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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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verknüpft der Heroenglaube die Menschheit mit einer höheren
Geisterwelt. Von einem Ahnencult war der Heroenglaube
ausgegangen, ein Ahnencult war der Heroendienst in seinem
Kerne geblieben, aber er hatte sich ausgedehnt zu einem Cult
grosser und durch eigenthümliche Kräfte mannichfacher (und
keineswegs vorzugsweise sittlicher) Art über die Menge sich er-
hebender Seelen von Menschen auch späterer, ja der nächst-
vergangenen Zeiten. Hierin liegt seine eigentliche Bedeutung.
Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, lehrt er; wieder und
wieder steigen einzelne Menschen nach Vollendung des irdischen
Lebens in ihre höheren Kreise empor. Der Tod endigt nicht
alles bewusste Leben, nicht alle Kraft schlingt die Dumpfheit
des Hades ein.

Dennoch ist es nicht der Heroenglaube, aus dem sich der
Glaube an eine, allen menschlichen Seelen ihrer Natur nach
zukommende Unsterblichkeit entwickelt hat. Dies konnte auch
seine Wirkung nicht sein. Wie von Anbeginn unter den
Schaaren der Seelen, die zum Hades strömen, die Heroen,
denen ein anderes Loos fiel, nur eine Minderheit von Aus-
erwählten bildeten, so blieb es. Mochte die Zahl der Heroi-
sirten noch so sehr anwachsen, in jedem einzelnen Falle des
Uebertrittes einer menschlichen Seele in die Heroenwürde be-
gab sich auf's Neue ein Wunder, aus dessen noch so häufiger
Wiederholung eine Regel, ein für Alle gültiges Gesetz sich
nicht ergeben konnte.

Der Heroenglaube, wie er sich allmählich entwickelt und
ausgebreitet hatte, führt unstreitig weit ab von den Bahnen
homerischer Gedanken über die Dinge nach dem Tode; er
treibt nach der entgegengesetzten Richtung. Aber ein Glaube
an die, in ihrem Wesen begründete Unsterblichkeit der mensch-
lichen Seele, ein allgemeiner Seelencult waren mit dem Heroen-
glauben noch nicht gegeben. Damit diese, nach aber nicht
aus dem Heroenglauben, hervortreten und dann neben dem un-
geminderten Heroenglauben sich erhalten konnten, war eine Be-
wegung nöthig, die aus anderen Tiefen hervorströmte.


verknüpft der Heroenglaube die Menschheit mit einer höheren
Geisterwelt. Von einem Ahnencult war der Heroenglaube
ausgegangen, ein Ahnencult war der Heroendienst in seinem
Kerne geblieben, aber er hatte sich ausgedehnt zu einem Cult
grosser und durch eigenthümliche Kräfte mannichfacher (und
keineswegs vorzugsweise sittlicher) Art über die Menge sich er-
hebender Seelen von Menschen auch späterer, ja der nächst-
vergangenen Zeiten. Hierin liegt seine eigentliche Bedeutung.
Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, lehrt er; wieder und
wieder steigen einzelne Menschen nach Vollendung des irdischen
Lebens in ihre höheren Kreise empor. Der Tod endigt nicht
alles bewusste Leben, nicht alle Kraft schlingt die Dumpfheit
des Hades ein.

Dennoch ist es nicht der Heroenglaube, aus dem sich der
Glaube an eine, allen menschlichen Seelen ihrer Natur nach
zukommende Unsterblichkeit entwickelt hat. Dies konnte auch
seine Wirkung nicht sein. Wie von Anbeginn unter den
Schaaren der Seelen, die zum Hades strömen, die Heroen,
denen ein anderes Loos fiel, nur eine Minderheit von Aus-
erwählten bildeten, so blieb es. Mochte die Zahl der Heroi-
sirten noch so sehr anwachsen, in jedem einzelnen Falle des
Uebertrittes einer menschlichen Seele in die Heroenwürde be-
gab sich auf’s Neue ein Wunder, aus dessen noch so häufiger
Wiederholung eine Regel, ein für Alle gültiges Gesetz sich
nicht ergeben konnte.

Der Heroenglaube, wie er sich allmählich entwickelt und
ausgebreitet hatte, führt unstreitig weit ab von den Bahnen
homerischer Gedanken über die Dinge nach dem Tode; er
treibt nach der entgegengesetzten Richtung. Aber ein Glaube
an die, in ihrem Wesen begründete Unsterblichkeit der mensch-
lichen Seele, ein allgemeiner Seelencult waren mit dem Heroen-
glauben noch nicht gegeben. Damit diese, nach aber nicht
aus dem Heroenglauben, hervortreten und dann neben dem un-
geminderten Heroenglauben sich erhalten konnten, war eine Be-
wegung nöthig, die aus anderen Tiefen hervorströmte.


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[186/0202] verknüpft der Heroenglaube die Menschheit mit einer höheren Geisterwelt. Von einem Ahnencult war der Heroenglaube ausgegangen, ein Ahnencult war der Heroendienst in seinem Kerne geblieben, aber er hatte sich ausgedehnt zu einem Cult grosser und durch eigenthümliche Kräfte mannichfacher (und keineswegs vorzugsweise sittlicher) Art über die Menge sich er- hebender Seelen von Menschen auch späterer, ja der nächst- vergangenen Zeiten. Hierin liegt seine eigentliche Bedeutung. Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, lehrt er; wieder und wieder steigen einzelne Menschen nach Vollendung des irdischen Lebens in ihre höheren Kreise empor. Der Tod endigt nicht alles bewusste Leben, nicht alle Kraft schlingt die Dumpfheit des Hades ein. Dennoch ist es nicht der Heroenglaube, aus dem sich der Glaube an eine, allen menschlichen Seelen ihrer Natur nach zukommende Unsterblichkeit entwickelt hat. Dies konnte auch seine Wirkung nicht sein. Wie von Anbeginn unter den Schaaren der Seelen, die zum Hades strömen, die Heroen, denen ein anderes Loos fiel, nur eine Minderheit von Aus- erwählten bildeten, so blieb es. Mochte die Zahl der Heroi- sirten noch so sehr anwachsen, in jedem einzelnen Falle des Uebertrittes einer menschlichen Seele in die Heroenwürde be- gab sich auf’s Neue ein Wunder, aus dessen noch so häufiger Wiederholung eine Regel, ein für Alle gültiges Gesetz sich nicht ergeben konnte. Der Heroenglaube, wie er sich allmählich entwickelt und ausgebreitet hatte, führt unstreitig weit ab von den Bahnen homerischer Gedanken über die Dinge nach dem Tode; er treibt nach der entgegengesetzten Richtung. Aber ein Glaube an die, in ihrem Wesen begründete Unsterblichkeit der mensch- lichen Seele, ein allgemeiner Seelencult waren mit dem Heroen- glauben noch nicht gegeben. Damit diese, nach aber nicht aus dem Heroenglauben, hervortreten und dann neben dem un- geminderten Heroenglauben sich erhalten konnten, war eine Be- wegung nöthig, die aus anderen Tiefen hervorströmte.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/202>, abgerufen am 22.11.2024.