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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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so haust auch König Artus, Holger Danske und noch manche
Lieblingsgestalt der Volkserinnerung in unterirdischen Höhlen 1).
Hie und da schimmert noch deutlich durch, wie es eigentlich
alte, nach heidnischem Glauben in hohlen Bergen hausende
Götter sind, an deren Stelle jene "bergentrückten Helden"
getreten sind 2). Auch die griechische Ueberlieferung lässt uns
noch wohl erkennen, dass jene höhlenentrückten Menschen der
Vorzeit, Amphiaraos und Trophonios, nur sagenhaft umgebildet
sind aus alten Göttergestalten, denen unsterbliches Leben und
ewiger Aufenthalt in der Erdtiefe nicht erst durch eine Gnaden-
that verliehen wurde, sondern von jeher eigen war. Wenigstens
am Orte der Verehrung wusste man, dass der die Zukunft ver-
kündende Höhlenbewohner ein Gott war: Zeus Trophonios
oder Trephonios nennen den Einen ausser gelehrten Zeugnissen
auch Inschriften aus Lebadea 3); auch Amphiaraos wird einmal

1) Heinrich der Vogelsteller im Sudemerberge: Kuhn und Schwartz,
Nordd. Sagen p. 185. Die anderen Beispiele in J. Grimms D. Myth.
Kap. 32. -- G. Voigt, in Sybels histor. Zeitschrift 26 (1871) p. 131--187
führt in lichtvoller Darstellung aus, wie ursprünglich nicht Friedrich
Barbarossa, sondern Friedrich II. der Sage als nicht gestorben, sondern
als "verloren" galt und auf ihn sich die Hoffnung bezog, dass er einst
wiederkommen werde. Seit dem 15. Jahrhundert taucht die Sage
auf, dass er im Kyffhäuser (oder auch in einer Felshöhle bei Kaisers-
lautern) sitze; erst seit dem 16. Jahrh. schiebt sich allmählich Friedrich
Rothbart unter. Aber wie es kam, dass man seit einer gewissen Zeit
den entrückten Kaiser in einem hohlen Berge fortlebend dachte, wird
doch aus der kritischen Betrachtung der Sagenentwicklung in den schrift-
lich erhaltenen Berichten allein nicht klar: plötzlich und unvermittelt
tritt diese Gestaltung der Sage hervor, und es lässt sich kaum anders
denken, als dass sie entstanden ist aus einer Verschmelzung der Friedrichs-
sage mit bereits vorhandenen Sagen von entrückten Helden oder Göttern
(wie auch Voigt p. 160 andeutet).
2) Grimm, D. Mythol.4 p. 782 f., 795 f., Simrock, D. Mythol.3
p. 144. -- Wie leicht sich ohne alle Ueberlieferung von einem Volke
zum anderen bei verschiedenen Völkern gleiche Sagen bilden, zeigt sich
daran, dass. die Sage von bergentrückten Helden wiederkehrt nicht nur
in Griechenland, sondern auch im fernen Mexiko; s. Müller, Gesch. der
amerikan. Urrelig.
582.
3) Dii Trephonioi Ins. aus Lebadea, Meister, böot. Ins. 423 (Collitz
griech. Dialektins. I p. 163); sonst nur Trephonioi (n. 407. 414) Trophonio

so haust auch König Artus, Holger Danske und noch manche
Lieblingsgestalt der Volkserinnerung in unterirdischen Höhlen 1).
Hie und da schimmert noch deutlich durch, wie es eigentlich
alte, nach heidnischem Glauben in hohlen Bergen hausende
Götter sind, an deren Stelle jene „bergentrückten Helden“
getreten sind 2). Auch die griechische Ueberlieferung lässt uns
noch wohl erkennen, dass jene höhlenentrückten Menschen der
Vorzeit, Amphiaraos und Trophonios, nur sagenhaft umgebildet
sind aus alten Göttergestalten, denen unsterbliches Leben und
ewiger Aufenthalt in der Erdtiefe nicht erst durch eine Gnaden-
that verliehen wurde, sondern von jeher eigen war. Wenigstens
am Orte der Verehrung wusste man, dass der die Zukunft ver-
kündende Höhlenbewohner ein Gott war: Zeus Trophonios
oder Trephonios nennen den Einen ausser gelehrten Zeugnissen
auch Inschriften aus Lebadea 3); auch Amphiaraos wird einmal

