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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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nahm, das lässt am deutlichsten Isaeos erkennen in jenen Erb-
schaftsreden, in denen er mit vollendeter, fast unmerklicher
Kunst den einfachen und ächten Empfindungen schlichter,
von keiner Aufklärung bei dem Glauben der Väter gestörter
athenischer Bürgersleute Ausdruck giebt1).

1) Hier die in den Reden des Isaeus vorkommenden Aussagen,
welche das oben Gesagte besonders deutlich erkennen lassen. Der kinder-
lose Menekles eskopei opos me esoito apais, all esoito auto ostis zonta
gerotrophesoi kai teleutesanta thapsoi auton kai eis ton epeita khronon ta
nomizomena auto poiesoi 2, 10. Pflege im Alter, Begräbniss und fernere
Sorge für die Seele des Todten bilden Ein Continuum. Um nun dieser
Seelenpflege theilhaftig zu werden, muss der Todte einen Sohn hinter-
lassen: diesem allein liegt sie als heilige Pflicht ob. Daher nimmt, wer
keinen Sohn hinterlässt, den erwählten Erben seines Vermögens, durch
Adoption in seine Familie auf. Erbschaft und Adoption fallen in
solchen Fällen stets zusammen (auch in der 1. Rede, wo zwar von Adop-
tion nicht ausdrücklich geredet, diese aber doch wohl vorausgesetzt wird).
Mit grösster Deutlichkeit wird als Motiv der Adoption die Sorge um
regelrechte Pflege der eigenen Seele des Adoptirenden durch den Adoptiv-
sohn ausgesprochen: 2, 25; 46; 6, 51; 65; 7, 30; 9, 7; 36. Eng und noth-
wendig verbunden ist daher das einai kleronomon kai epi ta mnemata ienai,
kheomenon kai enagiounta (6, 51). Kennzeichen des Erben ist ta nomizomena
poiein, enagizein, kheisthai (6, 65). Vgl. auch Demosth. 43, 65. Diese Pflichten
gegen die Seele des Verstorbenen bestehen darin, dass der Erbe und
Sohn für ein feierliches Begräbniss, ein schönes Grabmal sorgt, die trita
kai enata darbringt, kai talla ta peri ten taphen: 2, 36. 37; 4, 19; 9, 4.
Dann aber hat er den Cult regelmässig fortzusetzen, dem Verstorbenen
zu opfern, enagizesthai kath ekaston eniauton (2, 46), überhaupt ihm kai
eis ton epeita khronon ta nomizomena poiein (2, 10). Und wie er für den
Verstorbenen dessen häuslichen Cultus fortsetzt, seine iera patroa 2, 46
(z. B. für den Zeus Ktesios: 8, 16), so muss er auch, wie einst Jener, den
progonoi des Hauses regelmässige Opfer darbringen: 9, 7. So pflanzt
sich der Cult der Familienahnen fort. -- Alles erinnert hier auf das
Stärkste an die Art, wie für die fortgesetzte Seelenpflege, namentlich auch
durch Adoption, gesorgt wird in dem Lande des blühendsten Ahnen-
cultes, China. Die Sorge um Erhaltung des Familiennamens, welche
bei uns wohl das Hauptmotiv zu Adoptionen männlicher Nachkommen
bildet, konnte in Griechenland, wo nur Individualnamen üblich waren,
nicht in gleicher Weise wirksam sein. Gleichwohl kommt auch dies als
Anregung zur Adoption eines Sohnes vor: ina me anonumos o oikos autou
genetai 2, 36; 46; vgl. Isocrat. 19, 35 (auch Philodem p. than. p. 28, 9 ff.
Mekl.). Der oikos nennt sich eben doch nach einem seiner Vorfahren (wie
jene Bouselidai, von denen Demosthenes redet), und dieser Gesammtname

nahm, das lässt am deutlichsten Isaeos erkennen in jenen Erb-
schaftsreden, in denen er mit vollendeter, fast unmerklicher
Kunst den einfachen und ächten Empfindungen schlichter,
von keiner Aufklärung bei dem Glauben der Väter gestörter
athenischer Bürgersleute Ausdruck giebt1).

