athmete, herauszuspringen. Die volksthümliche Entwicklung weiss nichts von einem Gegensatz zu Homer und seiner Welt. Unmerklich vollzog sich die Verdrängung der homerischen Ethik und Religion aus der Alleinherrschaft, niemals aber ist der Zusammenhang mit dieser gewaltsam abgerissen worden.
So können auch wir, indem wir, Homer und das Epos hinter uns lassend, in die vielverschlungenen Wege der weiteren Entwicklung des Seelencultes und des Unsterblichkeitsglaubens eindringen, noch eine Zeitlang uns an dem Ariadnefaden des Epos leiten lassen. Auch hier reicht eine Verbindung aus der epischen Zeit in die kommende Periode herunter. Bald freilich lockert sich der Faden, und wir müssen in neues Gebiet selb- ständig vorschreiten. --
1.
Unter den Fürsten, die, von Adrast geführt, zu Gunsten des Polyneikes Theben zu belagern kamen, ragt Amphiaraos hervor, der argivische Held und Seher aus dem Geschlecht des räthselhaften Priesters und Wahrsagers Melampus. Gezwungen war er in den Krieg gezogen, dessen unglückliches Ende er voraus wusste; und als in der Entscheidungsschlacht, nach dem Wechselmord der feindlichen Brüder, das argivische Heer in's Weichen kam, da floh auch Amphiaraos; doch bevor Peri- klymenos, der ihn verfolgte, ihm den Speer in den Rücken stossen konnte, zerspaltete Zeus vor ihm durch einen Blitz- strahl die Erde, und sammt Rossen und Wagen und Wagen- lenker fuhr Amphiaraos in die Tiefe, wo ihn Zeus unsterb- lich machte. -- So lautet die Sage vom Ende des Amphiaraos, wie sie von Pindar an uns zahlreiche Zeugen berichten 1); man
1) Pindar N. 9, 24 ff. 10, 8 f. Apollodor. bibl. III 6, 8, 4 (sun to armati kai to eniokho Batoni ekruphthe kai Zeus athanaton auton epoi- esen) u. s. w. Beachtenswerth sind die Ausdrücke, mit denen die Ent- rückung des Amphiaraos und sein vollbewusstes Weiterleben bezeichnet werden: kata gai auton te nin kai phaidimous ippous emarpsen Pind. Ol. 6, 14. Zeus krupsen am ippois Pind. N. 9, 25. gaia upedekto mantin Oikleidan. Pindar N. 10, 8. mantis kekeuthos polemias upo khthonos Aesch. Sept. 588.
athmete, herauszuspringen. Die volksthümliche Entwicklung weiss nichts von einem Gegensatz zu Homer und seiner Welt. Unmerklich vollzog sich die Verdrängung der homerischen Ethik und Religion aus der Alleinherrschaft, niemals aber ist der Zusammenhang mit dieser gewaltsam abgerissen worden.
So können auch wir, indem wir, Homer und das Epos hinter uns lassend, in die vielverschlungenen Wege der weiteren Entwicklung des Seelencultes und des Unsterblichkeitsglaubens eindringen, noch eine Zeitlang uns an dem Ariadnefaden des Epos leiten lassen. Auch hier reicht eine Verbindung aus der epischen Zeit in die kommende Periode herunter. Bald freilich lockert sich der Faden, und wir müssen in neues Gebiet selb- ständig vorschreiten. —
1.
