-<lb/> ſtand in gewinnender Weiſe zu geben. Freilich war er im<lb/> Grunde ſeines Weſens eine überwiegend kalte Natur, in der<lb/> der Verſtand das Herz weit überwog. Bei allem, was er<lb/> that, auch bei ſeiner Freigebigkeit, hatte er immer einen Zweck<lb/> im Auge, der ſich auf ihn ſelbſt bezog; aber er hatte die Gabe,<lb/> dies nicht merken zu laſſen und ſeine eigentlichen Abſichten und<lb/> Zwecke ſo zu verhüllen, daß er oft um das gebeten wurde,<lb/> was er in Wahrheit aufs lebhafteſte wünſchte. Die Vorſicht,<lb/> die er in ſeinen Reden beobachtete, der tiefe Verſtand, der all’<lb/> ſeine Schritte leitete, ſo oft er ſich nicht, was ſelten der Fall<lb/> war, übereilte; ſeine edle und einfach nüchterne Redeweiſe, das<lb/> Talent ſelbſt den Schatten eines Zweifels, daß er es nicht ſo<lb/> meine, wie er ſich gab, nicht aufkommen zu laſſen, täuſchten<lb/> alle Welt. Er galt allgemein als ein Muſter von Klugheit,<lb/> Rechtſchaffenheit und Milde, und erhaben über alle Leiden-<lb/> ſchaften und Schwächen der Menge. Ja, er verſtand es, ſelbſt<lb/> die erbittertſten Feinde der Familie und ihrer Intereſſen zu<lb/> überreden, daß er perſönlich eine ausnahmsweiſe Berückſich-<lb/> tigung von ihrer Seite verdiene. Daher ward nicht ihm,<lb/> ſondern dem Bruder alles zugeſchrieben, was die Gegner der<lb/> Familie am meiſten kränkte und verwundete, während von der<lb/> ganzen Familie doch grade er derjenige war, der den Grund-<lb/> ſatz unbedingter Herrſchaft und Eigenſucht am nachdrücklichſten<lb/> vertrat, ſobald er glaubte, ſo etwas durchſetzen zu können,<lb/> ohne die Hand erkennen zu laſſen, von welcher der Schlag<lb/> kam.</p><lb/> <p>Ganz anders der Kanzler. Von Natur herzlich und heiter,<lb/> witzig und geſellig, liebte er es ſeine Gedanken ohne viel Um-<lb/> ſchweife auszuſprechen. In der Schule des alten Feldmarſchall<lb/> Flemming, der ihn in die Geſchäfte einführte, und ſelbſt heiteren<lb/> Witz, ſcharfe Ironie und beißenden Sarcasmus ſchätzte, hatte<lb/> er ſich in jungen Jahren gewöhnt, ſich gehen zu laſſen, und<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0065]
würdigen, ihrer Eigenliebe aufs feinſte zu ſchmeicheln und Herz
und Geiſt junger Leute zu gewinnen. Wie in ſich geſchloſſen,
ſchweigſam und vornehm auch ſeine Haltung im ganzen war,
es lag doch in ſeinem Benehmen ein gewiſſer Zauber; er ver-
ſtand in gewinnender Weiſe zu geben. Freilich war er im
Grunde ſeines Weſens eine überwiegend kalte Natur, in der
der Verſtand das Herz weit überwog. Bei allem, was er
that, auch bei ſeiner Freigebigkeit, hatte er immer einen Zweck
im Auge, der ſich auf ihn ſelbſt bezog; aber er hatte die Gabe,
dies nicht merken zu laſſen und ſeine eigentlichen Abſichten und
Zwecke ſo zu verhüllen, daß er oft um das gebeten wurde,
was er in Wahrheit aufs lebhafteſte wünſchte. Die Vorſicht,
die er in ſeinen Reden beobachtete, der tiefe Verſtand, der all’
ſeine Schritte leitete, ſo oft er ſich nicht, was ſelten der Fall
war, übereilte; ſeine edle und einfach nüchterne Redeweiſe, das
Talent ſelbſt den Schatten eines Zweifels, daß er es nicht ſo
meine, wie er ſich gab, nicht aufkommen zu laſſen, täuſchten
alle Welt. Er galt allgemein als ein Muſter von Klugheit,
Rechtſchaffenheit und Milde, und erhaben über alle Leiden-
ſchaften und Schwächen der Menge. Ja, er verſtand es, ſelbſt
die erbittertſten Feinde der Familie und ihrer Intereſſen zu
überreden, daß er perſönlich eine ausnahmsweiſe Berückſich-
tigung von ihrer Seite verdiene. Daher ward nicht ihm,
ſondern dem Bruder alles zugeſchrieben, was die Gegner der
Familie am meiſten kränkte und verwundete, während von der
ganzen Familie doch grade er derjenige war, der den Grund-
ſatz unbedingter Herrſchaft und Eigenſucht am nachdrücklichſten
vertrat, ſobald er glaubte, ſo etwas durchſetzen zu können,
ohne die Hand erkennen zu laſſen, von welcher der Schlag
kam.
Ganz anders der Kanzler. Von Natur herzlich und heiter,
witzig und geſellig, liebte er es ſeine Gedanken ohne viel Um-
ſchweife auszuſprechen. In der Schule des alten Feldmarſchall
Flemming, der ihn in die Geſchäfte einführte, und ſelbſt heiteren
Witz, ſcharfe Ironie und beißenden Sarcasmus ſchätzte, hatte
er ſich in jungen Jahren gewöhnt, ſich gehen zu laſſen, und
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