1) Hier die in den Reden des Isaeus vorkommenden Aussagen,
welche das oben Gesagte besonders deutlich erkennen lassen. Der kinder-
lose Menekles ἐσκόπει ὅπως μὴ ἔσοιτο ἄπαις, ἀλλ̕ ἔσοιτο αὐτῷ ὅςτις ζῶντα
γηροτροφήσοι καὶ τελευτήσαντα ϑάψοι αὐτὸν καὶ εἰς τὸν ἔπειτα χρόνον τὰ
νομιζόμενα αὐτῷ ποιήσοι 2, 10. Pflege im Alter, Begräbniss und fernere
Sorge für die Seele des Todten bilden Ein Continuum. Um nun dieser
Seelenpflege theilhaftig zu werden, muss der Todte einen Sohn hinter-
lassen: diesem allein liegt sie als heilige Pflicht ob. Daher nimmt, wer
keinen Sohn hinterlässt, den erwählten Erben seines Vermögens, durch
Adoption in seine Familie auf. Erbschaft und Adoption fallen in
solchen Fällen stets zusammen (auch in der 1. Rede, wo zwar von Adop-
tion nicht ausdrücklich geredet, diese aber doch wohl vorausgesetzt wird).
Mit grösster Deutlichkeit wird als Motiv der Adoption die Sorge um
regelrechte Pflege der eigenen Seele des Adoptirenden durch den Adoptiv-
sohn ausgesprochen: 2, 25; 46; 6, 51; 65; 7, 30; 9, 7; 36. Eng und noth-
wendig verbunden ist daher das εἶναι κληρονόμον καὶ ὲπὶ τὰ μνήματα ἰέναι,
χεόμενον καὶ ἐναγιοῦντα (6, 51). Kennzeichen des Erben ist τὰ νομιζόμενα
ποιεῖν, ἐναγίζειν, χεῖσϑαι (6, 65). Vgl. auch Demosth. 43, 65. Diese Pflichten
gegen die Seele des Verstorbenen bestehen darin, dass der Erbe und
Sohn für ein feierliches Begräbniss, ein schönes Grabmal sorgt, die τρίτα
καὶ ἔνατα darbringt, καὶ τἆλλα τὰ περὶ τὴν ταφήν: 2, 36. 37; 4, 19; 9, 4.
Dann aber hat er den Cult regelmässig fortzusetzen, dem Verstorbenen
zu opfern, ἐναγίζεσϑαι καϑ̕ ἕκαστον ἐνιαυτόν (2, 46), überhaupt ihm καὶ
εἰς τὸν ἔπειτα χρόνον τὰ νομιζόμενα ποιεῖν (2, 10). Und wie er für den
Verstorbenen dessen häuslichen Cultus fortsetzt, seine ἱερὰ πατρῷα 2, 46
(z. B. für den Zeus Ktesios: 8, 16), so muss er auch, wie einst Jener, den
πρόγονοι des Hauses regelmässige Opfer darbringen: 9, 7. So pflanzt
sich der Cult der Familienahnen fort. — Alles erinnert hier auf das
Stärkste an die Art, wie für die fortgesetzte Seelenpflege, namentlich auch
durch Adoption, gesorgt wird in dem Lande des blühendsten Ahnen-
cultes, China. Die Sorge um Erhaltung des Familiennamens, welche
bei uns wohl das Hauptmotiv zu Adoptionen männlicher Nachkommen
bildet, konnte in Griechenland, wo nur Individualnamen üblich waren,
nicht in gleicher Weise wirksam sein. Gleichwohl kommt auch dies als
Anregung zur Adoption eines Sohnes vor: ἵνα μὴ ἀνώνυμος ὁ οἶκος αὐτοῦ
γενήται 2, 36; 46; vgl. Isocrat. 19, 35 (auch Philodem π. ϑαν. p. 28, 9 ff.
