Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Orphiker.

Von orphischen Secten und ihren Gebräuchen redet uns
kein älteres Zeugniss als das des Herodot (2, 81), der die
Uebereinstimmung ägyptischer Priester in gewissen priesterlich
asketischen Vorschriften mit den "orphischen und bakchischen"
Geheimdiensten hervorhebt, die in Wahrheit ägyptisch und
pythagoreisch, d. h. nach ägyptischem Vorbilde von Pythagoras
oder Pythagoreern eingerichtet seien, und somit, nach der
Meinung des Historikers, nicht vor den letzten Jahrzehnten
des sechsten Jahrhunderts begründet sein konnten. Herodot
hat also, sei es in Athen oder anderswo auf seinen Reisen,
von geschlossenen Gemeinden vernommen, die durch ihre Be-
nennung nach Orpheus, dem sagengepriesenen Vorbild thra-
kischer Sangeskunst, selbst die Herkunft ihres eigenthümlichen
Cultus und Glaubens aus Thrakiens Bergen bekannten, und
Bakchos, den thrakischen Gott, verehrten. Dass in der
That die griechischen Orphiker vor allen anderen Göttern dem
Dionysos, dem Herrn des Lebens und des Todes, ergeben
waren, bezeugen deutlich die Reste der, aus ihrer Mitte her-
vorgegangenen theologischen Dichtung. Orpheus selbst, als
Stifter der orphischen Secte gedacht, heisst der Begründer
dionysischer Weihen 1).

1) -os pote kai teletas musteridas eureto Bakkhou Damagetus, anth. Pal.
7, 9, 5. dio kai tas upo tou Dionusou genomenas teletas Orphikas prosago-
reuthenai Diodor. 3, 65, 6. eure de Orpheus ta Dionusou musteria Apollod.
1, 3, 2, 3 (Dionysum) Jove et Luna (natum), cui sacra Orphica putantur
confici:
Cic. nat. deor. 3, 58 (vgl. Lyd. de mens. p. 200, 2 Roeth.)
Bakkhika ein orphisches Gedicht: Suid s. Orpheus (vgl. Hiller, Hermes,
21, 364 f.). Daraus fr. 3 (ed. Abel); vielleicht auch fr. 152; 167; 169; 168.
ta Orphika kaloumena und Bakkhika sind schon dem Herodot 2, 81 identisch.
Die Orphiker.

Von orphischen Secten und ihren Gebräuchen redet uns
kein älteres Zeugniss als das des Herodot (2, 81), der die
Uebereinstimmung ägyptischer Priester in gewissen priesterlich
asketischen Vorschriften mit den „orphischen und bakchischen“
Geheimdiensten hervorhebt, die in Wahrheit ägyptisch und
pythagoreisch, d. h. nach ägyptischem Vorbilde von Pythagoras
oder Pythagoreern eingerichtet seien, und somit, nach der
Meinung des Historikers, nicht vor den letzten Jahrzehnten
des sechsten Jahrhunderts begründet sein konnten. Herodot
hat also, sei es in Athen oder anderswo auf seinen Reisen,
von geschlossenen Gemeinden vernommen, die durch ihre Be-
nennung nach Orpheus, dem sagengepriesenen Vorbild thra-
kischer Sangeskunst, selbst die Herkunft ihres eigenthümlichen
Cultus und Glaubens aus Thrakiens Bergen bekannten, und
Bakchos, den thrakischen Gott, verehrten. Dass in der
That die griechischen Orphiker vor allen anderen Göttern dem
Dionysos, dem Herrn des Lebens und des Todes, ergeben
waren, bezeugen deutlich die Reste der, aus ihrer Mitte her-
vorgegangenen theologischen Dichtung. Orpheus selbst, als
Stifter der orphischen Secte gedacht, heisst der Begründer
dionysischer Weihen 1).

1) -ὅς ποτε καὶ τελετὰς μυστηρίδας εὕρετο Βάκχου Damagetus, anth. Pal.