Unter den Fürsten, die, von Adrast geführt, zu Gunsten des Polyneikes Theben zu belagern kamen, ragt Amphiaraos hervor, der argivische Held und Seher aus dem Geschlecht des räthselhaften Priesters und Wahrsagers Melampus. Gezwungen war er in den Krieg gezogen, dessen unglückliches Ende er voraus wusste; und als in der Entscheidungsschlacht, nach dem Wechselmord der feindlichen Brüder, das argivische Heer in’s Weichen kam, da floh auch Amphiaraos; doch bevor Peri- klymenos, der ihn verfolgte, ihm den Speer in den Rücken stossen konnte, zerspaltete Zeus vor ihm durch einen Blitz- strahl die Erde, und sammt Rossen und Wagen und Wagen- lenker fuhr Amphiaraos in die Tiefe, wo ihn Zeus unsterb- lich machte. — So lautet die Sage vom Ende des Amphiaraos, wie sie von Pindar an uns zahlreiche Zeugen berichten 1); man
1) Pindar N. 9, 24 ff. 10, 8 f. Apollodor. bibl. III 6, 8, 4 (σὺν τῷ ἅρματι καὶ τῷ ἡνιόχῳ Βάτωνι ἐκρύφϑη καὶ Ζεὺς ἀϑάνατον αὐτὸν ἐποί- ησεν) u. s. w. Beachtenswerth sind die Ausdrücke, mit denen die Ent- rückung des Amphiaraos und sein vollbewusstes Weiterleben bezeichnet werden: κατὰ γαῖ̕ αὐτόν τέ νιν καὶ φαιδίμους ἴππους ἔμαρψεν Pind. Ol. 6, 14. Ζεύς κρύψεν ἅμ̕ ἵπποις Pind. N. 9, 25. γαῖα ὑπέδεκτο μάντιν Οἰκλείδαν. Pindar N. 10, 8. μάντις κεκευϑὼς πολεμίας ὑπὸ χϑονός Aesch. Sept. 588.
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athmete, herauszuspringen. Die volksthümliche Entwicklung
weiss nichts von einem Gegensatz zu Homer und seiner Welt.
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und Religion aus der Alleinherrschaft, niemals aber ist der
Zusammenhang mit dieser gewaltsam abgerissen worden.
So können auch wir, indem wir, Homer und das Epos
hinter uns lassend, in die vielverschlungenen Wege der weiteren
Entwicklung des Seelencultes und des Unsterblichkeitsglaubens
eindringen, noch eine Zeitlang uns an dem Ariadnefaden des
Epos leiten lassen. Auch hier reicht eine Verbindung aus der
epischen Zeit in die kommende Periode herunter. Bald freilich
lockert sich der Faden, und wir müssen in neues Gebiet selb-
ständig vorschreiten. —
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Unter den Fürsten, die, von Adrast geführt, zu Gunsten
des Polyneikes Theben zu belagern kamen, ragt Amphiaraos
hervor, der argivische Held und Seher aus dem Geschlecht des
räthselhaften Priesters und Wahrsagers Melampus. Gezwungen
war er in den Krieg gezogen, dessen unglückliches Ende er
voraus wusste; und als in der Entscheidungsschlacht, nach dem
Wechselmord der feindlichen Brüder, das argivische Heer in’s
Weichen kam, da floh auch Amphiaraos; doch bevor Peri-
klymenos, der ihn verfolgte, ihm den Speer in den Rücken
stossen konnte, zerspaltete Zeus vor ihm durch einen Blitz-
strahl die Erde, und sammt Rossen und Wagen und Wagen-
lenker fuhr Amphiaraos in die Tiefe, wo ihn Zeus unsterb-
lich machte. — So lautet die Sage vom Ende des Amphiaraos,
wie sie von Pindar an uns zahlreiche Zeugen berichten 1); man
1) Pindar N. 9, 24 ff. 10, 8 f. Apollodor. bibl. III 6, 8, 4 (σὺν
τῷ ἅρματι καὶ τῷ ἡνιόχῳ Βάτωνι ἐκρύφϑη καὶ Ζεὺς ἀϑάνατον αὐτὸν ἐποί-
ησεν) u. s. w. Beachtenswerth sind die Ausdrücke, mit denen die Ent-
rückung des Amphiaraos und sein vollbewusstes Weiterleben bezeichnet
werden: κατὰ γαῖ̕ αὐτόν τέ νιν καὶ φαιδίμους ἴππους ἔμαρψεν Pind. Ol. 6, 14.
Ζεύς κρύψεν ἅμ̕ ἵπποις Pind. N. 9, 25. γαῖα ὑπέδεκτο μάντιν Οἰκλείδαν.
Pindar N. 10, 8. μάντις κεκευϑὼς πολεμίας ὑπὸ χϑονός Aesch. Sept. 588.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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