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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Aller Cult, alle Aussicht auf volles Leben und -- so darf
man die naive Vorstellung aussprechen -- auf Wohlsein der
Seele beruht auf dem Zusammenhalt der Familie; für die
Familie sind die Seelen der vorangegangenen Eltern, in einem
eingeschränkten Sinne freilich, Götter -- ihre Götter1). Man
kann kaum daran zweifeln, dass wir hier auf die Wurzeln alles
Seelenglaubens getroffen sind, und mag selbst geneigt sein, als
einer richtigen Ahnung der Meinung derjenigen Raum zu geben,
die in diesem ältesten Familien-Seelencult den Vorläufer alles
Cultes weiterer Cultgenossenschaften, der Verehrung der Götter
des Staates und der Volksgemeinde, auch der Heroen, als der
Seelen der Ahnherren weiterer Verbände des Volkes, erkennen.
Die Familie ist älter als der Staat2), und bei allen Völkern,
die über die Familienbildung nicht fortgeschritten sind bis zur
Staatenbildung, finden wir unfehlbar diese Gestaltung des Seelen-
glaubens wieder. Er hat sich bei den Griechen, die so viel

verschwindet, wenn der oikos keine männlichen Fortsetzer hat. Ausserdem
wird sich der Adoptirte den Sohn des Adoptirenden nennen, und insofern
dessen Namen erhalten, den er etwa auch, nach bekannter Sitte, dem
ältesten (Demosth. 39, 27) seiner eigenen Söhne beilegen wird.
1) Unter Berufung auf phemai, pollai kai sphodra palaiai, hält Plato,
Leg. 11, 927 A, fest: os ara ai ton teleutesanton psukhai dunamin ekhousi
tina teleutesasai, e ton kat anthropous pragmaton epimelountai. Daher
die epitropoi verwaister Kinder proton men tous ano theous phobeisthon - -,
eita tas ton kekmekoton psukhas, ais estin en te phusei ton auton ekgonon
kedesthai diapherontos
, kai timosi te autous eumeneis kai atimazousi
dusmeneis. Beschränkt ist hier eigentlich nur der Kreis der Wirkung (und
entsprechend der Verehrung) der psukhai, nicht die Kraft dieser Wirkung.
2) Mindestens unter Griechen, wie schon antike Speculation wahr-
nahm (Aristot. Polit. 1, 2; Dikaearch bei Steph. Byz. s. patra [der sich
die patra, wie es scheint, durch "endogamische" Ehen zusammengehalten
denkt]). Und soviel wird man jedenfalls den Auseinandersetzungen
Fustel de Coulanges' (La cite antique) zugestehen müssen, dass Alles in
der Entwicklung des griechischen Rechts und Staatslebens zu der An-
nahme führe, dass am Anfang griechischen Lebens die Sonderung nach
den kleinsten Gruppen stand, aus deren Zusammenwachsen später der
griechische Staat entstand, die Trennung nach Familien und Sippen, nicht
(wie es anderswo vorkommt) das Gemeinschaftsleben in Stamm oder
Horde. Wie soll man sich aber griechische Götter denken ohne die
Stammgenossenschaft, die sie verehrt?

Aller Cult, alle Aussicht auf volles Leben und — so darf
man die naive Vorstellung aussprechen — auf Wohlsein der
Seele beruht auf dem Zusammenhalt der Familie; für die
Familie sind die Seelen der vorangegangenen Eltern, in einem
eingeschränkten Sinne freilich, Götter — ihre Götter1). Man
kann kaum daran zweifeln, dass wir hier auf die Wurzeln alles
Seelenglaubens getroffen sind, und mag selbst geneigt sein, als
einer richtigen Ahnung der Meinung derjenigen Raum zu geben,
die in diesem ältesten Familien-Seelencult den Vorläufer alles
Cultes weiterer Cultgenossenschaften, der Verehrung der Götter
des Staates und der Volksgemeinde, auch der Heroen, als der
Seelen der Ahnherren weiterer Verbände des Volkes, erkennen.
Die Familie ist älter als der Staat2), und bei allen Völkern,
die über die Familienbildung nicht fortgeschritten sind bis zur
Staatenbildung, finden wir unfehlbar diese Gestaltung des Seelen-
glaubens wieder. Er hat sich bei den Griechen, die so viel

