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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Alles stellt uns eine gewaltsame Erregung des ganzen
Wesens vor Augen, bei der die Bedingungen des normalen
Lebens aufgehoben schienen. Man erläuterte sich diese aus
allen Bahnen des Gewohnten schweifenden Erscheinungen durch
die Annahme, dass die Seele dieser "Besessenen 1)" nicht "bei
sich" 2) sei, sondern "ausgetreten" aus ihrem Leibe. Wörtlich
so verstand es der Grieche ursprünglich, wenn er von der
"Ekstasis" der Seele in solchen orgiastischen Reizzuständen
sprach 3). Diese Ekstasis ist "ein vorübergehender Wahnsinn",

Edonis exululata iugis. Ovid. Trist. 4, 1, 41 f. qualis deo percussa maenas
-- atque expers sui volnus dedit nec sensit
. Seneca, Troad. 682 ff. Gleiche
Empfindungslosigkeit gegen Schmerz zeigten (gewiss nicht immer heuchelnd)
die sie sich selbst verwundenden galli der Kybele, die Priester und
Priesterinnen der Ma (Tibull. 1, 6, 45 ff.) in der Ekstase (auch von Pro-
pheten des Baal wird ähnliches berichtet, Reg. I 18, 28). S. im All-
gemeinen über die Anaesthesie der orthos katekhomenoi upo ton theon
Jamblich. myst. p. 110. Bei Schamanen, indischen Jogis, auch bei Einge-
borenen Nordamerikas hat man wirklich das Eintreten solcher Empfindungs-
losigkeit in religiöser Ueberreizung beobachtet.
1) katekhomenos ek tou theou (Plat. Menon 99 D; Xenoph. Sympos. 1, 10.
katekhomenoi osper ai bakkhai: Plat. Jon 533 E; Sympos. 215 C. manenti
te kai kataskhomeno: Phaedr. 244 E.) e daphron exieisa kai diastrophous koras
elissous, ou phronous a khren phronein, ek Bakkhiou kateikheto. Eurip. Bacch.
1111 f. katokhoi: oben p. 304, 1.
2) entheos te gignetai kai ekphron kai o nous ouketi en auto enestin.
Plat. Jon 534 B (dort auf die begeisterten Dichter übertragen, eigentlich
auf die Bakchen bezüglich).
3) ekstasis, existasthai wird oft von diesem Begeisterungszustande
gesagt. mainesthai, enthousian, entheon ginesthai, ekstenai als gleichbedeutend
gebraucht von "begeisterten" Propheten (Bakides, Sibullai) und Poeten:
Aristot. probl. 30, 2 p. 954 a, 34--39. existatai kai mainetai Arist. hist. an.
6, 22 p. 576 a, 12. Die religiösen orgiasmoi, ekstasias psukhas epagonti:
Phintys in Stob. flor. 74, 61 a, p. 65, 26 ff. Mein. Die ekstasis ist ein Zu-
stand, in welchem die Seele sich selbst entfremdet scheint, wo sie ai oi-
keiai kineseis ouk enokhlountai all aporrapizontai (Aristot. 464 a, 25). Der
im späteren Gebrauch sehr abgeschwächte und abgegriffene Ausdruck ist
ursprünglich, wie sich von selbst versteht, eigentlich gemeint, um einen
"Austritt" der "Seele" aus ihrem Leibe zu bezeichnen; so wie das ton
delipen psukhe, vom ohnmächtig Gewordenen gesagt, ursprünglich ebenfalls
eigentlich gemeint war und verstanden wurde (s. oben p. 8, 1). (Ganz
eigentlich gemeint noch in dem Pariser Zauberbuch, Z. 725 p. 63 Wess.:

Alles stellt uns eine gewaltsame Erregung des ganzen
Wesens vor Augen, bei der die Bedingungen des normalen
Lebens aufgehoben schienen. Man erläuterte sich diese aus
allen Bahnen des Gewohnten schweifenden Erscheinungen durch
die Annahme, dass die Seele dieser „Besessenen 1)“ nicht „bei
sich“ 2) sei, sondern „ausgetreten“ aus ihrem Leibe. Wörtlich
so verstand es der Grieche ursprünglich, wenn er von der
Ekstasis“ der Seele in solchen orgiastischen Reizzuständen
sprach 3). Diese Ekstasis ist „ein vorübergehender Wahnsinn“,

Edonis exululata iugis. Ovid. Trist. 4, 1, 41 f. qualis deo percussa maenas
— atque expers sui volnus dedit nec sensit
. Seneca, Troad. 682 ff. Gleiche
Empfindungslosigkeit gegen Schmerz zeigten (gewiss nicht immer heuchelnd)
die sie sich selbst verwundenden galli der Kybele, die Priester und
Priesterinnen der Mâ (Tibull. 1, 6, 45 ff.) in der Ekstase (auch von Pro-
pheten des Baal wird ähnliches berichtet, Reg. I 18, 28). S. im All-
gemeinen über die Anaesthesie der ὀρϑῶς κατεχόμενοι ὑπὸ τῶν ϑεῶν
Jamblich. myst. p. 110. Bei Schamanen, indischen Jogis, auch bei Einge-
borenen Nordamerikas hat man wirklich das Eintreten solcher Empfindungs-
losigkeit in religiöser Ueberreizung beobachtet.