7, 9, 5. διὸ καὶ τὰς ὑπὸ τοῦ Διονύσου γενομένας τελετὰς Ὀρφικὰς προσαγο-
ρευϑῆναι Diodor. 3, 65, 6. εὗρε δὲ Ὀρφεὺς τὰ Διονύσου μυστήρια Apollod.
1, 3, 2, 3 (Dionysum) Jove et Luna (natum), cui sacra Orphica putantur
confici:
Cic. nat. deor. 3, 58 (vgl. Lyd. de mens. p. 200, 2 Roeth.)
Βακχικά ein orphisches Gedicht: Suid s. Ὀρφεύς (vgl. Hiller, Hermes,
21, 364 f.). Daraus fr. 3 (ed. Abel); vielleicht auch fr. 152; 167; 169; 168.
τὰ Ὀρφικὰ καλούμενα und Βακχικά sind schon dem Herodot 2, 81 identisch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0411" n="[395]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Die Orphiker.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <p>Von orphischen Secten und ihren Gebräuchen redet uns<lb/>
kein älteres Zeugniss als das des Herodot (2, 81), der die<lb/>
Uebereinstimmung ägyptischer Priester in gewissen priesterlich<lb/>
asketischen Vorschriften mit den &#x201E;orphischen und bakchischen&#x201C;<lb/>
Geheimdiensten hervorhebt, die in Wahrheit ägyptisch und<lb/>
pythagoreisch, d. h. nach ägyptischem Vorbilde von Pythagoras<lb/>
oder Pythagoreern eingerichtet seien, und somit, nach der<lb/>
Meinung des Historikers, nicht vor den letzten Jahrzehnten<lb/>
des sechsten Jahrhunderts begründet sein konnten. Herodot<lb/>
hat also, sei es in Athen oder anderswo auf seinen Reisen,<lb/>
von geschlossenen Gemeinden vernommen, die durch ihre Be-<lb/>
nennung nach <hi rendition="#g">Orpheus</hi>, dem sagengepriesenen Vorbild thra-<lb/>
kischer Sangeskunst, selbst die Herkunft ihres eigenthümlichen<lb/>
Cultus und Glaubens aus Thrakiens Bergen bekannten, und<lb/><hi rendition="#g">Bakchos</hi>, den thrakischen Gott, verehrten. Dass in der<lb/>
That die griechischen Orphiker vor allen anderen Göttern dem<lb/>
Dionysos, dem Herrn des Lebens und des Todes, ergeben<lb/>
waren, bezeugen deutlich die Reste der, aus ihrer Mitte her-<lb/>
vorgegangenen theologischen Dichtung. Orpheus selbst, als<lb/>
Stifter der orphischen Secte gedacht, heisst der Begründer<lb/>
dionysischer Weihen <note place="foot" n="1)">-&#x1F45;&#x03C2; &#x03C0;&#x03BF;&#x03C4;&#x03B5; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B5;&#x03C4;&#x1F70;&#x03C2; &#x03BC;&#x03C5;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C1;&#x03AF;&#x03B4;&#x03B1;&#x03C2; &#x03B5;&#x1F55;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C4;&#x03BF; &#x0392;&#x03AC;&#x03BA;&#x03C7;&#x03BF;&#x03C5; Damagetus, <hi rendition="#i">anth. Pal.</hi><lb/>
7, 9, 5. &#x03B4;&#x03B9;&#x1F78; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C4;&#x1F70;&#x03C2; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F78; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x0394;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;&#x03CD;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C5; &#x03B3;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B1;&#x03C2; &#x03C4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B5;&#x03C4;&#x1F70;&#x03C2; &#x1F48;&#x03C1;&#x03C6;&#x03B9;&#x03BA;&#x1F70;&#x03C2; &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03B1;&#x03B3;&#x03BF;-<lb/>