1) Heinrich der Vogelsteller im Sudemerberge: Kuhn und Schwartz,
Nordd. Sagen p. 185. Die anderen Beispiele in J. Grimms D. Myth.
Kap. 32. — G. Voigt, in Sybels histor. Zeitschrift 26 (1871) p. 131—187
führt in lichtvoller Darstellung aus, wie ursprünglich nicht Friedrich
Barbarossa, sondern Friedrich II. der Sage als nicht gestorben, sondern
als „verloren“ galt und auf ihn sich die Hoffnung bezog, dass er einst
wiederkommen werde. Seit dem 15. Jahrhundert taucht die Sage
auf, dass er im Kyffhäuser (oder auch in einer Felshöhle bei Kaisers-
lautern) sitze; erst seit dem 16. Jahrh. schiebt sich allmählich Friedrich
Rothbart unter. Aber wie es kam, dass man seit einer gewissen Zeit
den entrückten Kaiser in einem hohlen Berge fortlebend dachte, wird
doch aus der kritischen Betrachtung der Sagenentwicklung in den schrift-
lich erhaltenen Berichten allein nicht klar: plötzlich und unvermittelt
tritt diese Gestaltung der Sage hervor, und es lässt sich kaum anders
denken, als dass sie entstanden ist aus einer Verschmelzung der Friedrichs-
sage mit bereits vorhandenen Sagen von entrückten Helden oder Göttern
(wie auch Voigt p. 160 andeutet).
2) Grimm, D. Mythol.4 p. 782 f., 795 f., Simrock, D. Mythol.3
p. 144. — Wie leicht sich ohne alle Ueberlieferung von einem Volke
zum anderen bei verschiedenen Völkern gleiche Sagen bilden, zeigt sich
daran, dass. die Sage von bergentrückten Helden wiederkehrt nicht nur
in Griechenland, sondern auch im fernen Mexiko; s. Müller, Gesch. der
amerikan. Urrelig.
582.
3) Διὶ Τρεφωνίοι Ins. aus Lebadea, Meister, böot. Ins. 423 (Collitz
griech. Dialektins. I p. 163); sonst nur Τρεφωνίοι (n. 407. 414) Τροφωνίῳ
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[116/0132] so haust auch König Artus, Holger Danske und noch manche Lieblingsgestalt der Volkserinnerung in unterirdischen Höhlen 1). Hie und da schimmert noch deutlich durch, wie es eigentlich alte, nach heidnischem Glauben in hohlen Bergen hausende Götter sind, an deren Stelle jene „bergentrückten Helden“ getreten sind 2). Auch die griechische Ueberlieferung lässt uns noch wohl erkennen, dass jene höhlenentrückten Menschen der Vorzeit, Amphiaraos und Trophonios, nur sagenhaft umgebildet sind aus alten Göttergestalten, denen unsterbliches Leben und ewiger Aufenthalt in der Erdtiefe nicht erst durch eine Gnaden- that verliehen wurde, sondern von jeher eigen war. Wenigstens am Orte der Verehrung wusste man, dass der die Zukunft ver- kündende Höhlenbewohner ein Gott war: Zeus Trophonios oder Trephonios nennen den Einen ausser gelehrten Zeugnissen auch Inschriften aus Lebadea 3); auch Amphiaraos wird einmal 1) Heinrich der Vogelsteller im Sudemerberge: Kuhn und Schwartz, Nordd. Sagen p. 185. Die anderen Beispiele in J. Grimms D. Myth. Kap. 32. — G. Voigt, in Sybels histor. Zeitschrift 26 (1871) p. 131—187 führt in lichtvoller Darstellung aus, wie ursprünglich nicht Friedrich Barbarossa, sondern Friedrich II. der Sage als nicht gestorben, sondern als „verloren“ galt und auf ihn sich die Hoffnung bezog, dass er einst wiederkommen werde. Seit dem 15. Jahrhundert taucht die Sage auf, dass er im Kyffhäuser (oder auch in einer Felshöhle bei Kaisers- lautern) sitze; erst seit dem 16. Jahrh. schiebt sich allmählich Friedrich Rothbart unter. Aber wie es kam, dass man seit einer gewissen Zeit den entrückten Kaiser in einem hohlen Berge fortlebend dachte, wird doch aus der kritischen Betrachtung der Sagenentwicklung in den schrift- lich erhaltenen Berichten allein nicht klar: plötzlich und unvermittelt tritt diese Gestaltung der Sage hervor, und es lässt sich kaum anders denken, als dass sie entstanden ist aus einer Verschmelzung der Friedrichs- sage mit bereits vorhandenen Sagen von entrückten Helden oder Göttern (wie auch Voigt p. 160 andeutet). 2) Grimm, D. Mythol.4 p. 782 f., 795 f., Simrock, D. Mythol.3 p. 144. — Wie leicht sich ohne alle Ueberlieferung von einem Volke zum anderen bei verschiedenen Völkern gleiche Sagen bilden, zeigt sich daran, dass. die Sage von bergentrückten Helden wiederkehrt nicht nur in Griechenland, sondern auch im fernen Mexiko; s. Müller, Gesch. der amerikan. Urrelig. 582. 3) Διὶ Τρεφωνίοι Ins. aus Lebadea, Meister, böot. Ins. 423 (Collitz griech. Dialektins. I p. 163); sonst nur Τρεφωνίοι (n. 407. 414) Τροφωνίῳ

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/132>, abgerufen am 21.11.2024.