1) κατεχόμενος ἐκ τοῦ ϑεοῦ (Plat. Menon 99 D; Xenoph. Sympos. 1, 10.
κατεχόμενοι ὥσπερ αἱ βάκχαι: Plat. Jon 533 E; Sympos. 215 C. μανέντι
τε καὶ κατασχομένῳ: Phaedr. 244 E.) ἡ δ̕ἀφρὸν ἐξιεῖσα καὶ διαστρόφους κόρας
ἑλίσσουσ̕, οὐ φρονοῦσ̕ ἃ χρῆν φρονεῖν, ἐκ Βακχίου κατείχετο. Eurip. Bacch.
1111 f. κάτοχοι: oben p. 304, 1.
2) ἔνϑεός τε γίγνεται καὶ ἔκφρων καὶ ὁ νοῦς οὐκέτι ἐν αὐτῷ ἔνεστιν.
Plat. Jon 534 B (dort auf die begeisterten Dichter übertragen, eigentlich
auf die Bakchen bezüglich).
3) ἔκστασις, ἐξίστασϑαι wird oft von diesem Begeisterungszustande
gesagt. μαίνεσϑαι, ἐνϑουσιᾶν, ἔνϑεον γίνεσϑαι, ἐκστῆναι als gleichbedeutend
gebraucht von „begeisterten“ Propheten (Βάκιδες, Σίβυλλαι) und Poeten:
Aristot. probl. 30, 2 p. 954 a, 34—39. ἐξίσταται καί μαίνεται Arist. hist. an.
6, 22 p. 576 a, 12. Die religiösen ὀργιασμοί, ἐκστάσιας ψυχᾶς ἐπάγοντι:
Phintys in Stob. flor. 74, 61 a, p. 65, 26 ff. Mein. Die ἔκστασις ist ein Zu-
stand, in welchem die Seele sich selbst entfremdet scheint, wo sie αἱ οἰ-
κεῖαι κινήσεις οὐκ ἐνοχλοῦνται ἀλλ̕ ἀπορραπίζονται (Aristot. 464 a, 25). Der
im späteren Gebrauch sehr abgeschwächte und abgegriffene Ausdruck ist
ursprünglich, wie sich von selbst versteht, eigentlich gemeint, um einen
„Austritt“ der „Seele“ aus ihrem Leibe zu bezeichnen; so wie das τὸν
δ̕ἔλιπεν ψυχή, vom ohnmächtig Gewordenen gesagt, ursprünglich ebenfalls
eigentlich gemeint war und verstanden wurde (s. oben p. 8, 1). (Ganz
eigentlich gemeint noch in dem Pariser Zauberbuch, Z. 725 p. 63 Wess.:
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[311/0327] Alles stellt uns eine gewaltsame Erregung des ganzen Wesens vor Augen, bei der die Bedingungen des normalen Lebens aufgehoben schienen. Man erläuterte sich diese aus allen Bahnen des Gewohnten schweifenden Erscheinungen durch die Annahme, dass die Seele dieser „Besessenen 1)“ nicht „bei sich“ 2) sei, sondern „ausgetreten“ aus ihrem Leibe. Wörtlich so verstand es der Grieche ursprünglich, wenn er von der „Ekstasis“ der Seele in solchen orgiastischen Reizzuständen sprach 3). Diese Ekstasis ist „ein vorübergehender Wahnsinn“, 4) 1) κατεχόμενος ἐκ τοῦ ϑεοῦ (Plat. Menon 99 D; Xenoph. Sympos. 