&#x03C1;&#x03B5;&#x03C5;&#x03D1;&#x1FC6;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B9; Diodor. 3, 65, 6. &#x03B5;&#x1F57;&#x03C1;&#x03B5; &#x03B4;&#x1F72; &#x1F48;&#x03C1;&#x03C6;&#x03B5;&#x1F7A;&#x03C2; &#x03C4;&#x1F70; &#x0394;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;&#x03CD;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C5; &#x03BC;&#x03C5;&#x03C3;&#x03C4;&#x03AE;&#x03C1;&#x03B9;&#x03B1; Apollod.<lb/>
1, 3, 2, 3 <hi rendition="#i">(Dionysum) Jove et Luna (natum), cui sacra Orphica putantur<lb/>
confici:</hi> Cic. <hi rendition="#i">nat. deor.</hi> 3, 58 (vgl. Lyd. <hi rendition="#i">de mens.</hi> p. 200, 2 Roeth.)<lb/>
&#x0392;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C7;&#x03B9;&#x03BA;&#x03AC; ein orphisches Gedicht: Suid s. &#x1F48;&#x03C1;&#x03C6;&#x03B5;&#x03CD;&#x03C2; (vgl. Hiller, <hi rendition="#i">Hermes,</hi><lb/>
21, 364 f.). Daraus <hi rendition="#i">fr.</hi> 3 (ed. Abel); vielleicht auch <hi rendition="#i">fr.</hi> 152; 167; 169; 168.<lb/>
&#x03C4;&#x1F70; &#x1F48;&#x03C1;&#x03C6;&#x03B9;&#x03BA;&#x1F70; &#x03BA;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03CD;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B1; und &#x0392;&#x03B1;&#x03BA;&#x03C7;&#x03B9;&#x03BA;&#x03AC; sind schon dem Herodot 2, 81 identisch.</note>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[395]/0411] Die Orphiker. Von orphischen Secten und ihren Gebräuchen redet uns kein älteres Zeugniss als das des Herodot (2, 81), der die Uebereinstimmung ägyptischer Priester in gewissen priesterlich asketischen Vorschriften mit den „orphischen und bakchischen“ Geheimdiensten hervorhebt, die in Wahrheit ägyptisch und pythagoreisch, d. h. nach ägyptischem Vorbilde von Pythagoras oder Pythagoreern eingerichtet seien, und somit, nach der Meinung des Historikers, nicht vor den letzten Jahrzehnten des sechsten Jahrhunderts begründet sein konnten. Herodot hat also, sei es in Athen oder anderswo auf seinen Reisen, von geschlossenen Gemeinden vernommen, die durch ihre Be- nennung nach Orpheus, dem sagengepriesenen Vorbild thra- kischer Sangeskunst, selbst die Herkunft ihres eigenthümlichen Cultus und Glaubens aus Thrakiens Bergen bekannten, und Bakchos, den thrakischen Gott, verehrten. Dass in der That die griechischen Orphiker vor allen anderen Göttern dem Dionysos, dem Herrn des Lebens und des Todes, ergeben waren, bezeugen deutlich die Reste der, aus ihrer Mitte her- vorgegangenen theologischen Dichtung. Orpheus selbst, als Stifter der orphischen Secte gedacht, heisst der Begründer dionysischer Weihen 1). 1) -ὅς ποτε καὶ τελετὰς μυστηρίδας εὕρετο Βάκχου Damagetus, anth. Pal. 7, 9, 5. διὸ καὶ τὰς ὑπὸ τοῦ Διονύσου γενομένας τελετὰς Ὀρφικὰς προσαγο- ρευϑῆναι Diodor. 3, 65, 6. εὗρε δὲ Ὀρφεὺς τὰ Διονύσου μυστήρια Apollod. 1, 3, 2, 3 (Dionysum) Jove et Luna (natum), cui sacra Orphica putantur confici: Cic. nat. deor. 3, 58 (vgl. Lyd. de mens. p. 200, 2 Roeth.) Βακχικά ein orphisches Gedicht: Suid s. Ὀρφεύς (vgl. Hiller, Hermes, 21, 364 f.). Daraus fr. 3 (ed. Abel); vielleicht auch fr. 152; 167; 169; 168. τὰ Ὀρφικὰ καλούμενα und Βακχικά sind schon dem Herodot 2, 81 identisch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/411
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. [395]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/411>, abgerufen am 22.11.2024.