verschwindet, wenn der οἶκος keine männlichen Fortsetzer hat. Ausserdem
wird sich der Adoptirte den Sohn des Adoptirenden nennen, und insofern
dessen Namen erhalten, den er etwa auch, nach bekannter Sitte, dem
ältesten (Demosth. 39, 27) seiner eigenen Söhne beilegen wird.
1) Unter Berufung auf φῆμαι, πολλαὶ καὶ σφόδρα παλαιαί, hält Plato,
Leg. 11, 927 A, fest: ὡς ἄρα αἱ τῶν τελευτησάντων ψυχαί δύναμιν ἔχουσί
τινα τελευτήσασαι, ᾗ τῶν κατ̕ ἀνϑρώπους πραγμάτων ἐπιμελοῦνται. Daher
die ἐπίτροποι verwaister Kinder πρῶτον μὲν τοὺς ἄνω ϑεοὺς φοβείσϑων ‒ ‒,
εἶτα τὰς τῶν κεκμηκότων ψυχάς, αἷς ἐστὶν ἐν τῇ φύσει τῶν αὑτῶν ἐκγόνων
κήδεσϑαι διαφερόντως
, καὶ τιμῶσί τε αὐτοὺς εὐμενεῖς καὶ ἀτιμάζουσι
δυσμενεῖς. Beschränkt ist hier eigentlich nur der Kreis der Wirkung (und
entsprechend der Verehrung) der ψυχαί, nicht die Kraft dieser Wirkung.
2) Mindestens unter Griechen, wie schon antike Speculation wahr-
nahm (Aristot. Polit. 1, 2; Dikaearch bei Steph. Byz. s. πάτρα [der sich
die πάτρα, wie es scheint, durch „endogamische“ Ehen zusammengehalten
denkt]). Und soviel wird man jedenfalls den Auseinandersetzungen
Fustel de Coulanges’ (La cité antique) zugestehen müssen, dass Alles in
der Entwicklung des griechischen Rechts und Staatslebens zu der An-
nahme führe, dass am Anfang griechischen Lebens die Sonderung nach
den kleinsten Gruppen stand, aus deren Zusammenwachsen später der
griechische Staat entstand, die Trennung nach Familien und Sippen, nicht
(wie es anderswo vorkommt) das Gemeinschaftsleben in Stamm oder
Horde. Wie soll man sich aber griechische Götter denken ohne die
Stammgenossenschaft, die sie verehrt?
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[231/0247] Aller Cult, alle Aussicht auf volles Leben und — so darf man die naive Vorstellung aussprechen — auf Wohlsein der Seele beruht auf dem Zusammenhalt der Familie; für die Familie sind die Seelen der vorangegangenen Eltern, in einem eingeschränkten Sinne freilich, Götter — ihre Götter 1). Man kann kaum daran zweifeln, dass wir hier auf die Wurzeln alles Seelenglaubens getroffen sind, und mag selbst geneigt sein, als einer richtigen Ahnung der Meinung derjenigen Raum zu geben, die in diesem ältesten Familien-Seelencult den Vorläufer alles Cultes weiterer Cultgenossenschaften, der Verehrung der Götter des Staates und der Volksgemeinde, auch der Heroen, als der Seelen der Ahnherren weiterer Verbände des Volkes, erkennen. Die Familie ist älter als der Staat 2), und bei allen Völkern, die über die Familienbildung nicht fortgeschritten sind bis zur Staatenbildung, finden wir unfehlbar diese Gestaltung des Seelen- glaubens wieder. Er hat sich bei den Griechen, die so viel 1) 1) Unter Berufung auf φῆμαι, πολλαὶ καὶ σφόδρα παλαιαί, hält Plato, Leg. 11, 927 A, fest: ὡς ἄρα αἱ τῶν τελευτησάντων ψυχαί δύναμιν ἔχουσί τινα τελευτήσασαι, ᾗ τῶν κατ̕ ἀνϑρώπους πραγμάτων ἐπιμελοῦνται. Daher die ἐπίτροποι verwaister Kinder πρῶτον μὲν τοὺς ἄνω ϑεοὺς φοβείσϑων ‒ ‒, εἶτα τὰς τῶν κεκμηκότων ψυχάς, αἷς ἐστὶν ἐν τῇ φύσει τῶν αὑτῶν ἐκγόνων κήδεσϑαι διαφερόντως, καὶ τιμῶσί τε αὐτοὺς εὐμενεῖς καὶ ἀτιμάζουσι δυσμενεῖς. Beschränkt ist hier eigentlich nur der Kreis der Wirkung (und entsprechend der Verehrung) der ψυχαί, nicht die Kraft dieser Wirkung. 2) Mindestens unter Griechen, wie schon antike Speculation wahr- nahm (Aristot. Polit. 1, 2; Dikaearch bei Steph. Byz. s. πάτρα [der sich die πάτρα, wie es scheint, durch „endogamische“ Ehen zusammengehalten denkt]). Und soviel wird man jedenfalls den Auseinandersetzungen Fustel de Coulanges’ (La cité antique) zugestehen müssen, dass Alles in der Entwicklung des griechischen Rechts und Staatslebens zu der An- nahme führe, dass am Anfang griechischen Lebens die Sonderung nach den kleinsten Gruppen stand, aus deren Zusammenwachsen später der griechische Staat entstand, die Trennung nach Familien und Sippen, nicht (wie es anderswo vorkommt) das Gemeinschaftsleben in Stamm oder Horde. Wie soll man sich aber griechische Götter denken ohne die Stammgenossenschaft, die sie verehrt? 1) verschwindet, wenn der οἶκος keine männlichen Fortsetzer hat. Ausserdem wird sich der Adoptirte den Sohn des Adoptirenden nennen, und insofern dessen Namen erhalten, den er etwa auch, nach bekannter Sitte, dem ältesten (Demosth. 39, 27) seiner eigenen Söhne beilegen wird.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/247>, abgerufen am 09.11.2024.