1, 10. κατεχόμενοι ὥσπερ αἱ βάκχαι: Plat. Jon 533 E; Sympos. 215 C. μανέντι τε καὶ κατασχομένῳ: Phaedr. 244 E.) ἡ δ̕ἀφρὸν ἐξιεῖσα καὶ διαστρόφους κόρας ἑλίσσουσ̕, οὐ φρονοῦσ̕ ἃ χρῆν φρονεῖν, ἐκ Βακχίου κατείχετο. Eurip. Bacch. 1111 f. κάτοχοι: oben p. 304, 1. 2) ἔνϑεός τε γίγνεται καὶ ἔκφρων καὶ ὁ νοῦς οὐκέτι ἐν αὐτῷ ἔνεστιν. Plat. Jon 534 B (dort auf die begeisterten Dichter übertragen, eigentlich auf die Bakchen bezüglich). 3) ἔκστασις, ἐξίστασϑαι wird oft von diesem Begeisterungszustande gesagt. μαίνεσϑαι, ἐνϑουσιᾶν, ἔνϑεον γίνεσϑαι, ἐκστῆναι als gleichbedeutend gebraucht von „begeisterten“ Propheten (Βάκιδες, Σίβυλλαι) und Poeten: Aristot. probl. 30, 2 p. 954 a, 34—39. ἐξίσταται καί μαίνεται Arist. hist. an. 6, 22 p. 576 a, 12. Die religiösen ὀργιασμοί, ἐκστάσιας ψυχᾶς ἐπάγοντι: Phintys in Stob. flor. 74, 61 a, p. 65, 26 ff. Mein. Die ἔκστασις ist ein Zu- stand, in welchem die Seele sich selbst entfremdet scheint, wo sie αἱ οἰ- κεῖαι κινήσεις οὐκ ἐνοχλοῦνται ἀλλ̕ ἀπορραπίζονται (Aristot. 464 a, 25). Der im späteren Gebrauch sehr abgeschwächte und abgegriffene Ausdruck ist ursprünglich, wie sich von selbst versteht, eigentlich gemeint, um einen „Austritt“ der „Seele“ aus ihrem Leibe zu bezeichnen; so wie das τὸν δ̕ἔλιπεν ψυχή, vom ohnmächtig Gewordenen gesagt, ursprünglich ebenfalls eigentlich gemeint war und verstanden wurde (s. oben p. 8, 1). (Ganz eigentlich gemeint noch in dem Pariser Zauberbuch, Z. 725 p. 63 Wess.: 4) Edonis exululata iugis. Ovid. Trist. 4, 1, 41 f. qualis deo percussa maenas — atque expers sui volnus dedit nec sensit. Seneca, Troad. 682 ff. Gleiche Empfindungslosigkeit gegen Schmerz zeigten (gewiss nicht immer heuchelnd) die sie sich selbst verwundenden galli der Kybele, die Priester und Priesterinnen der Mâ (Tibull. 1, 6, 45 ff.) in der Ekstase (auch von Pro- pheten des Baal wird ähnliches berichtet, Reg. I 18, 28). S. im All- gemeinen über die Anaesthesie der ὀρϑῶς κατεχόμενοι ὑπὸ τῶν ϑεῶν Jamblich. myst. p. 110. Bei Schamanen, indischen Jogis, auch bei Einge- borenen Nordamerikas hat man wirklich das Eintreten solcher Empfindungs- losigkeit in religiöser Ueberreizung beobachtet.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/327>, abgerufen am 22.11.2024.