Mekl.). Der οἶκος nennt sich eben doch nach einem seiner Vorfahren (wie
jene Βουσελίδαι, von denen Demosthenes redet), und dieser Gesammtname
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[230/0246] nahm, das lässt am deutlichsten Isaeos erkennen in jenen Erb- schaftsreden, in denen er mit vollendeter, fast unmerklicher Kunst den einfachen und ächten Empfindungen schlichter, von keiner Aufklärung bei dem Glauben der Väter gestörter athenischer Bürgersleute Ausdruck giebt 1). 1) Hier die in den Reden des Isaeus vorkommenden Aussagen, welche das oben Gesagte besonders deutlich erkennen lassen. Der kinder- lose Menekles ἐσκόπει ὅπως μὴ ἔσοιτο ἄπαις, ἀλλ̕ ἔσοιτο αὐτῷ ὅςτις ζῶντα γηροτροφήσοι καὶ τελευτήσαντα ϑάψοι αὐτὸν καὶ εἰς τὸν ἔπειτα χρόνον τὰ νομιζόμενα αὐτῷ ποιήσοι 2, 10. Pflege im Alter, Begräbniss und fernere Sorge für die Seele des Todten bilden Ein Continuum. Um nun dieser Seelenpflege theilhaftig zu werden, muss der Todte einen Sohn hinter- lassen: diesem allein liegt sie als heilige Pflicht ob. Daher nimmt, wer keinen Sohn hinterlässt, den erwählten Erben seines Vermögens, durch Adoption in seine Familie auf. Erbschaft und Adoption fallen in solchen Fällen stets zusammen (auch in der 1. Rede, wo zwar von Adop- tion nicht ausdrücklich geredet, diese aber doch wohl vorausgesetzt wird). Mit grösster Deutlichkeit wird als Motiv der Adoption die Sorge um regelrechte Pflege der eigenen Seele des Adoptirenden durch den Adoptiv- sohn ausgesprochen: 2, 25; 46; 6, 51; 65; 7, 30; 9, 7; 36. Eng und noth- wendig verbunden ist daher das εἶναι κληρονόμον καὶ ὲπὶ τὰ μνήματα ἰέναι, χεόμενον καὶ ἐναγιοῦντα (6, 51). Kennzeichen des Erben ist τὰ νομιζόμενα ποιεῖν, ἐναγίζειν, χεῖσϑαι (6, 65). Vgl. auch Demosth. 43, 65. Diese Pflichten gegen die Seele des Verstorbenen bestehen darin, dass der Erbe und Sohn für ein feierliches Begräbniss, ein schönes Grabmal sorgt, die τρίτα καὶ ἔνατα darbringt, καὶ τἆλλα τὰ περὶ τὴν ταφήν: 2, 36. 37; 4, 19; 9, 4. Dann aber hat er den Cult regelmässig fortzusetzen, dem Verstorbenen zu opfern, ἐναγίζεσϑαι καϑ̕ ἕκαστον ἐνιαυτόν (2, 46), überhaupt ihm καὶ εἰς τὸν ἔπειτα χρόνον τὰ νομιζόμενα ποιεῖν (2, 10). Und wie er für den Verstorbenen dessen häuslichen Cultus fortsetzt, seine ἱερὰ πατρῷα 2, 46 (z. B. für den Zeus Ktesios: 8, 16), so muss er auch, wie einst Jener, den πρόγονοι des Hauses regelmässige Opfer darbringen: 9, 7. So pflanzt sich der Cult der Familienahnen fort. — Alles erinnert hier auf das Stärkste an die Art, wie für die fortgesetzte Seelenpflege, namentlich auch durch Adoption, gesorgt wird in dem Lande des blühendsten Ahnen- cultes, China. Die Sorge um Erhaltung des Familiennamens, welche bei uns wohl das Hauptmotiv zu Adoptionen männlicher Nachkommen bildet, konnte in Griechenland, wo nur Individualnamen üblich waren, nicht in gleicher Weise wirksam sein. Gleichwohl kommt auch dies als Anregung zur Adoption eines Sohnes vor: ἵνα μὴ ἀνώνυμος ὁ οἶκος αὐτοῦ γενήται 2, 36; 46; vgl. Isocrat. 19, 35 (auch Philodem π. ϑαν. p. 28, 9 ff. Mekl.). Der οἶκος nennt sich eben doch nach einem seiner Vorfahren (wie jene Βουσελίδαι, von denen Demosthenes redet), und dieser Gesammtname

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/246>, abgerufen am 09.11.2024.